epd: Herr Stautner, was brauchen die Anrufenden an den Feiertagen besonders?
Josef Stautner: An den Feiertagen tritt manches verstärkt hervor, vor allem auch das Thema Einsamkeit, das schon das ganze Jahr über einen hohen Stellenwert einnimmt. Über die Feiertage wird die Haut bei den Menschen noch dünner, sie sind noch empfindlicher als sonst.
Deshalb rechnen wir mit vielen Anrufen von einsamen Menschen und Menschen in depressiven Zuständen, weil manches noch schärfer hervortritt, was eben nicht heil ist. Manche Zerrissenheit in der Familie wird noch stärker gespürt, weil es nicht so läuft, wie man es sich vorstellt.
Andere Anlaufstellen sind geschlossen
Es kommen aber auch Anrufe von Menschen mit Krankheiten, mit Partnerschaftsproblemen oder Existenzsorgen. Auch diese Probleme treten an den Feiertagen verschärft hervor, weil der normale Alltag unterbrochen ist und die sonstigen Anlaufstellen oder Therapieangebote an diesen Tagen ausfallen. Im Endeffekt bleiben nur noch die Telefonseelsorge und der Krisendienst, die rund um die Uhr über die Feiertage erreichbar sind.
Von Jahr zu Jahr steigen die Anrufe bei der Telefonseelsorge, mehr als 204.000 sind es pro Jahr in Bayern. Steigt der Peak an den Feiertagen nochmal merklich an?
Stautner: Dass die Anrufe über die Feiertage steigen, kann man nicht sagen. Das liegt daran, dass die Telefonseelsorge bayern- und bundesweit sehr gut ausgelastet ist und nicht viel mehr Gespräche geführt werden könnten. Ich denke aber schon, dass mehr Menschen versuchen, die Telefonseelsorge zu erreichen.
Deshalb sollten die Anrufenden, wenn die Leitungen besetzt sind, vor allem am späten Nachmittag, in den späten Abend oder die Nacht hinein, es ein zweites oder drittes Mal versuchen. Ein günstigerer Zeitpunkt ist auch vormittags. Oder sie sollten unser Mail- und Chatsystem nutzen.
Wann ist es für Sie ein gelungenes Gespräch, das dem Anrufenden etwas gegeben hat?
Stautner: Wunder wirken kann niemand von uns, auch an Weihnachten nicht. Aber allein das Zuhören und Da-sein sind wichtig. Sie finden bei uns keinen Roboter vor, sondern ein menschliches Gegenüber, das die Not, Dunkelheit und Abgründe mit aushält.
Ein gelungenes Gespräch ist es, wenn man mit dem Anrufer in Kontakt kommt, wenn er wirklich verstanden wird. Es gibt Momente, in denen unsere Mitarbeitenden beglückt vom Dienst nach Hause gehen, weil das Gespräch eine echte, tiefe Begegnung war. Und das überträgt sich auch auf die Anrufenden, die sich gehört und angenommen fühlen.


