In den nächsten Tagen werden sich viele Weihnachtszimmer öffnen. Enddekorierte und spartanische. Welche mit einem einzigen Stern und welche mit hemmungslos geschmückten Weihnachtsbäumen. Prunk und Schlichtheit. In manchen Weihnachtszimmern werden viele zusammen sein, in anderen eine*r alleine. In beiden wird sich Seligkeit und Einsamkeit finden lassen. In den dazugehörigen Heiligabend-Kindheitserinnerungen werden manche wohltuende Farben und Lichter finden, andere nichts, an das sie sich gerne erinnern würden.
In meiner Kindheit gab es kein geheimes Weihnachtszimmer. Es gab einen schlichten großen Baum mit Strohsternen und selbst Gebasteltem. Die zusammengerutschten Möbel. Weihnachtsmusik von Schallplatten. Gemütlichkeit. Kein Prunk. Teller mit Süßigkeiten und Geschenke in einem Sack. Unspektakulär. Ich hätte es mir nicht anders gewünscht, ich hatte wohl echt Glück damit. Gleich nach der Bescherung bin ich alsbald in mein Bett entwischt, die neuen Bücher unter dem Arm.
Glücklich über händeweise neue Welten, in die ich versinken konnte. Oder um mit dem Finger auf der Tapete genau die zwei Punkte zu suchen, hinter denen ich mir eine andere Welt einbildete. Das war mein ganz alleiniges mentales Extra-Zimmer, eines voller Phantasie und Geschichten. Eine Welt, in der alles möglich war. Sie hat mich oft gerettet vor wilden Ängsten in der Dunkelheit oder einem Ärger. Diese Welt war meine und niemand konnte sie mir wegnehmen. Sie war aufregend weit und voll unendlicher Worte. Ein Raum der Freiheit und Entlastung, der meinen Geist weit machte und sich heimatlich anfühlte, Buch für Buch, Geschichte für Geschichte.
Erst später habe ich herausgefunden, dass es daneben noch ein weiteres Zimmer gibt, das sich unermüdlich im Laufe meines Lebens gebildet hatte. Auch eine Art Weihnachtszimmer eigentlich: mein Glaube. Meine Eltern und Großeltern, und noch ganz andere um mich herum, hatten still und vielleicht sogar unbewusst für diesen Ort gesorgt. Ich bemerkte und brauchte ihn lange gar nicht. Im DDR-Leben der Menschen um mich herum brauchte auch niemand einen solchen Raum. Als ich mich einmal, später, vom Glauben eher weiter weg wähnte und ihn wieder zaghaft suchte, entdeckte ich diesen schlummernden Raum in mir. Guter Schutz in ungeplanten Ängsten und Unsicherheiten. Mit Trostwärme, die dort wie von Geisterhand auftaucht und herzenstief sinkt.
Nöte oder Dankbarkeit sind die klingelnden Glöckchen, die mich hineinrufen, manchmal ein Sonnenuntergang oder ein Lied oder ein Alltagsgefühl. Der Raum hat Tiefe mit Licht am Ende und schenkt Heiligkeit und Gelöstsein. Und gleichzeitig finden sich dort schlichte, selbst gebastelte Glaubensbilder, die ich dennoch liebe, und sentimentale, unverzichtbare zusammengeschobene Frömmigkeits-Möbelreste aus der Kindheit. Alles zusammen eine stabile Heimat für meine Seele. Gottes Bleibe.
#challenge: In diesen Tagen unverschämt viel ungefüllte Zeit verbringen und das innere geistliche Weihnachtszimmer (vielleicht bei Dir ein geistliches Speisezimmer, Musikzimmer, Sportzimmer...?) betreten.



