Manchmal stelle ich mir vor, es gäbe keine Politik, sondern nur die schönen Dinge früh am Morgen, wenn der Tag noch unberührt ist von aller Geschäftigkeit.
Ich sehe eine Schaukel, die an einem hohen Baum befestigt ist und mich zum Himmel trägt. Hinter mir der Wald, vor mir weite Wiesen. Ich sehe zarte Spinnweben, die sich tags zuvor gebildet haben. Ich höre, wie der Tau von einem Blatt aufs nächste tropft, so still ist es. Auf den Feldern ruhen die Kühe, ganz vom Dunst umhüllt; ich kann sie atmen sehen, den Dampf aus ihren Nasen. Am Horizont erheben sich die Alpen, wie Angeber stehen sie da, bläulich-rötlich-gräulich. Kleine Sonnenstrahlen blinzeln und tauchen alles in ein neues Licht. Der Nebel hebt sich, langsam wird sichtbar, was darunter ist. Die wilden Wiesenblumen öffnen sich, die Bienen gehen an ihr Werk. Zitronenfalter fliegen ihre Morgenrunde, die Vögel fangen an zu singen, der Tau zieht sich zurück. Es duftet nach Frische und Freiheit, nach Gras und nach Gott. In der Ferne läuten die Kirchenglocken zum ersten Gebet.
Ich gehe zur Kirche und denke an nichts. Nur an die Schönheit, die mich umgibt. Eine Feder liegt auf dem Weg. Ich nehme sie mit, zur Laudes, dem Morgenlob.
Das ist mein Paradies. Da gehe ich spazieren, mein Gastrecht auf Erden genießend.
Ambrosius von Mailand, einer der Kirchenväter und Schutzpatron der Bienen und Imker, hat einmal den Satz geprägt: „Wenn ich in der Heiligen Schrift lese, geht Gott mit mir im Paradies spazieren.“ Was für eine herrliche Vorstellung.
Ich bin überhaupt ein Fan des Heiligen Ambrosius. Zum ersten Mal begegnet bin ich ihm in Mailand, in „seiner“ Basilica di Sant'Ambrogio. Dort ist er, etwas versteckt, als Mosaik zu sehen. Mit großen Augen und abstehenden Ohren. Zum Schutzpatron der Imker wurde er, weil Bienen in seinen Mund flogen, als er erst ein paar Wochen alt war und friedlich in seiner Wiege schlief. Die Tiere hatten sein Gesicht für einen Bienenstock gehalten. Doch sie stachen ihn nicht, sondern nährten ihn mit ihrem Honig. Daher soll seine Sprachbegabung kommen, sagt die Legende. Ambrosius war außerdem Jurist und ungetauft, bevor er Kirchenvater wurde. Das alles gefällt mir, weshalb ich mich kürzlich im Kloster St. Ottilien an einer Ambrosius-Ikone versuchte. Mit Bienen und Bienenstock, mit der Feder in der Hand und einem Buch unter dem Arm. Zum paradiesischen Verweilen.
Ist es naiv, davon zu träumen? Darf man das in der Welt, in der wir leben? In einer Welt voller Widrigkeiten; einer Welt der Kriege und der Angst, des Klimawandels und der Ausgrenzung? Ja, man darf, unbedingt. Denn ohne so ein Umfeld, das uns Luft und Freiheit schenkt, wie sollten wir überleben? Das Paradies, wie immer man es nennt, wie immer man es denkt, ist ein Teil des Lebens, das uns zu dem macht, was wir sind: Menschen.
Es stimmt, ich bin nur Gast auf Erden. Deshalb setze ich mich jetzt auf die Schaukel und fliege so hoch, dass ich den Himmel berühren kann. Dann beobachte ich die Bienen und Zitronenfalter, die Kühe und Spinnweben. Und freue mich an der Frische und dem Gras. Gottes Schöpfung eben.
Wie wir.