Ethiker und Palliativexperten: Assistierten Suizid nicht tabuisieren

Assistierter Suizid muss von der Kirche begleitet werden
©Jens Büttner/dpa
Ethiker und Palliativexperten diskutieren über Sterbehilfe. "Es leuchtet nicht ein, dass sich Kirche ausgerechnet beim assistierten Suizid zurücknehmen will", so Pastoralpsychologin Labitzke.
Ethiker und Palliativexperten: Assistierten Suizid nicht tabuisieren
Diskussion in Ev. Akademie Tutzing - Debatte im Bundestag
Eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema "assistierter Suizid" haben die Teilnehmer einer Online-Diskussion der Evangelischen Akademie Tutzing gefordert. Wer sich den Gesprächen um einen Sterbewunsch entziehe, tabuisiere ihn indirekt, sagte Pfarrerin Dorothea Bergmann, Leiterin der Ethik-Fachstelle der Diakonie München und Oberbayern, am Dienstagabend bei der Veranstaltung mit dem Titel "Beihilfe zum Suizid in christlicher Fürsorge". Am Mittwoch debattierte der Bundestag über das Thema.

Hintergrund der Diskussion der Evangelischen Akademie in Tutzing war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, wonach der Gesetzgeber den assistierten Suizid nicht unmöglich machen dürfe. In der evangelischen Kirche hatte sich um die praktische Umsetzung des Urteils in Einrichtungen der Diakonie seit Jahresbeginn eine Kontroverse entwickelt.

 

Ein klares Nein zur Möglichkeit des assistierten Suizids bezeichnete der Münchner Professor für Systematische Theologie und Ethik, Reiner Anselm, als falsch. Diakonie müsse weder für assistierten Suizid werben oder ihn gutheißen, sie müsse auch alles tun, um ihn abzuwenden. "Aber in letzter Konsequenz muss sie den Willen des Menschen akzeptieren - sonst ist Freiheit nur noch ein Etikett", so Anselm, der als Co-Autor eines Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Januar für die Möglichkeit des begleiteten assistierten Suizids auch in diakonischen Einrichtungen plädiert hatte.

Vor einer zu starken Liberalisierung des Freiheitsbegriffs warnte der katholische Theologe und Psychologieprofessor Eckhard Frick. "Das Horrorszenario wäre für mich eine Freiheit, die nicht mehr beachtet, dass manche Krankheiten zum Suizidwunsch führen", sagte der Facharzt für Psychosomatik. Kirchliche Einrichtungen müssten "das Leiden in den Mittelpunkt stellen und die Menschen schützen". Er befürchte durch die kommende Neufassung des Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 eine "Vereindeutlichung", die am Ende schädlicher sei als der bisherige Graubereich bei der Frage des assistierten Suizids.

"Bis zu Ende durchbuchstabieren"

Die Palliativseelsorgerin Karoline Labitzke verwies darauf, dass Seelsorger die verschiedensten schwierigen Lebenssituationen begleiteten: "Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen oder Menschen, die die zehnte Chemo machen, obwohl es sinnlos ist", so die Pastoralpsychologin. Es leuchte nicht ein, dass sich Kirche ausgerechnet beim assistierten Suizid zurücknehmen wolle. "Man muss das mit dem Team und der Einrichtung absprechen, und es darf kein Angebot unter anderen sein - aber im Einzelfall kann es dazu kommen", so Labitzke.

Pfarrerin Dorothea Bergmann von der Fachstelle für Ethikfragen der Inneren Mission.

Ein Schutzkonzept für alle Betroffenen forderte Ethik-Trainerin Bergmann - vom Suizidwilligen über das Pflegeteam und die Hausärzte bis zu den Seelsorgern. "Die Entscheidung über einen assistierten Suizid muss, wie bei anderen ethischen Fallbesprechungen, von einem multiprofessionellen Team zusammen mit dem Betroffenen getroffen werden", sagte die Theologin. Den Mitarbeitenden dürfe man dabei mehr zutrauen und müsse sie stärker einbeziehen. Diakonie habe den Auftrag, Leben zu schützen. "Aber wenn wir Menschen in der letzten Lebensphase nicht allein lassen wollen, müssen wir das bis zu Ende durchbuchstabieren", sagte Bergmann.

Der Münchner Regionalbischof Christian Kopp, der als Vorsitzender der Evangelischen Stiftung Hospiz Mitveranstalter des Abends war, forderte neben der Kultur des Lebens auch eine Kultur des Sterbens. Für Christen sei das Leben ein Geschenk. "Die christliche Haltung ist: Wir tun alles dafür, um Menschen im Leben zu halten", so Kopp. Wenn jemand jedoch für sich entscheide, nicht mehr leben zu wollen und die gesetzlichen Vorgaben einen assistierten Suizid ermöglichten, könnten diakonische Einrichtungen diese Menschen nicht einfach wegschicken. 

Spahn für neues Verbot der Suizidhilfe mit Ausnahmen

In der Debatte um eine mögliche Neuregelung der Suizidassistenz hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine Erlaubnis dieser Form der Sterbehilfe nur in engen Ausnahmen ausgesprochen. In der Bundestagsdebatte am Mittwoch im Bundestag sagte er, sein Ministerium habe einen Arbeitsentwurf erarbeitet, mit dem die Hilfe zur Selbsttötung in einem neuen Paragrafen 2017 unter Strafe gestellt würde. Gleichzeitig solle es Ausnahmen geben. Dazu zählten ärztliche Aufklärung, die Einbeziehung gemeinnütziger Beratungsorganisationen, Wartefristen und ein Werbeverbot für Suizidbeihilfe, erklärte Spahn. Eine Gruppe von Abgeordneten im Bundestag macht einen ähnlichen Vorschlag.

Spahn sagte, die Hürden zum assistierten Suizid müssten "sehr, sehr hoch" bleiben. Es dürfe unter keinen Umständen den sanften Druck geben, Angebote zur Selbsttötung "annehmen zu sollen". "Eine solche Entwicklung wäre für unsere Gesellschaft fatal", sagte Spahn, der als Abgeordneter in der sogenannten Orientierungsdebatte im Bundestag sprach.

Eine Verpflichtung des Staates, selbst Medikamente für den Suizid zur Verfügung zu stellen, dürfe es nicht geben, betonte Spahn. Dies müsse eine individuelle Entscheidung zwischen Arzt und Patient sein.