Geschminkte Männer in Röcken und Kleidern in der Kirche – kein Problem für die evangelische Pfarrgemeinde Winterhude-Uhlenhorst in Hamburg. Im Rahmen der queeren Ausstellung UnanTastbar des iranischen Künstlers Iman Scheiko, die noch gut drei Wochen dort zu sehen ist, lud Pastor Matthias Liberman mit seiner Gemeinde auch Najib Faizi ein, der als sein Alter Ego Dragqueen Najiba auftrat.
Die Wunde, die Najib an jenem Tag davontrug, verdeckte er mit Make-up, um in seinem Schmerz und seiner Traurigkeit von seinen Mitschüler:innen nicht gesehen zu werden. Dies war die Geburt von Najiba, so Najib, der im bürgerlichen Leben als ausgebildete Pflegefachkraft in einem Krankenhaus arbeitet und außerdem Pflegemanagement studiert.
Vor ein paar Jahren zeigte sich Najiba das erste Mal auf Social Media. "Najiba kommt heraus, wenn es Spaß machen soll", erklärt Najib dem Publikum in der Kirche, nachdem er einen neu einstudierten Bollywood-Tanz vor dem Altar zum Besten gegeben hat. Schminken beruhige ihn, und er freue sich darüber, dass seine Kunst Menschen zum Lächeln bringe, so wie heute. "Dieses Talent hat mir Gott gegeben", ist sich Najib sicher.
Najib findet, dass jede Religion etwas Gutes zu bieten hat: "Ich akzeptiere jede Religion, aber keine Homophobie." Der Auftritt in der Heilandskirche ist sein erster in einer Kirche.
Najib ist inzwischen mit über 140 Tausend Followern auf Instagram ein Vorbild für LGBTIQ-Menschen geworden, vor allem auch in Afghanistan. Durch seinen Auftritt als queerer Mann in Drag haben viele andere endlich Worte für etwas, das es vorher – nur vermeintlich – nicht gab. Viele identifizieren sich mit der mutigen ersten afghanischen Dragqueen.
Auch Pfarrer Liberman versteht Drag als Ausdruck von Persönlichkeit. "Ich denke, Najiba kann noch etwas Anderes sein, was Najib ganz schwerfällt. Najib hat auch etwas Trauriges und Verletztes durch die Erfahrungen. Mit Najiba ist das nicht weg, aber da darf etwas Anderes zum Vorschein kommen und strahlen", interpretiert er im Interview mit kreuz & queer Najibs Drag-Auftritt.
In seiner alten Heimat Afghanistan, aber auch in seiner neuen Heimat Deutschland, wo er nach über einem Jahr auf der Flucht mit 14 Jahren ankam, musste sich Najib immer wieder gegen Hass und Gewalt wehren. Ein Junge, der sich schminkt und feminine Kleider trägt, ist in Afghanistan ein absolutes No-go und auch hier oft Zielscheibe für rechte und queerfeindliche Menschen. Najib wurde in Deutschland auf der Straße angespuckt. Seine Familie in Afghanistan hat sich von ihm abgewendet, denn mit Najibs Auftritt als Dragqueen und seiner öffentlichen Präsenz auf Social Media kommen sie nicht klar.
Dabei ist Najib, der inzwischen 28 Jahre alt ist, ganz er selbst geblieben. "Ich hab‘ Familie, ich hab‘ Religion, ich hab‘ Stress. Dragqueen ist nur meine Rolle", erklärt Najib den gespannten Zuhörenden. "Najiba hat nur sich selbst, will sich selbst glücklich machen und Party mit Freund:innen machen. Najib hatte und hat viel Verantwortung", so Najib. Und das kennen alle Menschen – die verschiedenen Rollen im Leben: in Beruf, Familie, Freundschaften. Wir sind nicht überall gleich. Manchmal verstecken wir uns, manchmal können wir ausgelassen sein.
Die Geschichte Najibs, die von Gewalt, Flucht und erneuter Gewalt durchzogen ist, macht betroffen. Mit Najiba durchbricht er das Leid und gleichzeitig die Vorstellungen von Männlichkeit in unserer Gesellschaft.
Und das tut Najib tatsächlich – und gleich noch viel mehr, wenn er als Najiba im anmutigen weiß-silber-goldenen Dress durch die unverzierte protestantische Kirche wirbelt. Im pompösen Rock, kurzen halbtransparenten Oberteil, mit filigranem Schleier und glitzerndem Schmuck – für "Westler:innen" kurz erklärt: im Bollywood-Style – bewegt sich Najiba zur Musik.
Hinterher tanzen einige der Teilnehmer:innen mit, darunter selbstverständlich auch Pfarrer:innen. Vorher wurden wir geschminkt. Egal welches Gender: Wir bekamen Glitzer, Farbe und Komplimente von Najib und seiner Kollegin Betty, die ihn als Make-Up-Artistin unterstützte, denn schließlich wollten so einige Menschen ein bisschen Drag selbst erleben.
Najib tanzt im Kleid, erzählt seine Geschichte und singt "Bella Ciao" in seiner Muttersprache – das alles vor dem Kreuz der Heilandskirche, das Jesus mit einer filigranen Regenbogenschärpe zeigt. Dieses Szenario ist ungewöhnlich und berührt. In mir kommt unweigerlich die Frage auf: Warum kann es so etwas nicht öfter geben!?
Auch Pastor Matthias Liberman, der an diesem Abend selbst im bunten Rock kommt, findet Angebote fernab von Normalo-Gottesdiensten wichtig und erklärt im Interview: "Es gibt Menschen, die brauchen und wünschen sich einen klassischen Gottesdienst – und das ist total gut und den soll es auch geben. Ich will die gar nicht abschaffen. Aber es gibt eben viel mehr als das. Und das darf so sein und ist gut."
Vielfalt, so findet Pastor Liberman, sei keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung. "Wir müssen gar nicht immer alle einig sein und dasselbe gut finden", sagt er. Liberman hat das Projekt mit Ausstellung und Begleitprogramm sozusagen als Abschiedsprogramm in der Heilandskirche kuratiert, denn er übersiedelt nun nach zehn Jahren in der Hamburger Gemeinde Winterhude-Uhlenhorst in die Schweiz. "Das Projekt habe ich unsrer Gemeinde und mir sozusagen gegönnt", sagt er strahlend.
Sowohl die Ausstellung mit dem passenden Titel UnanTastbar von Iman Scheiko als auch der Workshop mit Najib berühren Schmerz und Würde zugleich. "Würde ist zwar unantastbar, aber dennoch erleben queere Menschen Schmerzen, denn man versucht ihnen, ihre Würde zu nehmen", so Liberman. Es sei für Menschen bedeutsam, sagen und zeigen zu können: "So bin ich. Das gehört zu mir, zu meiner Persönlichkeit", erklärt Liberman. So sei es mit Queersein, aber auch mit Behinderungen und vermeintlichen Makeln. Vielleicht findet man etwas an jemandem nicht schön, aber es gehört zur Persönlichkeit dazu.
Die queere Ausstellung mit Werken des deutsch-iranischen Künstlers Iman Scheiko, der seit zwölf Jahren in Berlin lebt, kann noch bis 8. August in der Heilandskirche bestaunt werden. Ein Besuch ist absolut empfehlenswert! Scheikos Kunst verbindet traditionelle persische Ästhetik mit queeren Lebensrealitäten von heute. Alte Teppiche, Acrylfarben, Holz und Faden erzählen von Herkunft und Identität, von Schmerz und Stolz, von Unterdrückung und Selbstermächtigung. Eine der Schwerpunkt-Arbeiten dieser Ausstellung verwebt die "Rainbow Wool" homosexueller Schafe in ein buntes und kraftvolles Werk, das ganz prominent vorne neben dem Altar platziert wurde.
Der Finissage-Gottesdienst findet am 8. August um 19 Uhr mit Pastor Alexander Bieniasz und Künstler Iman Scheiko in der Heilandskirche statt.
Kontakt:
Heilandskirche, Winterhuder Weg 132, 22085 Hamburg-Uhlenhorst
Iman Scheiko: iman-atelier.art
Najib/Najiba auf Instagram: @najibfaizi.official