Es war voll in der ESG-Kirche in Mainz. Ein beeindruckender Kreis mit über 70 motivierten und engagierten Menschen konnte gebildet werden.
Bunt und vielfältig ging es beim ersten queersensiblen Vernetzungstreffen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zu im Hinblick auf die Teilnehmenden: Junge und Ältere, Haupt- und Ehrenamtliche, Pfarrpersonen und andere kirchliche, diakonische und religionspädagogische Berufe waren vertreten. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Heterosexuelle waren da und Menschen, die sich als non-binär, genderqueer oder transgeschlechtlich bezeichnen. Es waren Personen, die in Beziehungen oder single leben, in Patchwork- oder Regenbogenfamilien, mit oder ohne romantische Beziehungen, mit oder ohne eigene Kinder.
Zusammen gekommen waren alle Beteiligten, um bewusst auf Meilensteine der Geschichte EKHN mit queeren Menschen zu schauen und zu diskutieren, wie es nach dem Schuldbekenntnis der Kirchensynode (Kirchenparlament) gegenüber queeren Personen vom 28. April 2023 in der EKHN weiter gehen soll.
Pröpstin (Regionalbischöfin) Henriette Crüwell begrüßte alle Anwesenden und hielt eine Kurzandacht, in der sie alle einlud, in Kirchengemeinden und an anderen kirchlichen Orten anders anders zu sein, von sich zu erzählen, zuzuhören und voneinander zu lernen.
Kirchenpräsidentin Dr. Christiane Tietz sprach ein Grußwort, in dem sie betonte, wie zentral Respekt und Vielfalt für die EKHN sind. Der Referent im Stabsbereich Chancengleichheit der EKHN Martin Franke-Coulbeaut erinnerte an Eckdaten der Emanzipationsgeschichte queerer Menschen in der EKHN. Z.B. wurden bereits Ende 2002 Segensgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare und 2013 Trauungen für alle eingeführt. Er wies auf die Bedeutung der Broschüre "Zum Bilde Gottes geschaffen" über Transgeschlechtlichkeit und Kirche hin, die von der Fachgruppe Gendergerechtigkeit 2018 erstellt wurde. Die Broschüre geht selbstverständlich von der Gleichberechtigung von non-binären und Trans-Personen in den Kirchen aus und präsentiert Lebenszeugnisse, biblische Einordnungen und liturgische Tipps für das Thema.
Im Anschluss daran wurden vier kurze Statements aus persönlicher Perspektive vorgetragen. Der Leiter des Zentrums Seelsorge und Beratung Dr. Raimar Kremer berichtete von seinen Erfahrungen in den neunziger Jahren in den Dekanaten Dillenburg und Herborn, die traditionell eher konservativ und gegen die Gleichstellung queerer Personen eingestellt waren. Sein Coming-out kostete ihm damals die Wahl zum Dekan.
Die Gemeindepfarrerin Josephine Haas erzählte davon, dass sie als Theologiestudentin in Marburg eine große Selbstverständlichkeit gegenüber queeren Lebensformen und Identitäten vorgefunden hat. Sie ist dankbar für alle, die vor ihrer Generation bereits dafür gekämpft und den Boden dafür bereitet haben, dass das Thema queer in der Kirche heute vielerorts gelassen und pragmatisch behandelt wird. Sie sieht als junge Pfarrerin aber auch die bleibenden Herausforderungen angesichts rechtsnationaler und queerfeindlicher Entwicklungen im In- und Ausland. Sie war gemeinsam mit der Pröpstin Jette Crüwell die Ideengeberin für das Netzwerktreffen. Sie wünscht sich, dass die queersensible Arbeit in der EKHN so schnell wie möglich weiter geht, so wie es als Konsequenz aus dem Schuldbekenntnis auch von Kirchensynode und Kirchenleitung der EKHN versprochen wurde.
Ähnlich sieht es der Wiesbadener Dekanatsjugendreferent Steffen Batz, der sich ebenfalls sichtbare und konkrete Schritte hin zu einer queersensiblen Kirche wünscht und jüngere Personen noch stärker als Motoren dieser Entwicklung ansieht.
Ich selbst erzählte davon, wie ich die Debatte um das Schuldbekenntnis als Zuhörerin auf der Empore der Kirchensynode als Zuschauerin erlebt habe und wie viel mir die Verabschiedung des Schuldbekenntnisses bis heute bedeutet. Denn was von vielen unterschätzt wird, sind die oft chronifizierten Auswirkungen von Ausgrenzungserfahrungen, Häme und von Minderheitenstress, wie sie Ilan H. Meyer bereits 1995 in einem Aufsatz für Körper, Geist und Seele beschrieben hat. Dies mache es so wichtig, dass kirchliche Orte deutlich erkennbare „Safer Spaces“ für queere Personen und andere Minderheitengruppen werden.
Nach den biografischen Impulsen gab es verschiedenen Kleingruppen, in denen sich die Teilnehmenden gegenseitig erzählt haben, was sie in der EKHN bisher als queerfreundlich erlebt haben und was nicht. Dazu wurden Schlüsselsätze auf weiße Kassierbandrollen aufgeschrieben und für die Weiterarbeit gesichert. Gleichzeitig verknüpften die Teilnehmenden mitgebrachte bunte Fäden, die im Laufe des Nachmittags zu einem bunten Gewebe verwebt wurden und damit den fortlaufenden Prozess der queersensiblen Vernetzung innerhalb der EKHN gut symbolisiert haben.
Moderiert wurde das Vernetzungstreffen durch die beiden Social Media Pfarrer:innen der EKHN Lutz Neumeier und Jessica Hamm. Sie behielten bei aller Vielfalt der Beiträge und Ideen den Überblick und sorgten dafür, dass in einer zweiten Kleingruppenphase konkrete Verabredungen und Absprachen zur Weiterarbeit getroffen wurden.
- Geplant ist ein "Starterkit" für queersensible Arbeit und queersensible Gottesdienste.
- Es soll ein Curriculum für queersensible Fortbildungsmodule entstehen, das vermutlich im Zentrum Bildung der EKHN in Darmstadt angesiedelt sein wird.
- Es wird darüber nachgedacht, unter dem Namen "Regenbogenhahn" ein Qualitätssiegel für queersensible Arbeit zu erarbeiten, für das sich Gemeinden und andere kirchliche Orte bewerben können.
- Das Herzstück der Gespräche drehte sich um mögliche queersensible Beauftragungen von Personen in den Dekanaten (Kirchenkreisen). Bei diesen Personen könnten Anfragen und Bedarfe zum Thema aus der jeweiligen Region zusammenkommen und gegebenenfalls weiter vermittelt werden. Gewünscht wird, dass dafür Stundenanteile bei Hauptamtlichen bereit gestellt werden, so wie z.B. die zwei queersensiblen Pastoratsbeauftragten im Bistum Mainz jeweils mit einem Stellenanteil von je 25 Prozent ausgestattet sind. In jedem Fall wird eine sichtbare Beauftragung gefordert, damit Personen wissen, an wen sie sich wenden können. Diese Personen sollen eine Grundschuldung in queersensibler kirchlicher Arbeit durchlaufen. Diese Forderungen müssen nun mit der Kirchenleitung und anderen Gremien besprochen und weiter verfolgt werden.
Einig waren sich alle Beteiligten, dass dieses erste Vernetzungstreffen sehr wichtig gewesen ist und dass die Treffen weiter gehen sollen. Vorgesehen ist dafür ein nächstes Treffen Anfang 2026 im Zentrum Bildung der EKHN in Darmstadt. Die Stimmung war fröhlich und kreativ, hoffnungsfroh und bestärkend. Es gibt so viele Erfahrungen, Expertise und Ressourcen von queeren Personen und queerfreundlichen Allies, also Unterstützer:innen. Da bewegt sich richtig viel!
Und diese Entwicklungsschritte sind wichtig für die gesamte Kirchenentwicklung. Denn wenn diese nicht auf Respekt und Vielfalt gegründet ist, ist sie nicht zukunftsfähig.
In unserer fragmentierten und zerrissenen Welt haben kirchliche Orte das Potenzial, Begegnungs-, Verständigungs- und Schutzorte für viele zu sein, gerade für Personen aus Minderheitengruppen.
Nun muss sich zeigen, dass der Aufbruch nicht nur von der Basis, sondern auch von kirchenleitenden Gremien mit getragen wird. Queersensible Fortbildungsmodule und Beauftragungen geschehen nicht von selbst. Personal und Zeit sind begrenzte Güter. Eine klare Priorisierung einer queersensiblen Arbeit in der gesamten EKHN ist dafür notwendig.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht!