Katholisch und schwul: Andy Warhols Tagebuch

Foto von Andy Warhol
Andy Warhol Foundation/Netflix/Andy Warhol Foundation/Courtesy
Queere Doku-Serie
Katholisch und schwul: Andy Warhols Tagebuch
Die neue Netflix-Doku „The Andy Warhol Diaries“ zeigt den bekannten Pop-Art-Künstler im Lichte seiner katholischen Prägung und seiner Queerness. Katharina Payk hat die Serie für „kreuz und queer“ geschaut.

„Wenn man Andy sagte, dass zwei Leute heirateten, dann fragte er: Oh, ist er schwul? Ist das eine Tarnung?“, erzählt einer von Andy Warhols Freunden in der Miniserie „The Andy Warhol Diaries“, die seit März auf Netflix zu sehen ist. In der Zeit, in der Warhol lebte und als Künstler in der Öffentlichkeit stand, konnte man eine homosexuelle Identität nicht einfach so ausleben.

Pat Hackett, enge Vertraute Warhols, schrieb von 1976 an nieder, was Warhol ihr aus seinem Leben täglich telefonisch diktierte. 1989 erschien posthum das Buch mit diesen Tagebucheinträgen, die als Grundlage für die Netflix-Dokumentation, die von Ryan Murphy produziert wurde, dienten. In der Serie kommen viele verschiedene Wegbegleiter_innen Warhols zu Wort, die Stimme aus seinen Tagebüchern ist mit Hilfe von KI hergestellt worden.

Ein besonderer Fokus liegt in der Serie neben seiner Kunst auf Warhols Beziehungen und seiner Homosexualität. Da Warhol selbst nicht offen dazu stand, ignorieren auch viele Filme und Kunstbesprechungen sein Schwulsein und sein queeres Werk weitestgehend. Die Doku zeigt die Person Andy Warhol daher gefühlt „echter“ – und so greifbar bzw. verstehbar wie nie zuvor, da sie genau das unterstreicht, was sich durch Warhols ganzes Lebenswerk zieht: Queer. Und zwar nicht nur im Sinne von Homosexualität verstanden, sondern von Durchbrechung und Verquerung, von Störung und Vermengung.

Deutlich gemacht wird diese u.a. anhand von seinen Werken, die religiöse Bilder und Figurationen zitieren. So findet sich zum Beispiel in den berühmten Porträts, die er von großen Stars wie Marilyn Monroe als Siebdrucke anfertigte, der Ikonenreichtum seiner Kirche wieder. Die Kirche, in der er getauft wurde, war eine byzantinisch-katholische Kirche, die von Ikonen nur strotzte, so wird es in der ersten Folge der Serie erzählt. Religiöse Tradition wird wiederholt und gleichzeitig gebrochen, indem er christliche Bilder in einen popkulturellen Kontext stellt – und ihnen dadurch Fragen stellt. Diese Vorgehensweise wird auch in anderen religiösen Zitationen deutlich. So etwa bei seiner Madonna mit dem Preisschild und natürlich seinem berühmten letzten Abendmahl: Leonardo da Vincis Gemälde verstellt und unzählige Male kopiert, mit Farbstreifen und Werbung durchkreuzt – Werbung eines Fitnessstudios, auf der steht „Be a Somebody with a Body“ …

Andy Warhol greift in seiner Pop Art immer wieder die katholische Bildsprache auf. Jeden Sonntag ging der weltberühmte Warhol in die Messe – vermutlich als anonymer Christ, dessen katholische Sozialisierung ihm sowohl Halt und Stärke gab und ihn inspirierte als auch destruktiv auf sein Leben wirkte – besonders was seine sexuelle Orientierung und schwule Lebenswelt betraf. In der zweiten Folge der Serie identifiziert ein Kritiker eines der großen Probleme Warhols daher auch so: „Andy ist katholisch und schwul.“

Möglicherweise hielt ihn seine katholische Prägung davon ab, sich im Kampf gegen AIDS zu engagieren – wurde die Krankheit von christlicher Seite damals noch als Sünde Gottes für sexuelles Fehlverhalten missgedeutet. Für Warhol stellte HIV/AIDS, das damals fatalerweise als Schwulenkrebs bezeichnet wurde, eine enorme seelische Bedrohung dar. Warhol, der u.a. durch ein gegen ihn gerichtetes Attentat mit einer Schusswaffe körperlich eingeschränkt war und an posttraumatischer Belastungsstörung litt, konnte sich vor lauter Panik und Angst kaum solidarisch mit Betroffenen – darunter viele seiner Freunde – zeigen. Das Tragischste daran: Warhol verlor u.a. seine große Liebe Jon Gould an AIDS. Die Doku ruft die Schrecken, persönlichen Verluste und verheerenden sozialen Folgen der AIDS-Epidemie wieder in Erinnerung. Auch das ist ein starkes Moment der Produktion.

Andy Warhol kommentierte Leben und Ruhm, Tod und Zerfall in seinen Werken. Zu all dem gehörte auch die menschliche Sexualität. So sehr er sich öffentlich selbst als nicht sexuelles Wesen inszenierte, so sehr strotzen viele seiner Bilder von Sex, Erotik und Porn. Vor allem durch die Serie sexueller Fotos mit schwulen Männern schloss er Frieden mit seiner Homosexualität. Die sogenannten Sex Parts, erotische und pornografische Aktfotos und Bilder, waren politische Paintings – politisch, weil damals Sexualität zwischen Männern verboten und tabuisiert war.

Sich selbst hat er nie als sexuelle Ikone präsentiert, im Gegenteil, mehr und mehr etablierte er das Bild des asexuellen Warhols. Doch er bot denen, die mit ihrer Sexualität spielten, sie inszenierten und übertrieben, eine Bühne.

Ein wichtiger Aspekt in Warhols Werk und Leben ist seine Art mit (anderen) marginalisierten Menschen umzugehen. Er porträtierte vor allem in der Bildserie Ladies and Gentlemen trans Personen und Drag Queens, darunter fast ausschließlich People of Color wie etwa die berühmte Stonewall-Aktivistin Marsha P. Johnson. In Altered Images inszeniert sich Andy Warhol selbst in Drag: faszinierende Bilder, die in der Serie intensiv besprochen werden. Hier und auch sonst in der Doku bekommt Warhols Verletzlichkeit Raum. Die Frage danach, wer Warhol (wirklich) war, durchzieht alle Folgen der Serie.

Über sich selbst sagte Warhol, der oft als der „Mann mit dem Maskengesicht“ bezeichnet wurde: „I‘m just a freak, i can’t change it, I’m too unusual.“ Und über andere: „I like ugly people. I really do. And anyway: Ugly people are just as hard to get as pretty people, they don’t want you either.“ Dies drückt vielleicht auch die Ambivalenz zwischen seiner Suche nach Liebe und Nähe einerseits und seiner Autonomie und Eigensinnigkeit andererseits aus.

Die faszinierende und bildende Doku-Serie ist ein Must für alle Warhol-Fans, für alle, die sich mit queerer Kunst und Identität beschäftigen und gerne immer mal wieder einen Blick in die bunte und schrille Welt der 60er- bis 80er-Jahre werfen.

--

The Andy Warhol Diaries

R: Andrew Rossi

USA 2022

auf Netflix

 

 

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