Seelische Hilfe bei wummernden Bässen

Festival Besucher:innen sitzen auf der Wiese
Aranxa Esteve /Unsplash
Auch bei sonnigem Festivalwetter kann es in der Seele dunkel sein.
"Hurricane"-Festival-Seelsorge
Seelische Hilfe bei wummernden Bässen
Knapp 80.000 Musikbegeisterte feiern bis Sonntagabend in Scheeßel nahe Bremen beim "Hurricane"-Festival. Wer auf dem riesigen Gelände Hilfe sucht, findet sie beim erfahrenen Seelsorge-Team des Pastors Ulrich Wilcket.

Die Zeltwand vibriert, von draußen hämmern wummernde Bässe ins Innere. Der Lärm von knapp 80.000 feiernden Menschen ist selbst unter der Plane des Seelsorge-Zelts ohrenbetäubend. Ulrich Wilcke (69) beginnt gerade seine Schicht als Festival-Seelsorger und knöpft sich seine violette Weste zu. "Diese langen Klamotten", stöhnt er bei stehender Hitze im Zelt. Aber sie sind sein Erkennungsmerkmal: Auf dem "Hurricane"-Festival, einem der größten Musikfestivals Deutschlands, engagiert er sich als leitender Notfallseelsorger. Die Farbe Lila weist ihn und sein vierköpfiges Team als Ansprechpartner für all jene aus, die seelische Hilfe suchen.

Wo gefeiert und viel getrunken wird, gibt es auch Menschen in Not: 50 bis 60 Einsätze sind es pro Tag, sagt Wilcke. Der Pastor aus Achim ist zum 25. Mal dabei. "Als ich 1999 angefangen habe - damals noch ganz alleine im Bereitschaftsdienst auf Abruf - hat sich gezeigt, dass der Bedarf groß ist." Seit Anfang der 2000er Jahre ist das Seelsorge-Team deshalb zum festen Bestandteil des Festivals geworden. Insgesamt zehn Seelsorgerinnen und Seelsorger sind nun dabei. Die langen Schichten beginnen nachmittags und enden erst weit nach Mitternacht. Auch bis in die frühen Morgenstunden ist immer jemand vor Ort.

"Wir müssen uns oft Sprüche anhören, dass wir hier ja nur Liebeskummer behandeln", sagt Wilcke. "Aber die Probleme liegen oft tiefer, die Menschen befinden sich meist schon zu Hause in psychischer Not", weiß der Ruheständler. Auf dem Festival können sich Gefühle dann im Positiven wie im Negativen verstärken. Ob ausgewachsene Lebenskrise, Panikattacken oder nur ein verlorenes Handy: "Wir nehmen alles ernst."

Im vergangenen Sommer konnte ein junges Mädchen nachts ihr Zelt nicht wiederfinden und geriet in Panik, erinnert sich der Pastor. "Menschen brauchen manchmal bei ganz banalen Dingen jemanden an ihrer Seite, der beruhigend auf sie einwirkt", bericht der 69-Jährige. Am Ende fanden sie das Zelt - samt ihrem eingeschlafenen Freund.

Codewort für sexuelle Übergriffe

Aber nicht alle Situationen, die Wilcke und andere Seelsorgerinnen und Seelsorger des evangelischen Kirchenkreises Rotenburg betreuen, sind zum Schmunzeln. Auf riesigen Festivals gibt es auch immer wieder mal sexuelle Übergriffe. Seit Jahren hat sich dafür das "Panama-Konzept" etabliert. Die Frage "Wo geht's nach Panama?" dient dabei als Codewort für Betroffene, die sofort zur Betreuung in einen speziellen Ruheraum begleitet werden.

Wilckes Mitarbeitende sind dafür jedoch nicht hauptverantwortlich, sondern ein anderes, eigenständiges Team. Ganz so glücklich findet er das nicht und erläutert: "In manchen Fällen denke ich, dass Pastoren hierfür besser qualifiziert sind." Dabei geht es ihm nicht um die Kirche, die in den Seelsorge-Gesprächen nur eine Nebenrolle spielt. "Wir haben alle eine fundierte Ausbildung absolviert und nicht nur einen Crashkurs bekommen", argumentiert er.

Trotz vieler möglicher Gefahren bei einem Festival - Terror, Rassismus und Antisemitismus oder Massenpanik - blieb es auf dem "Hurricane" 2025 bislang ruhig. Das freut Wilcke natürlich, und doch ist seine Arbeit wichtig: "Es braucht diese Daseinsfürsorge, nicht zuletzt für den Ernstfall mit Personenschäden." Bei solchen Vorfällen müssen sich nicht nur Sanitäter um Wunden kümmern. Es müsse auch jemand da sein, um mit den Menschen zu sprechen, die etwas Schlimmes mit angesehen haben. "Viele machen sich Vorwürfe, anderen nicht genügend zur Hilfe gekommen zu sein", weiß Wilcke.

Je nach Schwere der Lage gehe es ihm und seinem Team am Ende vor allem darum, wieder Spaß und Freude zu spenden. "Wir richten die Leute wieder auf", sagt Wilcke. Der Lohn seien häufige Besuche von Menschen, denen sie helfen konnten, "die sich tags darauf bei uns bedanken. Das ist so schön, dass ich das hier auch nach 25 Jahren gerne weitermache."