Ich hab schon viel Hassnachrichten bekommen in meinem Leben, aber derzeit sind es auch mengenmäßig so viele, dass ich es rein zeitlich nicht mehr schaffen würde, alle anzuzeigen. Und so geht es vielen öffentlichen Juden. Hinzu kommen die vielen Kommentare, die auf News-Seiten stehen.
Bei Berichten zum Thema Nahost rechnet man ja damit, aber wenn selbst unter einem Artikel über die Hochzeit von Brauner-Enkel David Zechbauer und seiner Frau Melodi sich Hasskommentare stapeln, dann trifft einen das enorm. Man liest dort zum Beispiel:
"Ihr seid Ungeziefer dieser Erde. Niemand will euch. Deutschland wollte euch damals nicht und euer Großteil wurde ausgelöscht. Palästina will euch auch nicht. Niemand will euch."
Sowas unter einem Bild, wo sich zwei Menschen das Ja-Wort geben...
Niemand will uns.
Das kommt durchaus an.
Tragischerweise hat man 1925 in Deutschland auf Demonstrationen propagiert : "Juden ab nach Palästina!" Und hundert Jahre später wird skandiert: "Juden raus aus Palästina!".
Kurz: Egal wo, wir sind nicht gewollt.
Das macht was mit einem.
Das tut weh.
Zum Glück mag uns Gott.
Ein Gedanke, der tröstet.
Aber nicht immer konkret trägt.
Jedenfalls mich nicht.
Denn die Menge an antisemitischem Hass ist riesig. Und es gibt immer weniger Orte, an denen man ihm nicht ausgesetzt ist. Man trifft ihn in den Straßenbahnen, im Café, in der Arztpraxis... Und selbst Spaziergänge gleichen inzwischen einem Spießrutenlauf, wenn man den Graffitis ausweichen will...
Und so fällt es auch mir zunehmend schwer, auf diese geballten Aggressionen nicht ebenfalls mit Hass zu reagieren. Manchmal schreibe ich mir satirisch etwas von der Seele, das hilft, die Wut loszuwerden, aber es tröstet nicht.
Aber Bücher trösten.
Und können konkret helfen.
Vor allen Dingen die Bücher unserer Vorfahren, die die Shoa überlebt haben und versucht haben, dennoch ihr Glück zu finden. Und davon gibt es erstaunlich viele. Derzeit verbringe ich deshalb wieder viel Zeit mit Eli Wiesel, mit Primo Levi, mit Uri Orlev, u.a. und vor allem auch mit Viktor Frankl. Der stellte einst fest:
„Das einzige, was sie mir nicht nehmen können, ist die Art und Weise, wie ich auf das reagiere, was sie mir antun. Die letzte Freiheit besteht darin, die Einstellung unter bestimmten Umständen zu wählen.“
Und diesen Satz habe ich mir jetzt als Bremse in meinem Kopf installiert. Als die Viktor-Bremse. Jedes Mal, wenn ich nun auf einen Hasskommentar stoße und fassungslos, wütend oder zynisch reagieren will, aktiviere ich die Viktor-Bremse in meinem Kopf. Ich atme dann einmal tief ein und aus und reagiere erst dann, wenn ich die Gefühle, die in mir ausgelöst wurden, so kontrollieren kann, dass ich wieder frei bin, um so zu antworten oder auch nicht zu antworten, wie ich es richtig finde.
Ob das dann freundlich und hilfreich oder auch mal zynisch und provokant ist, entscheide ich selbst. Ich reagiere nicht, ich agiere. Und diese Freiheit sollte sich jeder erhalten. Wir könnten damit eine Menge Hass neutralisieren. Und vor allem: Wir fühlen uns weniger ausgeliefert. In diesem Sinne wünsche ich euch - nicht nur für diese Woche - eine funktionierende Viktor-Bremse.