Ein Zeichen setzen

Ein Zeichen setzen
Teilnehmer des Christopher Street Day in Köln.
Foto: Caroline Seidel/dpa
Mut machen und für Offenheit werben: Unter dem Motto "Coming out in Deinem style" feierten Teilnehmer des Christopher Street Day in Köln.
Im Juni und Juli finden in vielen Städten weltweit wieder Christopher Street Day oder Gay Pride Paraden statt. Die Paraden sind bunt, schrill und provokant und verlaufen in der westlichen Welt zumeist fröhlich und friedlich. Das war nicht immer so. Und ein Zeichen von Respekt und Solidarität ist auch heutzutage vielerorts noch bitter notwendig.

Letztes Wochenende fanden Christopher Street Day (CSD) Paraden in London, Budapest und Köln statt. Ende Juni waren sie in New York und Oslo zu erleben. Und bis zum Ende des Sommers wird noch in vielen Städten weltweit bunt und queer demonstriert, gefeiert und getanzt.

Hunderttausende waren in Köln auf den Straßen. Es gab Wagen mit politischen Parolen, Soldiaritätsbekundungen und Plakate von Verbänden, queeren Netzwerken, Gewerkschaften, Firmen, Kirchen und Parteien. Musik-, Tanz- und Sportgruppen sind in der Parade mitgelaufen. Queere Gruppen aus allen Teilen der Bevölkerung fanden sich ein. Eltern waren da, Freundinnen und Freunde, Unterstützer und Bekannte aus nah und fern. 
Der CSD ist von außen betrachtet ein buntes multikulturelles Straßenfest mit Konzerten, Kultur- und Diskussionsveranstaltungen und großer Parade zum Schluss. Jüngere und Ältere egal welcher Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung feiern gemeinsam das Leben und die Liebe. Sie setzen sich ein für Respekt und Gleichberechtigung ohne Ausgrenzung und Diskriminierung. Diese bunte Vielfalt an Menschen zu erleben, ist ermutigend und stärkend. 

Wer in Köln letztes Wochenende dabei war, könnte folglich meinen, dass doch alles in Ordnung sei. Es wird friedlich getanzt, musiziert, dabattiert und gefeiert. Sogar Mitglieder von Kirchen und religiösen Verbänden zeigen mit Transparenten und Regenbogenfähnchen ihre Unterstützung. Es werden queere Gottesdienste und Segnungsfeiern angeboten, Seelsorger und Seelsorgerinnen sind präsent und ansprechbar. Viele sind da, um die Errungenschaften der letzten 50 Jahre zu erinnern und zu feiern und dafür zu sorgen, dass es in Zukunft auch so bleibt. Aber der Christopher Street Day verlief nicht immer so friedlich.

Am 28. Juni 1969 fand wie so oft damals eine gewalttätige Razzia der New Yorker Polizei in der Stonewall Bar in der Christopher Street in New Yorker Stadtteil Greenwich Village statt. Wahllos wurden damals vor allem Schwule und Transsexuelle schikaniert, gedemütigt und festgenommen. Politik, Polizei und Gesellschaft waren damals extrem homo- und transfeindlich eingestellt. Der Staat schützte die Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen nicht. Im Gegenteil, er schikanierte und kriminalisierte sie, wo er nur konnte, und grenzte sie aus dem gesellschaftlichen Leben aus. 

An jenem Abend Ende Juni 1969 haben sich erstmals viele Opfer der Razzia gewehrt. Es war der Beginn von schwul-lesbischen und transsexuellen Menschenrechtsbewegungen. Betroffene sahen sich von da an nicht mehr nur als Opfer, die sich vor staatlicher Gewalt verstecken mussten. Sie wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu selbstbewussten Subjekten ihrer eigenen Lebensgeschichten und forderten gleichen Schutz und gleiche Rechte ein. Bereits im Jahr 1970 gab es in New York einen ersten Gedenkmarsch zur Erinnerung an den Aufstand gegen staatliche Willkür und Gewalt mit etwa 4000 Teilnehmenden. Von da an wurde der 28. Juni 1969 als Beginn der  so genannten „Schwulenbewegung" gefeiert. Erst gab es diese Gedenkmärsche nur in New York und San Francisco. Später kamen andere Städte in den USA und Europa dazu. Mittlerweile werden die Paraden weltweit in vielen Ländern begangen.

Die Regenbogenfahne ist dabei das äußere Zeichen der Christopher Street Days. Überall sind sie zu sehen. Als Fähnchen in groß und klein, als Tücher, Röcke, Jacken, Regenbogenschmuck, Fächer, Stirnbänder und Taschen sind sie zu bewundern. Einfach alles ist in die Farben des Regenbogens getaucht. Klar ist das mittlerweile für viele Firmen auch ein attraktives Geschäft geworden. Aber der Regenbogen steht für weit mehr als nur für Marktanteile.

Der Regenbogen ist das Solidaritäts- und Erkennungszeichen der lesbischen, schwulen, bi*, trans*, inter* und queeren (LSBTIQ) Bewegung weltweit. Er ist 1979 in San Franzisco zum ersten Mal in diesem Sinne gebraucht worden. Seitdem schmückt der Regenbogen in vielen Ländern Cafés, Bars, Restaurants und Geschäfte, die LSBTIQ willkommen heißen. Sie versprechen mit dem Regenbogen sichere Orte, an denen Menschen Wertschätzung und Solidarität entgegengebracht wird und sie sich nicht verstecken müssen.

In der jüdisch-christlichen Überlieferung erinnert der Regenbogen daran, dass Gott einen Bund mit allen Menschen geschlossen hat (1. Mose 9). Gottes Zorn sollte von da an die Menschheit nicht mehr existenziell bedrohen. Die Menschen sollten Gott als ihren Gott anerkennen und ehren und untereinander jede einzelne Person als Gottes Ebenbild achten. Unabhängig von ihrer Hautfarbe und Nationalität, unabhängig von Alter, Genderidentität und sexueller Orientierung. Ausgrenzung und Diskriminierung verbieten sich danach. Der Regenbogen symbolisert als Bundeszeichen diesen zentralen Bundschluss zu Beginn der biblischen Erzählungen.

Darüber hinaus stehen die Farben des Regenbogens für die Vielfalt aller Lebens- und Liebesformen. Sie gehören zusammen, verschwimmen aber nicht zu einem Einheitsgrau. Niemand muss sich verstecken und verbiegen oder die persönliche Farbe unkenntlich machen. Sonst wäre das Leben uniformiert, eng, langweilig und grau. Stattdessen leuchtet der Regenbogen und ermutigt zu Vielfalt. Aber der Regenbogen leuchtet nur deshalb so faszinierend, weil alle Farben für sich stehen und trotzdem gleichzeitig eine Einheit bilden. Diese Einheit in der Vielfalt ist Gottes Vermächtnis an die Menschheit. Der Regenbogen besitzt also religiöse, soziale und kulturelle Deutungskraft. 

Auch wenn sich die Situation von LSBTIQ in der nördlichen und westlichen Welt in den letzten 30 Jahren enorm verbessert hat und auch viele Kirchen mittlerweile Segnungsfeiern oder sogar Traugottesdienste für lesbische und schwule Paare zulassen. Es kann nicht darüber hinweg täuschen, dass in über 70 Ländern LSBTIQ immer noch verfolgt und kriminalisiert werden. In acht Ländern droht Schwulen immer noch die Todesstrafe. Und auch in Europa werden offen lebende LSBTIQ immer noch Opfer von homo- und transfeindlichen Übergriffen. Auch in Berlin und Köln. Zeichen von Solidarität und Respekt sind  für viele daher nach wie vor bedeutsam, manchmal sogar überlebensnotwendig. Wachsamkeit in Zeiten von wieder erstarktem Rechtspopulismus ist geboten. Insofern ist es wichtig und richtig, Regenbogen-Zeichen zu setzen. Ob nun beim CSD in New York, Kapstadt, Sydney oder in Köln. Oder bei kirchlichen Großveranstaltungen wie zum Beispiel auf den Kirchentagen. Respekt und Solidarität sind wichtiger denn je. 

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