Die Würde der Homosexuellen ist unantastbar!?

Die Würde der Homosexuellen ist unantastbar!?
Foto: Matthias Albrecht
"Die Würde des Menschen ist unantastbar", so beginnt unser Grundgesetz. Auf diesen Satz baut Bundespräsident Frank Walter Steinmeier seine Rede anlässlich des 10. Jahrestages der Einweihung des Denkmales für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu Beginn diesen Monats auf. Doch ist die Würde der Homosexuellen in unserem Land wirklich so unantastbar?

Noch nie hat ein deutsches Staatsoberhaupt mit so deutlichen Worten die Schuld, die dieses Land durch die Verfolgung seiner bi- und homosexuellen Bürger_innen auf sich geladen hat bekannt. Steinmeier erinnert an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus, an die "vielen zehntausend Menschen, deren Privatheit, deren Leben, deren Liebe, und ja, deren Würde auf niederträchtigste Weise angetastet, geleugnet und verletzt wurden". Aber, und gerade das macht die historische Dimension seiner Rede aus, Steinmeier bleibt nicht beim nationalsozialistischen Terror stehen. Der Bundespräsident geht weiter, indem er auch von der deutschen Homosexuellenverfolgung nach 1945 spricht. "Die Würde von Homosexuellen, sie blieb antastbar", rechnet Steinmeier mit der Zeit ab, in der auf Grundlage des § 175 StGB zehntausende Männer staatlicher Repression ausgeliefert waren. Die Rede des Bundespräsidenten gipfelt darin, dass er sagt: "Ihr Land hat Sie zu lange warten lassen. Wir sind spät dran. Was gegenüber anderen Opfergruppen gesagt wurde, ist Ihnen bisher versagt geblieben. Deshalb bitte ich heute um Vergebung – für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte". 

Diese Bitte um Vergebung hat nicht nur, mediale Eilmeldungen und Schlagzeilen ausgelöst, sie hat zuallererst viele Menschen tief berührt. Sie ist Balsam für viele geschundene Seelen, Anerkennung für Kämpfer_innen, die für homosexuelle Emanzipation streiten und eine lang ersehnte Geste der Demut gegenüber unschuldig Verfolgten. Doch so historisch, so richtig, so wichtig diese Rede war, so wenig gehe ich soweit, sie als eine Genugtuung zu bewerten. Denn auch wenn Steinmeier erklärt, Deutschland habe dazu gelernt und anschließend unter anderem auf die Ehe für alle verweist, wird die Würde bi- und homosexueller, genauso wie die transsexueller, transidenter, queerer oder intersexueller Bürger_innen (die Steinmeier in seiner Rede auch erwähnt) in unserem Land immer noch jeden Tag angetastet.

Das beginnt schon bei der Opfergruppe, an die sich Steinmeier in so bemerkenswerter Weise richtet, den Opfern des §175 (bzw. §151 in der DDR) nach 1945. Wer in der Bundesrepublik Deutschland unschuldig in Haft sitzt, erhält eine Entschädigung von mindestens 9.125 € pro Jahr erlittene Haft. Anders bei den heute rehabilitierten Opfern der staatlichen Schwulenverfolgung. Sie erhalten lediglich 1.500€ pro Jahr angefangene Haft. Weshalb sind wegen Homosexualität unschuldig Verurteilte dem Staat weniger wert als andere Unschuldige? Und was ist mit den Männern, die verurteilt wurden, weil sie einvernehmlichen Sex mit Personen unter 16, aber über 14 Jahren hatten (etwas, das bei damals Heterosexuellen nicht strafbar war – und es bis heute auch nicht ist) und auf Druck der CDU/CSU, obwohl eigentlich erst anders vorgesehen, bis heute von der Rehabilitierung ausgeschlossen sind? Oder was ist mit Männern, wie dem jüngst verstorbenen Wolfgang Lauinger, der für seine erlittene achtmonatige Untersuchungshaft und die empfindlichen Folgen der damaligen polizeilichen Ermittlungsarbeit, nie entschädigt wurde? Wo ist die Unantastbarkeit der Würde dieser Menschen?

Gerade wird von der Gesetzgeberin eine weitere Chance vertan, Bürger_innen ein Stück ihrer Würde zurückzugeben. Intersexuelle Menschen, also Menschen deren Geschlecht nach biologischen Kriterien weder als weiblich noch als männlich identifiziert werden kann, dürfen vom Staat nicht länger gezwungen werden, sich, entgegen der Realität, ins Personenstandsregister als Mann oder Frau einzutragen, so hat es das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Viele Verbände intersexueller Menschen fordern, den nun mehr notwendigen neuen Geschlechtseintrag inter oder divers zu nennen. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar die Möglichkeit, auf den Geschlechtseintrag generell zu verzichten, ins Spiel gebracht. Doch entgegen dieser Ideen hängt das CSU-geführte Bundesinnenministerium der Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit in fataler Weise nach und lässt sich gerade einmal auf ein weiteres als neue Geschlechtsoption ein. Eine Bezeichnung, die im Unterschied zu den anderen Vorschlägen Menschen marginalisiert. Nutzen darf diese Option auch nur, so will es Seehofer, wer eingehende medizinische Untersuchungen, die seit langer Zeit von Intersexuellen als entwürdigend abgelehnt werden, über sich ergehen lässt.

Es wären hier noch viele andere Punkte zu nennen, an denen die Würde derer angetastet wird, die nicht dem heteronormativen Idealbild entsprechen. Etwa die prekäre Situation bi- und homosexueller Jugendlicher, die in unserem Land immer noch so massiver Diskriminierung ausgesetzt sind, dass ihre Suizidrate deutlich über der ihrer heterosexuellen Altersgenoss_innen liegt. Oder dem fehlenden Straftatbestand des Hassverbrechens im deutschen Strafgesetz, der es erlauben würde, Verbrechen die aus Hass gegen LGBTTIQ´s begangen wurden, auch als solche zu erkennen und zu verurteilen. Aus all diesen Gründe begreife ich die Rede des Bundespräsidenten und seine Bitte um Verzeihung, nicht als Genugtuung, sondern als eine Aufforderung. Eine Aufforderung an alle Mitglieder und Akteur_innen der Gesellschaft, sich aktiv für die Wahrung der Würde jedes Menschen, unabhängig von dessen geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung, konsequent zu engagieren. Das Vergangene kann nicht wieder vollständig gut gemacht werden, aber, im Rahmen unserer menschlichen Möglichkeiten ist die Zukunft gut zu machen. Dieser Appel richtet sich nicht zuletzt auch an die evangelischen Kirchen, zu deren Selbstverständnis es gehört, auch in die Gesellschaft hineinzuwirken. Statt, wie jüngst wieder in Württemberg, mit denen den Ausgleich zu suchen, die sich und ihr Seelenheil bedroht sehen, wenn die Würde Homosexueller nicht mehr länger angetastet wird, sollten die evangelischen Kirchen in Deutschland endlich klar und bedingungslos Partei für die Diskriminierten ergreifen. Denn die Würde des Menschen existiert nicht aus sich selbst heraus, sondern ist ein von Gott gegebenes Geschenk. Daher ist der Einsatz für diese Würde und ihre Verteidigung eines der obersten Leitbilder aller Kirchen, die sich Kirche Jesus Christi nennen wollen.

Ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Würde der Bürger_innen in diesem Land unantastbarer zu machen, scheint mir die Ergänzung des Grundgesetzes. Dort ist im Artikel drei geregelt, dass kein Mensch aufgrund "seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden" darf, dasselbe gilt für Behinderungen. Würde an dieser Stelle zusätzlich die geschlechtliche Identität und die sexuelle Orientierung festgeschrieben, hätten LGBTTIQ´s zukünftig eine solidere Grundlage, auf der sie ihr Recht der unantastbaren Würde, einklagen können und die ihre Gleichwertigkeit so konstitutiv verbrieft, dass sie nicht ständig zum Spielball (partei-) politscher Ränkespiele würde. Das scheint gerade heute, wo Dinge sagbar sind, die mensch nach 1945 öffentlich für nicht mehr aussprechbar hielt, wichtiger denn je!

Womit wir wieder beim Erinnern wären. Hierzu könnte Herr Steinmeier einen weiteren ganz konkreten Beitrag leisten. Noch nie hat bei der jährlichen Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag ein homosexuelles Opfer gesprochen. Eine diesbezügliche Petition ist kürzlich abgelehnt worden. Doch die Zeit drängt, will mensch nicht warten, bis das letzte homosexuelle Opfer verstorben ist. Der Bundespräsident hätte die Möglichkeit, seine für 2020 turnusgemäße Rede als zentralen Beitrag dieser Gedenkstunde um ein Jahr zu verschieben und einem homosexuellen Opfer stattdessen das Wort zu geben. Diese Geste könnte dem Gedenken, Steinmeiers Bitte um Verzeihung und auch seinem Bekenntnis, Deutschland sei spät dran mit dem Erinnern, Nachdruck verleihen. Es wäre ein Beitrag, dass der Satz "Niemals wieder!", endlich unmissverständlich auch für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus gilt und für die Zukunft als ein "Nicht weiter so! " in unsere Gesellschaft hineinwirkt.

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