Weihnachten wird als ein Fest der Freude, der Geborgenheit und der Liebe gefeiert. Meist im Kreis der Familie. Das Ideal eines gelungenen Weihnachtsfestes mit einem gerade gewachsenen Tannenbaum und glänzend Schmuck wiegt schwer. Und es löst bei weitem nicht nur Vorfreude aus. Denn häufig treffen in diesem Rahmen Menschen zusammen, die sich eben nicht freuen, sich zu sehen. Zugleich gibt es aber das unausgesprochene Weihnachtsgebot, sämtliche Streitthemen oder andere mögliche Störungen zu umgehen. Es sind also auch keine Klärungen möglich. Stattdessen wird die Weihnachtsmusik lauter gedreht und das Essen besonders reichhaltig. Manchmal geht es gut. Manchmal nicht.
Tash Hilterscheid ist Pfarrperson für Queersensible Bildungsarbeit in der Nordkirche. Ein wesentliches Thema dieser Arbeit ist die Sensibilisierung kirchlicher Akteur*innen für geschlechtliche Vielfalt. Bei Instagram ist Tash auch unter @und_alles_dazwischen.de zu finden. Hier teilt Tash persönliche Erfahrungen als nichtbinäre Person.
Für viele queere Menschen bedeutet das Weihnachtsfest ein Kraftakt der besonderen Art. Ganz egal wie alt sie sind. Ob als Kind, als jugendliche oder als erwachsene Person. Denn wenn die Familie das eigene Outing nicht respektiert, gilt es an diesem Abend trotzdem zu lächeln. Um des lieben Friedens willen. "Und wehe Sabine sagt nochmal, dass sie jetzt Samuel sei." "Und wenn Maximilian wieder ein Kleid anzieht, würde er das ganze schöne Fest ruinieren." Der Druck liegt auch auf den Schultern derer, die noch nicht geoutet sind. Denn dies wäre eine Gelegenheit, wo doch die ganze Familie anwesend ist. Aber das würde alles kaputt machen.
Zugleich kenne ich viele Queers, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie haben. Eben weil ihre Familien sie nicht so respektiert haben wie sie sind. Wenn jetzt das Weihnachtsfest vor der Tür steht, taucht bei ihnen trotzdem eine Sehnsucht auf. Auch wenn das Weihnachtsfest oft zermürbend gewesen ist, bleibt der Traum von Fest der Liebe bestehen. Und es bleibt der Schmerz darüber, dass sie ihre Familie aufgeben mussten, um sich selbst treu zu bleiben. Der Schmerz darüber, dass die Liebe nicht getragen hat.
In Nordamerika hat sich die liturgische Tradition des „Blue Christmas“ durchgesetzt. Gemäß der Bedeutung von „to feel blue“, gibt es hier G*ttesdienste zur Weihnachtszeit, in denen Raum für Traurigkeit und Melancholie ist. Der Ursprung dieses Rituals liegt in der Hospizbewegung. Denn auch die Erinnerung an Verstorbene kann insbesondere zu Weihnachtet erdrückend sein. Oder Erinnerung an eine Beziehungsperson, wie es Elvis Presley in seinem Song „Blue Christmas“ beschreibt. Ob es die Abwesenheit der Eltern oder gar der eigenen Kinder ist. Ob es der Tod ist oder die Lebensweise, die zur Trennung geführt hat. Weihnachten legt die Wunden frei und zeigt uns deutlich, was oder wen wir vermissen. Das gilt nicht allein für Queers.
Ich wünsche mir zur Weihnachtszeit mehr Orte für diese Art der Gefühle. Orte an denen wir uns nicht verstellen müssen. Aber auch nicht alleine sind. Denn dass uns diese Tage so verletzlich machen, ist wohlmöglich das, was der wahren Bedeutung von Weihnachten viel näher kommt, als ein vermeintlich perfektes Weihnachtsfest.



