Bedeutet das Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen, dass wir keine Wissenschaft betreiben dürfen?

Charlotte S.
Gemälde "Adam und Eva" von Lucas Cranach dem Älteren
© epd-bild/akg-images/Cranach der Ältere

Liebe Frau Scholl,

ich bin gerade dabei die Bibel aus Interesse durchzulesen, wobei mir bei Gen 2 folgendes ziemlich paradox vorkam für den christlichen Glauben: der Baum, der die Menschheit aus dem Paradies vertreibt, ist logischerweise der Baum der Erkenntnis oder wie dort beschrieben, der des Wissens. Würde dies dann aber nicht bedeuten, dass man durch das Essen von dessen Früchte sozusagen zum logischen, eigenständigen Verstand gelangt, welcher versucht die Welt in ihren Grundzügen zu verstehen (siehe Naturwissenschaften) ? Der genaue Wortlaut war nämlich „ein Baum [...] dessen Früchte ein Wissen geben, das von Gott unabhängig macht“(Gen 2, 8-9) Könnte dies nicht bedeuten, dass der menschliche Glaube an Gott NICHT mit der naturwissenschaftlichen Ansicht vereinbar ist und somit ein rational denkender Mensch seine Gedanken nicht mit einer Existenz Gottes vereinbaren könne? Für mich lässt sich das nämlich derzeit so interpretieren, als könne man nur eine innige Verbindung zu Gott haben ODER auf Wissen und/oder die Logik und den eigenen Verstand zurückgreifen.
Zudem verwundert mich, warum das klügste Tier das bösartige sein soll, welches zu eben diesem Wissen verleitet. Das klingt für mich so, als würde Gott gegen eigenständiges Gedankengut sein, was mich ziemlich verwirrt.

Hab ich das alles vielleicht falsch interpretiert oder muss man diesen Teil einfach ignorieren, obwohl er ja die Grundlage bilden sollte?

Ich meine das jetzt auch nicht kritisch - wie bereits gesagt, ich finde es nur ein wenig paradox formuliert und verwirrend im Bezug zum Glauben und würde dementsprechend gern ein wenig Klarheit diesbezüglich haben.

Liebe Grüße,
Charlotte

Liebe Charlotte,

 

vielen Dank für Deine interessante Frage und schön, dass Du Dich von den biblischen Texten derart ins Nachdenken bringen lässt. Deine Irritation kann ich gut nachvollziehen. Was sollte an Erkenntnis verwerflich sein? Niemand von uns könnte morgens die Milch aus dem Kühlschrank nehmen oder das Radio einschalten, wenn wir Menschen nicht schon immer diese Faszination gehabt hätten mehr und mehr über die Welt zu erfahren und dieses Wissen auch zu nutzen.

Du fragst Dich nun, ob das Verbot vom Baum der Erkenntnis zu essen nicht bedeuten müsste, dass dieser Wissensdurst an sich dem Willen Gottes widerspricht. Um dabei einer Antwort auf die Spur zu kommen, gilt es, wie so oft in der Bibel, genau hinzuschauen. Die Schlange sagt zu Eva: „Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und Böse ist.“  (Gen 3,5) Mir scheint dieser Hinweis, dass das Essen vom Baum der Erkenntnis dazu führt, dass der Mensch sich selbst für Gott hält und so meint völlig unabhängig von Gott zu sein, ein ganz zentraler Punkt zu sein, der auch auf eine Spur führt im Hinblick auf Deine Frage.

In der Logik des biblischen Textes fängt das Problem also nicht dabei an, Wissen von der Welt zu erlangen, sondern es geht um eine bestimmte Haltung. Problematisch wird es dann, wenn der Mensch von seinem eigenen Wissen so viel hält, dass er sich selbst für Gott hält und wenn er meint, alles bis ins Letzte durchdringen zu können ohne dabei noch mit Gott zu rechnen.

Naturwissenschaftliches Forschen und christliche Religion sind also absolut vereinbar. Es sind verschiedene Perspektiven auf die Welt, die Verschiedenes leisten. Die Physik kann letztendlich die großen Sinnfragen des Lebens nicht beantworten und die Religion kann nicht erklären, wie die Schwerkraft wirkt.

Jede:r gute Wissenschaftler:in wird im Übrigen im Hinblick auf das eigene Forschen nicht so weit gehen, dass sie:er die Dinge bis ins Letzte begründen könnte. Peter Hägele, zum Beispiel, ein Physikprofessor aus Ulm, kritisiert Stephen Hawking, der meinte beweisen zu können, dass der Urknall nichts mit Gott zu tun habe. Hägele widerspricht ihm deutlich und macht dagegen stark, dass einen Anfang, also den Übergang von Nichts ins Sein, auch die Naturwissenschaft nicht erklären könne. Man könne also weder beweisen noch ausschließen, dass dabei Gott am Werk sei.

Auf die Naturgesetze kommen Forschende durch Verallgemeinerungen, ausgehend von mathematischen Modellen. Ob diese Naturgesetze allerdings zweifelsfrei wahr sind, kann nie völlig zweifelsfrei bejaht werden. In diesem Sinne weiß jede redliche Wissenschaftlerin immer auch um die Grenzen ihres eigenen wissenschaftlichen Systems. Wer sich selbst religiös versteht, wie z. B. der Physiker Peter Hägele, wird die Tatsache, dass sich ihm in seinem Denken die letzten Begründungen entziehen, mit Gott identifizieren. Wer nicht religiös ist, wird diese Leerstelle aus wissenschaftlichen Gründen offen halten, nämlich aufgrund seines Wissens um die Begrenztheit des eigenen wissenschaftlichen Systems.

In beiden Fällen ist Wissenschaft mit dem Glauben vereinbar. Ich ahne, dass das viellleicht eine gute Nachricht für Dich sein könnte. Denn aus der klugen Art, wie Du über die Stelle in der Genesis nachdenkst, meine ich zu ahnen, dass nachdenken und Fragen zu stellen etwas sein könnte, was Dir sehr wichtig ist. Ich wünsche Dir, dass Du weiter mit so einem wachen und kritischen Geist auf die Welt und die biblischen Texte blickst.

 

Herzliche Grüße

 

Katharina

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