Ich hatte einmal einen Freund aus den USA. Von ihm habe ich die Tradition zu Thanksgiving (englisch für "Danksagung") schätzen gelernt. Beim Thanksgiving-Essen sagt jede Person der Reihe nach, wofür sie in diesem Jahr besonders dankbar ist. Viele Christ:innen verbinden das mit einem Gebet.
Auch ich möchte in meinem letzten Blog in diesem Jahr in erster Linie über positive Ereignisse in den Kirchen und in der Gesellschaft schreiben. Das heißt nicht, dass ich die Rückschritte wie die Ablehnung der Trauung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vergessen habe. Es schmerzt, dass wir queere Menschen immer noch ausgegrenzt werden. Doch es gab auch positive Zeichen, wie dieser Jahresrückblick zeigt. Vieles hätte allerdings schon wesentlich früher geschehen sollen. Ich frage mich, warum Gottes Bodenpersonal so lange braucht. In vielen Landeskirchen gibt es noch einiges zu tun. Doch jetzt sage ich einmal für folgende Ereignisse und Beschlüsse Danke:
1. Danke an die Landeskirche in Bayern: Ich freue mich über die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die im April 2025 die "Trauung für alle" beschlossen hat. Das bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare in Bayern auch kirchlich heiraten dürfen. Früher waren nur Segnungen möglich. Danke an Synodalpräsidentin Annekathrin Preidel. Sie rief zu einer Schweigeminute auf, um an das Leid zu erinnern, das queere Menschen in der Kirche erfahren haben.
Danke für das Gleichstellungsgesetz
2. Danke an die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers. Sie hat als erste Landeskirche in Deutschland ein dringend notwendiges Gleichstellungsgesetz verabschiedet. Darin werden neben Frauen und Männer ausdrücklich "Personen aller geschlechtlichen Identitäten" wie trans, inter und nicht-binäre Menschen angesprochen. „Alle Menschen aller geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen sollen sich in unserer Kirche sicher und zuhause fühlen“, sagte Cornelia Dassler, Gleichstellungsbeauftragte der Landeskirche. Ich wünsche mir, dass die hannoversche Kirche hier ein Vorbild für andere Landeskirchen ist.
3. Danke an die Synode der EKD: Längst überfällig war der Beschluss der Synode der Evangelischen Kirche (EKD), sich von der vor 29 Jahren veröffentlichten EKD-Orientierungshilfe "Mit Spannungen leben" zu distanzieren. Ich verstehe nicht, warum das so lange gebraucht hat. In dem wissenschaftlich und theologisch unhaltbaren Text wurde die "Heilung" von Homosexualität propagiert. So stand in der Orientierungshilfe, dass eine "homosexuelle Prägung" durch Therapie und Seelsorge korrigierbar sei. Schlimm war weiters die Ansicht, dass gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften dem Willen Gottes widersprächen und dass nur Heterosexuelle es verdienten, eine Ehe zu schließen. Es war höchste Zeit, sich von diesem Text zu distanzieren.
Veränderungen aus theolgischer Überzeugung
4. Danke an die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau: Ich freue mich über die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, die am Buß- und Bettag ihr Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen bekräftigt hat. In ihrer Ansprache sagte die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf, dass sich die evangelische Kirche konsequent auf den Weg einer diversitätssensiblen und queersensiblen Weiterentwicklung begeben habe. Sie betonte ausdrücklich, dass dieser Weg nicht aus gesellschaftlichem Druck entstanden sei, sondern aus theologischer Überzeugung: "Gott ist vielfältig und nicht festlegbar." Danke für diese Klarstellung.
5. Danke an das ZDF: Auch bei den Katholik:innen tut sich etwas. Ich bedanke mich beim ZDF, dass es im Oktober erstmals einen queeren Gottesdienst im Fernsehen übertragen hat. Gestaltet wurde er von der Queergemeinde Münster. Laut ZDF haben 700.000 Menschen zugesehen. Die Botschaft des katholischen Pfarrers Karsten Weidisch an alle Menschen lautete: "Sei du selbst, stehe zu Dir! Sei so, wie du bist, unterwegs!" Mich haben die Worte von Jan Diekmann von der Queergemeinde Münster berührt: "Viele, gerade queere Menschen, haben in unserer Kirche ein schweres Kreuz zu tragen – Anfeindung, Ablehnung, Ausgrenzung", erklärte er. Gott wolle nicht, "dass wir unter der Last des Kreuzes zerbrechen". Das Kreuz zu tragen, heiße nicht, es allein zu schultern, sondern solidarisch zu sein, zu helfen und Hilfe anzunehmen.
Eine lesbische Erzbischöfin
6. Danke an die anglikanische Kirche in Wales: Auch international gab es positive Nachrichten. Im August hat die anglikanische Kirche in Wales mit Cherry Vann zum ersten Mal eine Frau und zugleich eine offen lesbische Geistliche zu ihrer Erzbischöfin gewählt. Mich hat die Lebensgeschichte der 66-jährigen Erzbischöfin berührt. Im "Guardian" sagte sie, dass sie die Beziehung zu ihrer Partnerin Wendy Diamond lange geheim halten musste. Denn anders als bei heterosexuellen Geistlichen hatte die anglikanische Kirche in der Vergangenheit von gleichgeschlechtlich liebenden Priester:innen eine zölibatäre Lebensweise verlangt. Vann lebt seit 30 Jahren mit ihrer Partnerin zusammen. Im "Guardian" erklärte sie, sie habe früher Angst gehabt, "eines Morgens aufzuwachen und mich auf der Titelseite einer Zeitung geoutet zu sehen." Zum Glück haben sich die Zeiten geändert: "Heute ist Wendy überall mit dabei, und wenn ich Gottesdienste halte, ist das ganz normal."
7. Danke an Bundespräsident Steinmeier: Nicht nur in den Kirchen, sondern auch in der Gesellschaft sind klare Worte wichtig. Daher habe ich mich über Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefreut. Dieser erinnerte bei der diesjährigen Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Bundestag erstmals ausdrücklich auch an Menschen, die während des Nationalsozialismus wegen ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität verfolgt wurden. Es darf nie vergessen werden, dass die Nationalsozialisten auch viele tausend queere Menschen verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet haben.
8. Danke an die Organisator:innen der Budapester Pride: Mein persönliches Highlight in diesem Jahr war im Sommer die Teilnahme an der Regenbogenparade in Budapest. Ungarns Premierminister Viktor Orban hatte die Parade verboten und den Teilnehmer:innen mit Strafen gedroht. Doch wir haben uns nicht einschüchtern lassen. An der Parade nahmen 200.000 Personen teil - so viel wie nie zuvor. Niemand hatte mit einem so großen Andrang gerechnet. Ich war mit einer Delegation von Amnesty International dabei. Die Solidarität und der Zusammenhalt war überwältigend. Es ist traurig, dass die Evangelische Kirche in Ungarn zum Pride geschwiegen hat. Ich werde die Eindrücke aus Budapest nicht vergessen.
Möge es auch 2026 ermutigende Zeichen für uns queere Menschen geben! Liebe Verbündete - und liebes Bodenpersonal Gottes, bitte helft uns dabei!



