Gott ist queer – so lautet der Titel des jüngst veröffentlichten (und hörenswerten) Song von Annie Heger. Im Chorus heißt es: "Hab uns gesehen, im Regenbogen. Seine Farben sind wir. Seine Hoffnung sind wir – Gott ist queer." Diese Zeilen singt Annie Heger in einer Zeit in der CSDs wegen "abstrakter Bedrohungslagen" teilweise oder ganz abgesagt werden; in einer Zeit, in der die Regenbogenflagge anlässlich des CDS nicht mehr auf dem Bundestag wehen darf; in einer Zeit in der man beobachten kann, wie Firmen und andere Einrichtungen es sich zweimal überlegen, ob sie sich öffentlich mit queeren Themen in Verbindung bringen wollen.
Gott ist queer – das sind auch die drei Worte der Abschlusspredigt von Quinton Ceasar auf dem Kirchentag 2023, die für Furore gesorgt haben. Eine Predigt, die geistreich, komplex und schmerzlich pointiert war, wurde auf drei Worte reduziert – Gott ist queer. Ein Normalitätsverstoß, ein Triggerpunkt, der die Kommentarspalten heiß laufen ließ. Dabei ist die Aussage theologisch nicht neu. Auch wenn sie erst langsam im deutschsprachigen Kontext ankommen, sind queere Theologien mit dieser Kritik und der dazugehörigen (Re)Konfiguration christlicher Gehalte schon seit mindestens 30 Jahren unterwegs. Sie verbinden Gott, Jesus, die Heilige Geistkaft usw. mit Lebensgeschichten marginalisierter Menschen und machen sie so theologisch besprechbar. "Gott ist queer" ist zwar keine neue Aussage, aber eine bedenkenswerte. Und weil sie diesen Empörungseffekt hat, lohnt es sich genauer hinzuschauen und zu überlegen, ob Verständigung nicht doch möglich ist.
Was bedeutet Gott ist queer?
In diesem Semester gebe ich ein Seminar zu queeren Theologien. Und auch dort kam bei der Frage, ob Gott queer ist, Irritation auf. Nicht so, wie ich sie aus den Kommentarspalten kenne. Nein, es ist eine andere Frage. Paraphrasiert klingt sie etwa so: "Wenn wir sagen, Gott ist queer, nehmen wir dann nicht einfach das nächste Label und packen Gott damit in eine Box? Damit soll nicht an einem männlichen Gottesbild festgehalten werden, aber das Gegenteil zu nehmen, ist doch auch irgendwie begrenzend. Bräuchte es nicht etwas, das all diese Kategorien sprengt?"
Und so führt uns der Begriff queer mitten hinein in eine Diskussion über Gott und Gottes Anders-Sein; über Begriffe und dem, was wir mit Sprache machen können (und auch nicht). In guter dialektisch-theologischer Tradition könnte man nun sagen: Gott ist das ganz Andere, an dem Worte immer scheitern müssen. Und gleichzeitig ist Sprache das, was wir haben, um unser Erleben mitteilbar zu machen (und zu reflektieren).
Aus diesem wollen, aber nicht-können und trotzdem müssen bieten queere Theologien keinen Ausweg. Ich habe noch keinen Entwurf oder Aufsatz gelesen, der diesen Anspruch erheben würde. Zugleich ist queer genau für dieses Phänomen m.E. kein schlechter Begriff: Queer kommt nämlich aus der Erfahrung des Anders-Seins und der Begriff sperrt sich gegen Festschreibungen. Der Begriff queer ist erklärbar, aber nicht willig, definierbar zu werden. Und queer ist eine Kategorie, die in einer Community immer fortgeschrieben, und immer wieder neu angereichert wird mit gelebten Erfahrungen. Insofern ist queer in meinen Augen ein passend unpassender Begriff für Gott. Aber das ist nicht alles. In den letzten zwei Jahren habe ich ein paar Dinge gelernt, die queere Theologien der Theologie als Ganzes ins Stammbuch schreiben können – und darüber lässt sich nun wirklich hervorragend diskutieren. Ich nenne diese drei Punkte das kritische, das emanzipative und das transformative Moment.
Erstens: Gott anders als gewohnt zu bezeichnen, macht den Prozess des Bezeichnens sichtbar, in dem er veruneigentlicht wird. Bei "Gott ist queer" fällt auf, dass das, was wir über Gott sagen können, immer schon begrenzt ist. Anders gesagt: Das, was die Studierenden in meinem Kurs entdeckt haben, gilt natürlich auch für klassische Formulierungen, wie: "Gott ist Liebe" oder "Gott ist der Herr der Heerscharen".
Auch dieser Art der Prädikation muss notwendigerweise scheitern.
Auch diese Worte können das geheimnisvolle und entzogene Göttliche nicht greifen.
Zugleich sind mir bei dem Satz "Gott ist Liebe" noch keine überlaufenden Kommentarspalten begegnet, obwohl damit alles und nichts gesagt ist; obwohl auch diese Aussage zu kurz greifen muss; obwohl diese Aussage in meinen Augen in der Gefahr steht, mehr zu verdecken als zu erhellen. Wenn wir also Gott mit einem anderen Begriff als gewohnt betiteln, zeigt sich etwas über unsere Gewöhnung. Und in unserer Gewöhnung zeigt sich, was wir als normal anerkennen. Und das wiederum zeigt auf, wie Normalität in unseren gesellschaftlichen Diskursen hervorgebracht wird. Gott ist queer, ist also eine Weise, die eigenen Hör- und Denkgewohnheiten aufrütteln zu lassen und dem Geheimnis Gottes nochmal frisch auf die Spur zu kommen (und darin vertrauensvoll zu scheitern). Das ist das kritische Moment.
Zweitens: Gott oder das Heilige mit dem in Beziehung zu setzen, was wir gesellschaftlich gerne in die Schmuddelecke oder den Keller verbannen, hat etwas Anerkennendes und etwas Befreiendes: Es ist eine Anerkennung für Menschen, und zwar besonders für queere Menschen und diejenigen, die Ausschlusserfahrung tagtäglich machen (müssen). Denn die Aussage Gott ist queer – stellt Gott zunächst an die Seite derer, die normalerweise nicht in der ersten Reihe unserer Kirchen sitzen. So finden wir Gott wieder in den Geschichten, die sonst christlich nicht erzählbar sind. Diese Geschichten werden plötzlich im Lichte des Evangeliums erzählt. Und ich sage mal so: Der Theologie tut das gut. Dazu kommt sodann das Befreiende für das Gottesbild. In queeren Theologien wird aus dem Gott der Befreiung auf einmal ein Gott, der befreit werden muss, und zwar aus den heteronormativen engmaschigen Gottesbildern, die wir uns über Gott machen. Das ist das emanzipative Moment.
Drittens: Die ersten beiden Momente zeigen schon: bei queeren Theologien wird aufgedeckt, dass Theologien kontextuell eingebunden sind und deswegen nicht immer so bleiben müssen, wie sie waren – und ja, das gilt auch für die transversalen Kategorien von Geschlecht, Begehren und Körper. Und sie zeigen, Theologie geschieht nicht im luftleeren Raum, sondern immer schon verbunden mit den herrschenden Verhältnissen. Ehrlicherweise lässt sich also für jede Art der Theologie fragen: Welche Machtstrukturen hält mein theologisches Gebäude denn mit aufrecht? Das ist doch die Frage, die erstmal die Tür öffnet, um über Veränderungsmöglichkeiten ins Gespräch zu kommen. Das ist die transformative Seite.
Ich hoffe, dieser kleine Beitrag konnte eins deutlich machen – queere Theologie ist keine Sondergruppentheologie. Queere Theologie ist keine Theologie, die ausschließlich von und für Queers gemacht wird. Queere Theologien eröffnen die Frage, wie wir leben wollen, mit einem besonders geschärften Blick auf die Rolle von Geschlecht, Begehren und Körper. Und unser gesellschaftliches Zusammenleben gerecht und sozial zu gestalten, das betrifft uns alle – auch in unserem theologischen Denken.
Gott ist queer – ist in diesen Zeiten nicht nur eine solidarische und mutige Aussage, sondern auch eine Art, Gott gedanklich nochmal ganz neu auf die Spur zu kommen und von dort her zu fragen, wie wir leben wollen. Und Annie Heger liefert hierfür den Song, um das in den Gemeinden und im Gottesdienst thematisierbar zu machen.