Man kann das Geschlecht eines Menschen nicht von außen erkennen

Man kann das Geschlecht eines Menschen nicht von außen erkennen
Foto: Matthias Albrecht
Die transsexuelle Pfarrerin Dorothea Zwölfer spricht im Interview über den kirchlichen Umgang mit transsexuellen Menschen, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Petition zum Selbstbestimmungsgesetz, das das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen soll.

ALBRECHT: Wie nimmst Du die Situation transsexueller Menschen in der evangelischen Kirche heute wahr, besonders in Deiner eigenen, der Bayrischen Landeskirche?

ZWÖLFER: Ich erlebe in der Kirche sehr viel Offenheit und Entgegenkommen. Das habe ich in Landshut schon erlebt, wo ich in der Kernphase meiner Geschlechtsangleichung war, aber eben jetzt danach auch. Vor allem die Ebene der Vorgesetzten ist absolut positiv. Von meinem Gefühl her, kann ich mich nicht beschweren, im Gegenteil. Dafür dass Transsexualität für die meisten ein wirklich absolut fremdes Gebiet ist, haben sich eigentlich alle sehr, sehr wohlwollend verhalten und versucht, mir entgegenzukommen wo es nur gerade geht. Was etwas schwieriger ist: Der Pluralismus in der evangelischen Kirche ist einerseits wichtig und gut, aber es gibt leider auch fundamentalistische Gruppen, wo man einfach spürt, die können mit mir nichts anfangen, gelinde gesagt. Vor allem auch, weil ich und meine Frau weiter verheiratet sind. Das ist ja eigentlich das, was sich Jesus wünscht, aber da kommt dann das Argument: "Zwei Lesben im Pfarrhaus, das geht ja gar nicht und es geht gegen die Bibel". Und dann kommen die üblichen Stellen über Homosexuelle, anstatt dass man mal darüber nachdenkt, wie kann das eigentlich funktionieren, dass man so eine Stelle eins zu eins auf heute überträgt. Bei anderen Bibelstellen macht man das nicht, aber gerade bei Sexualfragen, da werden fünf, sechs Stellen hochgehalten und andere Stellen nimmt man dann nicht mehr wörtlich und das finde ich etwas merkwürdig. Das ist in der evangelischen Kirche ein Phänomen kleiner Gruppen, die halt da sind. Aber im Großen und Ganzen, in der normalen Kirchengemeinde, da sind sehr, sehr viele Menschen, die schätzen, dass man da einfach offen ist und Transsexualität ist da in der Regel auch kein großes Thema mehr.

ALBRECHT: Du sagst, es gibt Menschen, denen Du begegnest, die sagen: "Transsexualität und Christ_insein, das geht nicht zusammen". Was entgegnest Du Menschen, die Dich mit so einer Position konfrontieren?

ZWÖLFER: Für mich geht das schon zusammen. Ich versuche dann meine Position darzustellen. Ob sie das aufnehmen ist eine andere Sache, aber von meiner Seite gibt es immer das Angebot zum Gespräch. Ich erkläre das so, dass es eben viele Phänomene in unserer Welt gibt, die wir nicht erklären können, wo wir auch fragen: "Wie kann Gott das zulassen?" Meistens kommt die Aussage: "Gott hat Dich doch als Mann oder Frau geschaffen und deshalb ist es eine Sünde gegen Gott, wenn Du Dein Geschlecht angleichst, weil Du akzeptieren musst, dass Du so bist wie Du von Geburt an bist". Aber, bei einer Krankheit muss man das ja auch nicht akzeptieren, da geht man auch zum Arzt und lässt sich helfen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Leid zu beheben, dann finden sich in der Bibel, gerade bei Jesus dauernd Beispiele, wo er aufruft, Leid zu vermindern. Er selbst hat Leute geheilt und er hat auch seine Jünger aufgefordert, Leid zu beheben und zu beenden, zum Beispiel durch caritative Tätigkeit oder in dem man Leute zum Arzt zu schickt. Wenn Jesus die Leute geheilt hat, dann hat er es bestätigen lassen, wie beim Aussätzigen, da sagt Jesus, der Aussätzige solle sich dem Priester zeigen. Der Priester war damals letztlich der Arzt.

Ich bin sicher, wenn Jesus direkt mit Transsexuellen zu tun gehabt hätte, dann würde er da wahrscheinlich genau die gleiche Haltung haben wie sonst auch. Von daher denke ich, wenn man das erste Kapitel Genesis verabsolutiert, dann überlegt man nicht genügend über den Sinn und den roten Faden von Entwicklungen innerhalb der Bibel. Ich denke es ist ganz wichtig, dass man sich Gedanken macht, dass die Bibel eben über viele Jahrhunderte entstanden ist und auch an verschiedenste Adressaten gerichtet ist. Und das es eben auch Phänomene gibt, die in der Bibel gar nicht vorkommen, Dinosaurier etwa, die kommen im ersten Kapitel Genesis nicht vor, aber jeder vernünftige Mensch würde sagen: "Ja klar, gab es die". Ganz ähnlich Luther in Bezug auf Donner und Blitz. Luther hat bei dem Gewitter gedacht, wenn Gott mich verschont, dann werde ich Mönch und hat ein entsprechendes innerliches Gelübde abgelegt. Wir würden heute sagen: "Ja, okay, aber ich weiß heute, dass Gewitter ein physikalisches Phänomen ist, das würde ich jetzt gar nicht direkt mit Gott in Verbindung bringen.“ Natürlich kann eine solche Angst elementar sein. Wenn man aber ins Deutsche Museum geht, da sieht man den Faradayschen Käfig und da weiß man, wenn man im Auto sitzt und das Metall einen umgibt, dann kann eigentlich nichts passieren. Und deshalb gehen wir heute ganz anders mit solchen Phänomenen um als eben die Leute zu der Zeit von Martin Luther. Genau so hat sich in der Medizin ja enorm viel verändert. Wenn jetzt ein Kind Epilepsie hat, dann würden wir heute auch nicht sagen, wie zur Zeit Jesu, man treibt Dämonen aus, sondern man geht zum Neurologen und sagt: "Du kriegst ein Medikament gegen Epilepsie". Und ich denke, es ist genauso im Sinne Jesu, dass man die Welt erschließt, erforscht und versucht, das Wissen zu sammeln. Bei Transsexuellen ist es ja so, dass die Neuroforschung seit 1995 enorm viele Sachen aufgedeckt hat und da muss man sich eben auch mal auf den aktuellen Stand einlassen und kann nicht so tun, als ob die Wissenschaft dazu gar nichts zu sagen hätte. Ich denke, Bibel und Wissenschaft das muss zusammengehen für einen aufgeklärten Christen. Glaube und Vernunft gehört zusammen.

ALBRECHT: Du hast gerade Genesis Kapitel eins erwähnt. Es gibt auch zu Transsexualität eine Debatte um Schöpfungsordnung, wo diese Stellen aus Genesis eine zentrale Rolle spielen. Glaubst Du, dass das der theologische Knackpunkt in der Diskussion um Transsexualität ist?

ZWÖLFER: Dieser Begriff der Schöpfungsordnung wurde in der Zeit des Nationalsozialismus hochgehalten, vor allem in der lutherischen Erlanger Theologie. Karl Barth hat sich ja sehr kritisch gegenüber diesen ganzen Begrifflichkeiten geäußert, er hat sinngemäß gesagt: Wer war denn schon dabei, als Gott den Menschen geschaffen hat – das ist letztlich immer noch ein Geheimnis, wie das genau abgelaufen ist und was sich Gott dabei gedacht hat. Angesichts dessen, was die Neuroforscher sagen, ist es sehr, sehr schwierig von einer starren Ordnung zu reden. Da ist es eher so, dass es eine unendliche Vielfalt gibt an Möglichkeiten, was während einer Schwangerschaft passieren kann. Genauso wie Contergan und andere Medikamente eben zu entsprechenden Schwierigkeiten bei ungeborenen Menschen führen, ist es eben bei uns Transsexuellen auch so, dass man annimmt, da gibt es irgendetwas, vorgeburtlich, wo sich eben das Gehirn anders entwickelt als der Rest vom Körper. Und dann merkt man irgendwann im Laufe des Lebens, dass da was nicht passt und dann bleibt eigentlich nur die Möglichkeit seinen Körper anzugleichen, weil das Gehirn eben konstant sagt: "Da stimmt was nicht." Daher denke ich, Begrifflichkeiten wie Schöpfungsordnung, die letztlich mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt nicht mehr zusammenpassen, muss man nicht unbedingt weiterverwenden.

Es gibt in der Bibel auch die ganze Thematik der Eunuchen. Die kommen sowohl im Alten als auch im Neuen Testament vor. Der Kämmerer in der Apostelgeschichte zum Beispiel, von dem wird geschrieben, dass der Heilige Geist den Philippus beauftragt, diesen Menschen zu taufen. Und wenn man die damalige griechische Gesellschaft anschaut, dann war ein Eunuch jemand, der keinen Penis mehr hatte oder keine Hoden. Die ForscherInnen zum Thema Transsexualität gehen davon aus, dass Transsexualität zu allen Zeiten und in allen Kulturen existiert hat, weil es eben ein biologisches Phänomen ist und nicht eine Sache des Livestyle. Insofern ist eine Frage, wo findet man Transsexuelle in der Antike, in welchem biblischen Teil kommt es vor, in welchen anderen antiken Texten und so weiter. Ich gehe davon aus – und auch Prof. Dr. Joan Roughgarden, die auch in Frankfurt bei der Tagung Transsexualität in Theologie und Neurowissenschaften dabei war – dass die Eunuchen, also dieser Weg des Kastratentums, eine Möglichkeit waren, dass man damals in der Antike den Leidensdrucks der durch Testosteron verursacht wird so lösen musste, weil es keinen anderen Weg gab. Und natürlich gab es noch die, die von Geburt an, sagt Jesus, ungewollt kinderlos sind und das Wort was für diese Menschen bei Matthäus steht, das hängt mit dem Wort Eunuchen zusammen. Es gibt Eunuchen, die das von Geburt an sind und welche die dazu gemacht wurden und da ist auch die Frage, war das freiwillig oder war das immer Zwang? Natürlich, es gab welche die den Harem bewachen sollten oder wollten oder mussten und die dann zwangsweise kastriert wurden, was dann sicherlich nicht in deren Sinne war. Aber wenn man in der Antike transsexuell gewesen ist – und diese Problematik ist primär eine körperliche – dann denke ich, hatte man in der Antike nur diese Möglichkeit gehabt, das Problem anzupacken. Oder es gibt auch Bibelstellen zur Länge der Haare, da werden auch so Vorstellungen ausgedrückt, was Männer und Frauen für Haarlängen zu tragen haben – warum soll es da nicht auch schon Leute gegeben haben, die dagegen verstoßen haben gegen diese Trennung der Geschlechter und die das eben auch nicht akzeptiert haben, sonst denke ich, macht es auch keinen Sinn, dass man solche Stellen überhaupt aufschreibt, das muss einen Hintergrund gehabt haben. Da kann man viel spekulieren, ich will das nicht weiter vertiefen, aber ich gehe davon aus, dass es Transsexuelle in der Antike auch gab, nur dass sie nicht so bekannt waren wie heute wo man das Internet hat.

ALBRECHT: Was für Maßnahmen könnten die Landeskirchen, aber auch die Gemeinden vor Ort ergreifen, damit es den transsexuellen Geschwistern bessergeht?

ZWÖLFER: Ich kenne Berichte von transsexuellen Geschwistern, die sagen: "Ich wurde rausgeekelt, ich wurde hier überhaupt nicht gern gesehen." Das ist natürlich bitter. Ich habe selber erlebt, dass ich aus dem Gebetskreis rausgeflogen bin. Wo ich mir auch denke: Vorher laden sie einen ein und dann soll ich wieder gehen, weil ich bin wie ich bin. Ich glaube eine Gemeinde sollte grundsätzlich versuchen, eine einladende Gemeinde zu sein, egal ob die Menschen transsexuell sind oder nicht. Natürlich, wenn es um Sexualmoral geht, ist es gut, wenn Kirchenleitung und auch Gemeindeleitung mal drüber nachdenkt, was können wir tun? Die Landeskirche von Hessen-Nassau ist gerade dabei, eine Broschüre zum Thema Transsexualität zu erarbeiten, die dann auch an die Kirchenvorstände verteilt werden soll. Ich fände es gut, wenn das andere Landeskirchen auch machen - wenn sie informieren und so Ängste abbauen, weil vieles hat einfach mit Unwissenheit zu tun. Da sind Klischees in den Köpfen, die einfach nicht passen und die meisten Medienberichte sind eben relativ knapp und helfen einem auch nicht viel weiter. Wenn man sich genauer informiert, merkt man oft, dass es ganz anders ist.

ALBRECHT: An wen könnten sich denn Gemeinden wenden, die sich positiv mit dem Thema Transsexualität auseinandersetzen wollen?

ZWÖLFER: Es gibt das Amt für missionarische Dienste in der Kirche, die sind so generell für die Frage danach da, wie man eine offene, einladende Gemeinde wird. Da weiß ich natürlich nicht, ob die sich mit Transsexualität auskennen. Von denen müsste mal ein Impuls kommen, sich zu informieren, wie ergeht es den Transsexuellen eigentlich.

Es gibt die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (Dgti), die hat das Heft Reformation für Alle* - Transidentität / Transsexualität und Kirche herausgegeben, das kann man kostenfrei beim Bundesfamilienministerium bestellen, das wäre eine Möglichkeit, sich mal so ein Heft zu besorgen. Und über die Dgti kann man auch versuchen, Leute zu bekommen, die selber transsexuell und aus der Nähe sind und einen aufklären.

ALBRECHT: Das aktuelle Transsexuellengesetz (TSG) ist ja mittlerweile von mehreren Seiten sehr scharf kritisiert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt und das mehrfach. Kannst Du für unsere Leser_innen kurz umreißen, was das für ein Gesetz ist und was die Hauptkritikpunkte daran sind?

ZWÖLFER: Als das Gesetz geschrieben wurde, ging man davon aus, dass transsexuelle Menschen psychisch krank sind und dass Transsexualität therapierbar ist. Das war so in den 1970er Jahren die Vorstellung, dass da irgendein frühkindliches Trauma vorhanden ist. Man ging davon aus, Transsexuelle brauchen Therapie und bevor man irgendwelche Hormone gibt oder Namensänderungen muss man erst mal sechs Monate Therapie machen. Das ist heutzutage aber nicht mehr Stand der Forschung. Im Transsexuellengesetz geht es erst mal speziell darum, wie es geht, wenn man seinen Namen und seinen Personenstand ändert. Und da war es früher so, dass man sich erst mal scheiden lassen musste. Das wurde erst 2008 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, dieser Scheidungszwang. So dass wir heute im Transsexuellenrecht de facto die Situation haben, dass transsexuelle Menschen weiter verheiratet sein können, auch wenn die Ehe danach gleichgeschlechtlich ist, was bei homosexuellen Menschen bis jetzt noch nicht geht. Der zweite Punkt, den das Bundesverfassungsgericht kritisiert hat war, es wurde im Transsexuellengesetz ursprünglich eine große und eine kleine Lösung angedacht. Die kleine Lösung bedeutet, dass man nur den Vornamen ändert und die große Lösung bedeutet eben auch, dass man den Personenstand ändert. Praktisch heißt das, bei der kleinen Lösung geht ein Brief dann an Frau Markus Müller, wenn´s die große Lösung ist an Herrn Markus Müller. Für die große Lösung wurden aber entsprechende chirurgische Maßnahmen vorausgesetzt und das hat das Verfassungsgericht 2011 auch gekippt. Und was dazu noch kommt, ist, dass man für eine Personenstands- und Vornamensänderung zwei psychiatrische Gutachten braucht, die man in der Regel auf eigene Kosten bezahlen muss. Diese Gutachten gibt es bis heute, das ist Stand des Gesetzes, das ist noch nicht abgeschafft. Das bedeutet, je nach Gutachter, an den man gerät, dass man einen sogenannten Alltagstest machen muss. Das heißt, man sieht aus wie ein Mann, der sich als Frau verkleidet und dann bekommt man vom Gutachter unter Umständen noch so Bemerkungen wie: "Sie könnten sich ruhig weiblicher anziehen", weil man irgendwelchen Klischees des Gutachters nicht entspricht. Da gibt es alle möglichen skurrilen Erfahrungen mit Gutachtern. Es ist eine Zeitverschwendung und eine Geldverschwendung und letztlich könnten die Psychotherapeuten ihre Zeit sinnvoller einsetzen als für so einen Unfug. Es ist wissenschaftlich einfach klar, dass transsexuelle Menschen nicht therapierbar sind, dass das keine Krankheit, sondern eine angeborene Variante im Gehirn ist, die eben Teil der Vielfalt der Biologie ist. Da braucht man nichts therapieren, da geht man am einfachsten zum Standesamt und lässt das da ändern. In anderen Ländern ist das zum Teil schon der Fall, etwa in Malta oder Argentinien. Das ist eben der Grund, warum die verschiedenen Initiativen unter anderem von Transsexuellen sagen: "Wir wollen, dass das geändert wird!" Und die haben dann Druck gemacht auf die Politik. Und dann haben die Parteien im aktuellen Koalitionsvertrag beschlossen, dass sie das beobachten wollen und haben zwei Rechtsgutachten beauftragt. Und diese Gutachten haben letztlich deutlich gesagt, das vorhandene Transsexuellengesetz ist überflüssig und völlig veraltet. Jetzt ist es aber so, dass man denken könnte, dann müsste das Gesetz in der laufenden Legislaturperiode noch geändert werden, aber das sieht ja nun nicht mehr so aus.

ALBRECHT: Statt einem Transsexuellengesetz (TSG) fordern BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN jetzt ein Selbstbestimmungsgesetz – eine Forderung, die Du teilst. Was ist das, ein Selbstbestimmungsgesetz?

ZWÖLFER: Die GRÜNEN um Volker Beck herum haben ein Selbstbestimmungsgesetz erarbeitet, in dem gesagt wird, jeder Mensch muss selbst entscheiden können, welches Geschlecht er beim Standesamt eintragen lässt – da braucht es keine Gutachten mehr. Was an dem Gesetz noch interessant ist: In § 6 ist klar geregelt, dass Transsexuelle medizinische Unterstützung brauchen. Denn das ist eine der großen Ängste Transsexueller, dass, wenn an dem Transsexuellengesetz etwas geändert wird, dann die medizinische Versorgung nicht mehr sichergestellt wird. Deshalb ist die medizinische Versorgung in diesem Gesetzentwurf noch mal explizit erwähnt. Der Entwurf bietet die Möglichkeit zu sagen: "So, Krankenkasse, hier steht es schwarz auf weiß im Gesetz drin, das muss jetzt bezahlt werden". Das ist im Moment ein großes Problem, zum Beispiel, wenn es um Epilation geht, dass da transsexuelle Menschen erleben, wie sie hingehalten werden und die Krankenkassen manchmal sagen: "Ja, die Operation war ja noch nicht". Dabei dürfen die Krankenkassen das eigentlich gar nicht. Es ist momentan einfach eine schwierige Lage für viele, eine vernünftige Epilation zu bekommen. Wenn man da Theater hat mit der Krankenkasse, dann ist es für viele echt mühsam - da muss man letztlich prozessieren und das kostet sehr viel Kraft. Man hat ja schon genug Stress mit anderen Sachen und es ist eine zusätzliche Belastung, die nicht sein muss. Und da erhoffen wir uns von dem Selbstbestimmungsgesetz einen deutlichen Fortschritt, wenn es endlich kommt.

ALBRECHT: Du hast zum Selbstbestimmungsgesetz zusammen mit anderen eine Petition gestartet. Was ist das für eine Petition und was sind ihren Kernforderungen?

ZWÖLFER: Die Kernforderung ist, dass dieses Selbstbestimmungsgesetz mit ein paar kleinen Änderungen im Bundestag auf die Tagesordnung kommt und eine Entscheidung getroffen wird, dass es geltendes Recht wird und das vorhandene Transsexuellengesetz dadurch abgelöst wird. Konkrete Änderungen sind, dass das Gesetz auch im Sozialgesetzbuch mit verankert wird, damit wirklich klar ist, das betrifft auch den Bereich der Gesundheitsvorsorge. Im Sozialgesetzbuch gibt es die Verpflichtung wegen einer Risikoschwangerschaft, dass man da die entsprechenden medizinischen Hilfsmaßnahmen bezahlt bekommt, obwohl ja eine Schwangerschaft an sich keine Krankheit ist. Und so ähnlich ist es, denk ich notwendig, dass im Sozialgesetzbuch was dazu steht, dass eben transsexuelle Menschen auch Hilfe brauchen, auch wenn es keine Krankheit im psychischen Sinne ist. Dass man, um Leid zu verhindern - also bevor die Transsexuellen wirklich krank werden - dass man da sagt: "Ja, da ist präventiv medizinische Hilfe nötig". Man findet die Petition hier.

ALBRECHT: Eine weitere Forderung ist, dass in dem Gesetz an Stelle von Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität von Selbstbestimmung des Geschlechts gesprochen wird. Was hat es damit auf sich?

ZWÖLFER: Es gibt in der Community der Transsexuellen, Transgender und transidenten Menschen verschiedene Streitpunkte, unter anderem über Begriffe. Zum Beispiel die Frage, welcher Begriff passt. Sind wird transsexuell, transgender oder transident? In Amerika sagt man in der Regel Transgender. In Deutschland sagen viele lieber transsexuell, aber manche sagen: "Nein, das hat so einen Rotlichtmilieu-Aspekt, das will ich nicht, deshalb nenne ich mich lieber transident, denn es geht um Identität". Und dann gibt es auch wieder Diskussionen um die Frage, was ist denn eigentlich Identität. Da gibt es Leute, die sagen: "Es ist mein Körper und da geht es um Körperlichkeit und nicht um irgendeine abstrakte Identität oder um irgendein Konstrukt namens Identität, sondern es geht ums Geschlecht selbst". Und von Geschlecht statt Geschlechtsidentität zu reden ist der Versuch, diesen beiden Gruppen gerecht zu werden. In meinem Blog habe ich über die Kritik am Begriff „Geschlechtsidentität“ mehr geschrieben.

ALBRECHT: Ihr fordert auch ein Verbot der Genitalverstümmelung an intersexuellen Kindern. Kannst Du das näher erläutern?

ZWÖLFER: Es ist ja heutzutage immer noch so, dass kleine Kinder, die intersexuell sind, kurz nach der Geburt, wenn man merkt, sie sind intersexuell, einem bestimmten Geschlecht zuordnet. Zum Beispiel sagt man: "Das ist ein Mädchen". Und dann macht man eine genitalangleichende Operation, wie man sie eigentlich bei transsexuellen Menschen macht, die das eben bewusst machen wollen. Und das ist eben schwierig. Man kann von außen eben das Geschlecht eines Menschen nicht erkennen und ein intersexueller Mensch kann sich erst später äußern und erst dann sagen: "Die Operation war falsch“. Aber dann ist es zu spät! Darum muss das unbedingt gesetzlich geregelt werden. Und es ist wichtig, dass man erst, wenn man einwilligungsfähig ist und sich äußern kann, dass man erst dann frühestens irgendwelche medizinischen Maßnahme ergreift – im Einverständnis, möglichst selbstbestimmt durch die Persönlichkeit, die es betrifft und nicht durch die Eltern. Natürlich gibt es viele Eltern, die haben Angst. Die fragen: "Was blüht meinem Kind, wenn es in den Kindergarten kommt?“ Und manchmal machen auch die Ärzte umgekehrt den Eltern Druck, die sagen dann: "Stellen sie sich vor, ihr Kind kommt in den Kindergarten und dann wird es gemobbt." Das sind dann meistens solche Angstszenarien. Daher ist es besser, man sagt da klar vom Gesetzgeber: "Nein, es macht keinen Sinn." Das vermittelt sowohl den Eltern als auch den Chirurgen: Das Kind ist so wie es ist und es ist gut so. Und dann wenn es soweit ist, dass es genauer weiß, was es selber will und was es ist, dann kann es selber entscheiden, ob es überhaupt irgendeine chirurgische Maßnahme möchte oder nicht. Und ich denke, dass ist letztlich der Kern von Selbstbestimmung, dass man eben selber entdecken muss und dass es eben nicht von außen aufgedrückt wird.

ALBRECHT: Ihr begründet Eure Petition mit theologischen und anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen, kannst Du diese einmal kurz umreißen?

ZWÖLFER: Einer der Knackpunkte ist die Neuroforschung. Da sagt Milton Diamond, das entscheidende beim Geschlecht ist das Gehirn, das wichtigste Geschlechtsorgan ist letztlich das Gehirn und sitzt zwischen den Ohren.

Wir sagen: "Man muss präventiv tätig werden und nicht erst, wenn Menschen krank geworden sind". Bis jetzt ist es ja meist so, dass gesagt wird: "Man muss den Leidensdruck beweisen." Also wenn ein Mensch eine Depression entwickelt hat oder einen Suizidversuch, dann wird gefragt: "Warum machst Du denn einen Suizid?“ Und wenn der dann sagt: "Weil ich mit meinem Körper nicht klarkomme." Erst dann heißt es: "Ja, das ist jetzt eindeutig ein transsexueller Mensch, jetzt muss ich da aktiv werden als Mediziner". Und wir sagen: "Das ist Schmarrn, dass man wartet bis der Mensch krank ist." Wenn einer sagt: "Ich weiß es und ich brauche Hilfe“, dann muss das Motto sein: "Das akzeptieren wir so."

Wir wollen Shared Decision Making, das heißt, dass nicht der Arzt die Ideen hat, was man tun muss, sondern dass man gemeinsam auf Augenhöhe agiert. Das ist momentan nicht immer der Fall, gerade wenn es um Hormone geht zum Beispiel, da sind dann manche Endokrinologen, die verordnen Medikamente, die massive Nebenwirkungen haben.

Der Bundestag wurde ja vom Bundesrat aufgefordert, das Transsexuellengesetz zu ersetzen, das ist auch ein wichtiges Argument, es ist nicht so, dass die Initiative von ein paar wenigen Leuten kommt, sondern von drei Bundesländern, die das Transsexuellengesetz ändern wollen.

Theologisch gesehen ist mir wichtig, dass jeder Mensch Gottes Ebenbild ist und das Transsexuelle deshalb die gleichen Rechte haben müssen wie alle anderen auch. Und ich meine, wenn jemand heiratet, muss er auch nicht zum Gutachter, auch wenn jede dritte Ehe auseinandergeht. Deshalb muss das bei uns Transsexuellen auch einfacher werden.

ALBRECHT: Gibt es ein Gebetsanliegen, das Du den Leser_innen des kreuz&queer-Blogs ans Herz legen möchtest?

ZWÖLFER: Es wäre schön, wenn die Leute dafür beten, dass Kirche transsexuelle Menschen bewusst wahrnimmt und einladend wird für transsexuelle Menschen.

 

Dorothea Zwölfer (53) lebt mit ihrer Ehefrau in Mühlhausen, sie ist evangelische Pfarrerin in den Gemeinden Mühlhausen sowie Weingartsgreuth und ist außerdem beratendes Mitglied von trans-evidence.

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.