Schöpfung ohne Ende…

Kreuz & Queer Blog
Schöpfung ohne Ende…
Die Zeit vom 13. bis 19. November ist die sogenannte „Trans Awareness Week“. In dieser Woche geht es darum, über die Lebenswirklichkeit von trans-Personen aufzuklären und diese sichtbar zu machen.

Die Woche mündet im „Transgender Day of Rememberence“ am 21. November, an dem an die Personen gedacht wird, die transfeindliche Gewalt erlebt aber nicht überlebt haben. 

Transfeindliche Gewalt ist in Deutschland auf einem Höchststand. Immer häufiger erleben trans Personen Diskriminierung in Form von Beleidigungen, Bedrohungen und körperlicher Gewalt. All diese Formen von Diskriminierung sind gleichzeitig von psychischer Gewalt durchzogen. Denn immer geht es um die radikale Abwertung des individuellen Empfindens und damit der Person im Ganzen.

Oft erleben transidente Menschen gerade im religiösen Kontext eine Herabwürdigung ihrer Identität. Der Hintergrund ist das traditionelle christliche Menschenbild, das die geschlechtliche Binarität als gottgegeben annimmt und dadurch für unantastbar erklärt. Und auch wenn wissenschaftlich längst erwiesen ist, dass die geschlechtliche Identität nicht allein zwischen den Beinen, sondern insbesondere zwischen den Ohren zu verorten ist, wird in christlichen Kontexten regelmäßig auf den Dualismus im Schöpfungsbericht verwiesen (1. Mose 1,27).

In queer-theologischen Kommentaren wird an dieser Stelle regelmäßig darauf hingewiesen, dass erst die Bestimmung des Menschen als „männlich und weiblich“ die Gottesebenbildlichkeit erklärt. Die Betonung liegt hier auf dem „Und“. Damit wird der allseits beliebte Dualismus aufgelöst und der Fluidität des Lebens und damit der Schöpfung Raum gegeben. 

Doch diese Lesart ist weit davon entfernt sich durchzusetzen. Dabei wissen wir doch alle, dass es mehr zwischen „Himmel“ und „Erde“ gibt. Und das Wissen um die Morgendämmerung wird nicht verdrängt, nur weil im Schöpfungsbericht lediglich von „Tag“ und „Nacht“ bzw. „Licht“ und „Dunkelheit“ die Rede ist.

Transgeschlechtlichkeit ist keine krankhafte Abweichung des „Normalen“, sondern Bestandteil der g*ttlichen Schöpfung. Und meines Erachtens wird gerade in den Lebensläufen vieler Transpersonen deutlich, dass die Schöpfung eben kein abgeschlossenes Projekt ist, sondern fortdauert. So wie es im 1.Johannesbrief steht: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden…“. Wir befinden uns doch alle fortlaufend im Prozess. Und meistens ist das gesellschaftlich auch anerkannt. Insbesondere dann, wenn es um Selbstoptimierung geht. Nur wenn es um die geschlechtliche Identität geht, wird es grenzwertig. Ich versteh es nicht.
In Deutschland leben aktuellen Schätzungen zufolge mehr als 100.000 transsexuelle Menschen. Es sind Menschen, die wirklich allen Mut zusammennehmen müssen, bevor sie öffentlich bekennen, dass sie sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren können, das ihnen bei der Geburt zugewiesen worden ist. Sie sind bis zu dem Zeitpunkt binär sozialisiert worden. Sie haben von Kind an gehört, dass andere besser wissen, was sie sind, als sie selbst. Und sie haben früh gelernt, dass ein Widerspruch an dieser Stelle verheerend sein kann. 

Wenn diese Menschen dann endlich zu sich und ihrem Gefühl stehen, bedeutet das nicht selten den Verlust von Familie, Freund*innen oder auch Arbeitsstelle. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, bleibt die internalisierte Vorstellung davon, dass sie irgendwie nicht normal sind, bestehen. Und genau diese Vorstellung wird fortlaufend befeuert, wenn sie zur Gefahr von cis Frauen und Kinder erklärt werden. 

Doch auch wenn das Outing mit Anfechtungen und Abschieden verbunden ist, steht diesen Widerständen das Gefühl der Euphorie und des Neuanfangs gegenüber. Denn dem Bekenntnis zum eigenen Empfinden folgt meist die Transition, also der Prozess in dem trans Personen auch äußerlich immer mehr zu sich selbst finden. Im Alltag wird vielleicht ein anderer Name benutzt, andere Pronomen erbeten. Oft werden unterschiedliche Kleidungsstile ausprobiert. Es ist eine schöpferische Zeit, in der Menschen immer mehr in Einklang mit sich selbst kommen. Und ja, manchmal geht es auch medizinisch körperliche Angleichungen durch Operationen und oder Hormontherapien. Und auch das ist Teil eines schöpferischen Prozesses zum Wohle eines Menschen. 

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir die Schöpfung nicht als abgeschlossen betrachten würden. Es geht im Leben nicht allein darum, die Dinge in ihrem So sein zu bewahren und festzuhalten. Vielfach geht es doch auch darum, rechtzeitig loszulassen oder etwas  zu verändern. Wichtig scheint mir, dass es dem Leben dient und nicht schadet. Und dann kann wahrhaft Großartige geschehen. Menschen können aufblühen und manchmal erstmals das Licht der Welt erblicken. Und all das immer mit G*ttes Hilfe. 

Aber es wäre schön, wenn auch wir uns gegenseitig dabei unterstützen könnten.

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