Coming-In

Coming-In
Coming-in
©Matthias Albrecht
Bahnt sich in der "frommen Welt" eine Kehrtwende an, was die Akzeptanz von Homo- und Bisexualität sowie Transgeschlechtlichkeit und Varianten der Geschlechtsentwicklung angeht? Genau dafür sprechen sich prominente Vertreter*innen aus der evangelikalen Szene auf der vor Kurzem online gegangenen Webseite Coming-in.de aus. Im Interview berichtet Dr. Benjamin Pölloth, Vorstandsmitglied von Zwischenraum e.V., was es mit dieser Homepage auf sich hat, wer dahinter steht und warum sie für den Kampf um Gleichheit so bedeutsam ist.

Albrecht: "Der Name der Homepage lautet Coming-In. Die meisten Menschen können sich etwas unter dem Begriff Coming-out vorstellen, aber was hat es mit Coming-In auf sich?"

Pölloth: "Die Idee für den Namen ist einer Mitarbeiterin in unserem Vorbereitungsteam gekommen: Leider fühlt es sich in manchen Gemeinden für Christen und Christinnen noch so an, als ob nach dem Coming-out auch ein 'Stay-out' - also bleibt draußen - kommt. Unsere Idee war, dass das eben nicht so sein soll, sondern ein Coming-out in keiner Weise dazu führen sollte, dass diese Menschen in ihren Gemeinden nicht mehr willkommen sind. Wir wünschen uns, dass Gemeinden jeden mit offenen Armen willkommen heißen, 'Komm herein' sagen und Menschen annehmen, ganz egal wie ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität ist und auch ganz unabhängig davon, wie offen sie damit umgehen."

Dr. Benjamin Pölloth

Albrecht: "Kannst Du das was ihr mit Stay-out meint noch genauer beschreiben?"

Pölloth: "Wir sind eine Gruppe von Christ*innen, die aus eher konservativen Gemeinden kommen, oft mit evangelikaler Prägung, aber auch aus evangelischen oder katholischen Kirchen oder anderen Denominationen. Und obwohl es heute ja sehr viele offene Kirchen gibt, gibt es eben auch viele Gemeinden, in denen das Thema sexuelle Orientierung - und Geschlechtsidentität vielleicht sogar noch mehr - sehr problembehaftet ist. Zum Beispiel war es auch nach meinem eigenen Outing nicht mehr erwünscht, dass ich in der christlichen Jugendarbeit mitarbeite. In vielen Gemeinden gibt es eben noch die Überzeugung, dass ausgelebte Homosexualität Sünde ist und in der Gemeinde ausgelebte Sünde nicht akzeptiert werden kann. Ich habe zwar selten erlebt, dass man wirklich aus Gemeinden ausgeschlossen wird, obwohl es auch das noch gibt, aber sehr oft ist es dieses: 'Du darfst zwar noch kommen, aber du bist kein vollwertiges Mitglied mehr. Du darfst nicht mehr mitarbeiten. Du darfst nicht mehr leiten. Und so weiter. Und das fühlt sich dann doch wieder wie ein Bleib-einfach-weg an, weil wenn ich in der Gemeinde bin, dann wünsche ich mir, dass ich als ganzer Mensch, so wie ich bin, angenommen bin und wir als Geschwister verbunden und eine Einheit sind."

Albrecht: "Sehr weit oben auf der Webseite werden die Leser*innen gefragt, ob sie euren Traum von Gemeinde teilen. Da würde mich interessieren: Was ist denn konkret der Traum von Gemeinde, um den es bei Coming-In geht?"

Pölloth: "Ganz allgemein gesprochen wünschen wir uns Gemeinden in denen jeder Mensch willkommen ist – so wie er oder sie ist. Das ist für mich das, was Jesus gelebt hat und was ja auch bei vielen für Kopfschütteln gesorgt hat. Also, dass er sich mit den Leuten umgeben hat oder gegessen hat, die sonst eher gemieden wurden und dass er sich Zeit genommen hat für die, für die man es als Letztes erwartet hätte. Und das sollte doch irgendwie auch in Gemeinden selbstverständlich werden. Unser Fokus liegt da jetzt auf einer Teilgruppe, auf lesbische, schwule, bisexuelle oder transidente Menschen, die keine solche Annahme in Gemeinden erleben. Aber natürlich geht der Traum viel weiter und gilt genauso für alle anderen Menschen, die aus anderen Gründen ausgeschlossen werden, sei es jetzt Ethnie oder sei es Herkunft, sozialer Status oder was auch immer."

Albrecht: "Wie sähe eine Gemeinde, die diesem Traum entspricht, aus? Oder anders gefragt: Woran würdest Du in einer konkreten Gemeinde merken, dass dieser Tram von Gemeinde dort schon gelebt wird beziehungsweise wahrgeworden ist?"

Pölloth: "Ich mache es wieder an meinem Beispiel deutlich: Mein Freund und ich, wir sind in eine neue Stadt gezogen und wir würden gerne wieder in eine Gemeinde gehen. Wir sind beide eher evangelikal geprägt, das ist unsere Frömmigkeit und so würden wir unseren Glauben deshalb gerne leben. Wir wünschen uns einfach, dass wir zusammen in eine Gemeinde gehen können, ohne dass wir komisch angeguckt werden oder wir uns rechtfertigen müssen, sondern es einfach heißt: 'Willkommen. Schön, dass ihr da seid', und wir merken: Das meinen die ernst und es spielt dabei gar keine Rolle, dass wir ein Männer-Paar sind."

Albrecht: "Den Traum, den du da beschreibst, den träumst Du nicht allein, sondern es gibt viele Menschen, die dieses Coming-in Projekt mit initiiert haben. Außerdem habt ihr auch eine ganze Menge Unterstützer*innen, die auch mit Statements auf der Webseite auftauchen. Sag doch mal, wer alles so dazu gehört."

Pölloth: "Es gibt eine lange Vorgeschichte zu Coming-in. Schon seit 2012 gab es vier Querdenker-Tage, die eine ähnliche Absicht hatten. Diese Querdenker-Tage wurden von Zwischenraum initiiert. Zwischenraum ist ein Verein für LGBT- Personen, die einen christlichen Hintergrund haben und die einen Freiraum suchen, um ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität mit ihrem christlichen Glauben zu vereinen. Von Zwischenraum wurden dann 2012 heterosexuelle Unterstützerinnen und Unterstützer, die in christlichen Gemeinden oder Werken aktiv sind, eingeladen und zusammengebracht. Das Ganze war damals noch richtig geheim, denn viele der Menschen, die dabei waren, mussten noch Konsequenzen befürchten, wenn herauskommt, dass sie als Theolog*innen aktiv für LGBT-Menschen beziehungsweise für eine veränderte theologische Sichtweise eintreten. Es gibt viele Menschen, die da Risiken eingegangen sind und auch Menschen, die für uns eingetreten sind und wirklich negative Konsequenzen gespürt haben. Beim letzten Querdenkertag 2019 kam dann das Thema auf, ob es noch an der Zeit ist, geheim zu sein. Ein Teilnehmer hat dann gefragt: 'Wer würde denn jetzt auch hier dabei sein und für LGBT-Menschen einstehen, wenn es eine öffentliche Veranstaltung wäre und es jeder mitbekommen würde?' Das war eine wirklich ganz emotionale Sache für uns, als daraufhin alle Teilnehmenden aufgestanden sind und wir gemerkt haben, dass es Zeit ist, sichtbar zu werden und wirklich einen Wandel in Gemeinden anstoßen."

Albrecht: "Der Name Querdenker scheint heute im Jahr 2021 politisch leider etwas verbrannt zu sein, oder?"

Pölloth: "Genau. Der Name Querdenkertag ist jetzt politisch vorbelastet, deswegen verwenden wir den nicht mehr. Aber wir denken auch, dass er inhaltlich nicht mehr so gut passt. Am Anfang der Querdenker-Tage, da meinten wir damit Menschen in konservativen Kreisen, die anders denken. Ein Teilnehmer hat beim letzten Querdenkertag aber was ganz cooles gesagt: 'Eigentlich denken doch die quer, die im Namen Jesu Leute ausschließen'. Der neue Name soll deswegen Mut machen für eine Willkommenskultur, in der wir aktiv darauf hinarbeiten, dass jeder willkommen ist."

Albrecht: "Noch mal zurück zu der Frage der Supporter*innen. Wer sind diese ehemals Querdenker*innen und heutigen Unterstützer*innen von Coming-in? Was hat diese Menschen bewogen für das Projekt einzutreten?"

Pölloth: "Es sind ganz viele Menschen, die sich da teilweise seit Jahren für uns engagieren. Das darf man nicht vergessen. Das sind zum Beispiel Pastor*innen, Lehrende an Bibelschulen, oder auch Menschen, die im Vorstand von wichtigen christlichen Netzwerken sitzen. Und deren Anliegen ist es zu sagen: 'Es kann nicht sein, dass Menschen, weil sie sind, wie sie sind in christlichen Gemeinden nicht willkommen sind. Das ist nicht nur ein kleines Problem, sondern es ist ein grundlegendes Problem, weil es dem Anliegen Jesu widerspricht'. Auf unserer neuen Homepage gibt es eine Sektion mit Statements, in denen Menschen erklären, warum Sie Coming-In unterstützen. Da sind zum Beispiel Leute dabei wie Hossa-Talk, die einen bekannten christlichen Podcast machen oder Michael Diener, EKD- Ratsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. Es sind aber auch 'ganz normale' Gemeindepastoren dabei, die zum Beispiel in der freien evangelischen Gemeinde oder in der Landeskirchlichen Gemeinschaft aktiv sind. Es lohnt sich, da rein zu gucken, die Liste wird immer weiter ergänzt und jeder, der da ein Statement geben will, ist herzlich eingeladen sich da öffentlich als Supporter zu outen."

Albrecht: "Wie eben schon angeklungen, heißt nicht nur die Webseite Coming-in, sondern es wird unter dem gleichen Titel auch zu einer Veranstaltung, die im Februar stattfindet, eingeladen, dem Coming-In digital. Das Nachfolgeformat der Querdenker-Tage. An wen richtet sich diese Veranstaltung und was erwartet diejenigen, die der Einladung folgen?"

Pölloth: "Also unsere Zielgruppe sind alle diejenigen, die haupt- oder ehrenamtlich in christlichen Gemeinden oder Werken mitarbeiten und die ein Herz dafür haben, dass alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität in Gemeinden willkommen sind. Wir hoffen, da ein Netzwerk aufbauen zu können. Ursprünglich sollte der Tag als Präsenzveranstaltung stattfinden, aber das ist wegen der Corona-Pandemie leider nicht möglich. Aber eine Präsenzveranstaltung ist dann für 2022 geplant. Dieses Jahr wird zum Beispiel Martin Grabe, der letztes Jahr in der evangelikalen Welt ein viel beachtetes Buch zum Thema Homosexualität geschrieben hat, den Input geben. Dort wird es um die Frage gehen, warum es vielen Christen so schwer fällt mit dem Thema Homosexualität umzugehen, auch dann, wenn sie vielleicht theologisch bei anderen Themen offener denken. Es wird außerdem eine Vernetzungszeit geben, in der man andere Menschen kennenlernen kann. Und es wird auch Workshops geben, in denen man ganz aktiv an bestimmten Sachen mitarbeiten kann oder sich einfach austauschen kann zum Beispiel darüber: Wie kann ich in meiner Gemeinde konkrete Schritte anstoßen, damit Menschen sich willkommen fühlen?"

Albrecht: "Es soll aus dem Coming-In ein Netzwerk entstehen, was könnte dieses Netzwerk perspektivisch leisten?"

Pölloth: "Als ich 2019 das erste Mal auf dem Querdenker-Tag war, war ich wirklich überrascht, wer alles da war. Für mich hatte es sich davor oft so angefühlt, als ob wir ein bisschen auf verlorenem Posten kämpfen, aber es ist nicht so. Es gibt ganz viele Menschen, ganz viele Christen und Christinnen, die für LGBT-Menschen einstehen. Und ich glaube, dass man als Gemeinschaft viel erreichen kann und dass viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten zusammen Großes bewegen können. Und genau das ist eigentlich die Idee dahinter, dass wir unsere Kräfte bündeln und zusammen die Menschen in den Blick nehmen, die gerade ganz massiv unter der Ausgrenzung leiden. Das Netzwerk soll befähigen, aktiv vor Ort mit Veränderungen anzustoßen. Wir wollen zum Beispiel eine Handreichung erarbeiten, die Gemeinden dabei hilft gut mit homosexuellen, bisexuellen oder transidenten Menschen umzugehen. Es geht darum, dass man diese Sprachlosigkeit, die viele Menschen haben, dass man der begegnet und ihnen etwas Konstruktives an die Hand gibt. Eine andere konkrete Sache ist die folgende: Auf der Zwischenraum-Homepage gibt es eine Liste mit sogenannten Willkommens-Gemeinden. Darauf findet man Gemeinden, zum Beispiel aus dem freikirchlichen oder konservativ-landeskirchlichen Spektrum, die sagen: 'Bei uns sind alle willkommen'. Hier hoffen wir, neue Gemeinden zu gewinnen und damit LGBT Menschen, die auf der Suche nach einer Gemeinde sind, einzuladen."

Albrecht: "Wenn jetzt Menschen diesen Blogbeitrag lesen und selber unterstützend aktiv werden wollen, welche Möglichkeiten haben sie dann?"

Pölloth: "Also als erstes ist natürlich jede und jeder, der sich für LGBT-Menschen in Gemeinden einsetzt oder einsetzen will, eingeladen, sich zu Coming-In digital anzumelden. Und man darf auch gerne die Einladung weitergeben, zum Beispiel an den Pastor, der da eigentlich ganz offen ist oder die Gemeindeleiterin, die ein Herz für die Sache hat. Man kann auch ein persönliches Statement formulieren und von uns auf die Homepage setzen lassen und dadurch öffentlich Solidarität zeigen. Man kann natürlich auch gerne für den Tag beten. Und wer auf dem neuesten Stand bleiben will, der kann sich für unseren Newsletter anmelden. Natürlich kostet das Ganze auch Geld, gerade unser Präsenztag 2022. Wer möchte, kann das auch gerne finanziell unterstützen. Alle Daten dafür sind auf der Homepage zu finden."

Albrecht: "Gibt es ein Gebetsanliegen, das Du unseren Leser*innen gerne anempfehlen würdest?"

Pölloth: "Ich war am Sonntag im Online-Gottesdienst, da wurde am Ende das Wort gesagt: 'An eurer Liebe zueinander wird man euch als meine Jünger erkennen.' Ich würde mir wünschen, dass diese Liebe sichtbar wird, allen Menschen gegenüber. Dass es weniger um Recht haben geht und viel mehr darum, dass uns wirklich die Liebe zueinander auszeichnet."

 

Dr. Benjamin Pölloth, geboren 1988, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, lebt mit seinem Partner in Tübingen und engagiert sich als Mitglied des Vorstandes bei Zwischenraum e.V..

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.