Segnung für alle?!

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Polyamorie und Kirche
Segnung für alle?!
Pfarrerin Lena Müller segnete im Sommer vier Männer, die als Polykül zusammen leben. Sie bekommt seitdem Hass und Hetze ab. Vertreter:innen der Kirche reagieren unterschiedlich. Blogger:innen Sonja Thomaier und Katharina Payk analysieren und kommentieren miteinander im Gespräch das Geschehene.

Für großes Aufsehen sorgt seit ein paar Wochen ein Ereignis, das bereits im Juni 2025 stattgefunden hat: Die Berliner Pfarrerin Lena Müller segnete bei einem Hochzeitsfestival vier Menschen, die als Polykül zusammen sind. Ein Polykül ist ein Geflecht aus konsensuellen und verantworteten (Liebes-)Beziehungen, wie es oft polyamore Menschen leben. Dieses geht über eine Zweier-Paar-Beziehung hinaus. 

Lena Müller postete eine Story auf Instagram, in der sie die Segnung der vier Männer thematisierte.

In rechtsgerichteten Kanälen braute sich vor ein paar Wochen ein Shitstorm zusammen. Die BILD griff dies auf und so konnte man am 7. November in der „BZ. Die Stimme Berlins“ die Meldung lesen: „Vielehe in Deutschland verboten. Berliner Pfarrerin verheiratet vier Männer zu Eheleuten“. Diese Headline ist aus verschiedenen Gründen sachlich inkorrekt, unter anderem weil man in Deutschland am Standesamt „zu Eheleuten verheiratet“ wird. Außerdem suggeriert diese Clickbait-Headline, Lena Müller hätte gegen das staatliche Gesetz verstoßen. Das ist schlicht falsch.

Die Landeskirche, in der Lena Müller Pfarrerin ist, reagierte prompt distanzierend und defensiv: Der Berliner Bischof Christian Stäblein vermeldete. „Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz traut nur Paare, die standesamtlich verheiratet wurden“, und die Kirchenleitung schreibt: „Die EKBO distanziert sich von als Trauungen dargestellten Segenshandlungen, die mehr als zwei Personen durch Liebe verbinden sollen.“ In einem neueren Post bekundete die Leitung der Landeskirche dann immerhin, dass sie auf der Seite derer stünden, die Anfeindungen erleben.

Was seither passiert, geht alles vor allem zu Lasten von Pfarrerin Lena Müller, die nun Hassmeldungen, Hetze im Netz, Angriffe und Drohungen erleben muss. Auch das Polykül selbst und ihre Art zu leben werden dabei herabgewürdigt. Gleichzeitig gibt es viele Solidaritätsbekundungen, z.B. auf Social Media. Queere, feministische und polyamore Gruppen und Vereine, darunter auch kirchliche, melden sich zu Wort, zeigen mutig ihren Support und positionieren sich. 

Letztes Jahr schrieben Sonja Thomaier und ich eine Reihe mit mehreren Beiträgen zu Polyamorie und Christentum im Blog kreuz und queer. Zum aktuellen Anlass trafen wir uns zum virtuellen Gespräch zwischen Wien und Hannover.

Sonja Thomaier (ST): Ich freue mich, dass wir hier im Blog nun wieder zum Thema Polyamorie zusammenkommen. Der Anlass ist leider kein schöner. Lena Müller ist derzeit rechter Stimmungsmache ausgesetzt und steht im Auge des Orkans. Dabei hat mich die Reaktion ihrer kirchlichen Leitung sehr überrascht. Ich meine, mich überrascht natürlich nicht, dass Polyamorie ein Thema unserer Zeit ist. Im Gegenteil, ich finde es wichtig, dass wir uns theologisch dazu Gedanken machen. Aber dass die kirchliche Seite so wenig vorbereitet war und auch wie die Krisenkommunikation passiert ist, da war ich doch sprachlos.

Katharina Payk (KP): Ja, die Kirchenleitung der EKBO hat sich erst einmal defensiv bis abgrenzend verhalten. Ich habe mich auch gefragt, warum sie jetzt auf diesen Karren aufspringen – statt die Dramatisierung und Inszenierung durch rechtsgerichtete Medienmache und Glaubenszugänge aufzudecken.

ST: Eben. Ich finde, wir haben hier eine klassische Inszenierung von Kreisen, die ich zum rechten Christentum zählen würde. Und das sind genau die Kreise, in denen sexual-, familienethische und antifeministische Inhalte benutzt und großgemacht werden, um Aufmerksamkeit zu generieren. Man versucht erst einmal, ein Echo in den eigenen Resonanzräumen hervorzubringen, und findet dann ein Medium, was das Aufgebauschte in die breitere gesellschaftliche Mitte trägt. Genau das ist hier passiert.

KP: Und als das passiert ist, hat sich die Kirchenleitung der Landeskirche nicht primär um den Schutz ihrer Pfarrerin gekümmert. Zumindest nicht in der ersten öffentlichen Reaktion. Da könnte man ja fast meinen, dass antiemanzipatorische Meinungsmache sich durchsetzen kann. Oder zumindest, dass ihr von kirchenleitender Seite nichts entgegengesetzt wird. 

ST: Es hat den Eindruck erweckt, als sollte der Ansturm quasi inhaltlich geklärt werden. Man machte also ein Statement zu Trauungen und was sie kirchenpolitisch bedeuten. Man stellte klar, dass die Kollegin keine Trauung, also Amtshandlung, durchgeführt hat. (Anm.: kirchenrechtlich verankerte Trauungen können derzeit nur zwischen zwei Personen stattfinden). Und dabei übersieht man in meinen Augen, dass es mit einer inhaltlichen Klärung eben nicht getan ist. Dass die Kirche da keinen wacheren Blick hatte, fand ich doch überraschend und erschreckend. Katharina, was hat dich denn überrascht oder was ist dir aufgefallen in dem ganzen Prozess? Also, die Frage geht auch an dich als Pfarrerin, die sich schon viel mit Polyamorie beschäftigt hat?

KP: Ich habe mich sehr über die sachlich falschen Darstellungen in den Medien aufgeregt. Guter Journalismus muss gut recherchieren und gut überlegen, was er tut! Das beginnt schon bei der Vermischung der Begriffe und Konzepte Polygamie und Polyamorie. Wenn ich nicht verstanden habe, worin der Unterschied liegt, sollte ich auch nicht darüber schreiben.

Und als Pfarrerin habe ich als Erstes auch an die Kollegin gedacht. Wie es sich wohl anfühlt, wenn die eigene Kirchenleitung nicht hinter mir steht, wenn ich von populistischer Hetze verfolgt werde? Zumal in einem Beruf, in dem wir ohnehin sehr vulnerabel sind, weil wir allen möglichen Zuschreibungen, Erwartungen und Projektionen ausgeliefert sind. Zumindest das, was von der Landeskirche dazu öffentlich gemacht wurde, war eher dünn. Es gab eigentlich nur eine Antwort in die eine Richtung: nämlich die der Anfeindenden, nicht derer, die vielleicht selbst poly oder queer leben. 

ST: Ich fühle mich so erinnert an die Diskussion, die wir über Homosexualität in kirchlichen Kreisen hatten in den 90er-Jahren und 00er-Jahren. Viele der Argumente und diese Ängstlichkeit, mit der das Thema angefasst wurde, wiederholen sich gerade. Auch wenn es nicht dasselbe Thema ist, zeigt sich doch auch hier, dass es theologische Tabus gibt, quasi „Unanständiges“, das nicht den Ordnungen folgt und in die Normativierungen passt. Das wird jetzt hier sichtbar. Seit die gleichgeschlechtliche Ehe in Deutschland rechtlich anerkannt wurde, finden auch bestimmte queere Lebensformen gesellschaftlich mehr Anerkennung. Queeres Leben ist aber viel breiter und bunter als zwei verheiratete Menschen plus evtl. Kinder. Und auch verschiedene Formen von Poly und konsensueller Nicht-Monogamie gehören dazu. Da frage ich mich doch: Welche Ordnungen herrschen denn hier gerade? Und wie lebensförderlich sind sie?

KP: Das ist eine wichtige Perspektive, nämlich auf Queer, Poly und Kirche, finde ich. Normen sind ja per se nicht schlecht. Man muss nur bereit und mutig sein, sie zu hinterfragen und auch immer wieder kreativ zu (durch-)brechen. Und dazu lädt ja Jesus selbst ein. 

Ich fragte mich auch, ob die Öffentlichkeit so hart auf die Poly-Segnung reagiert hätte, wenn es nicht vier Männergewesen wären, die sich lieben?! Gerade queere Beziehungen müssen wohl „normalisiert“ sein, um anerkannt zu werden. Ich glaube, dass die Hate-Kommentare auch aus homofeindlichen Gründen getätigt wurden.

ST: Ja, damals, als es um die Ehe für alle ging (so wurde es genannt), gab es Diskussionen, inwieweit man – wenn man für die gleichgeschlechtliche Ehe ist – nicht auch für eine rechtliche Anerkennung von Poly-Beziehungen sein sollte bzw. diese mit unterstützen sollte. Natürlich kann man hier strategisch argumentieren: erst einmal den einen Schritt, dann den anderen. Das habe ich damals auch getan. Mittlerweile frage ich mich, ob die queere Community hier nicht ein Stück weit gespalten wurde. Vielleicht müssen wir uns wieder ins Gedächtnis rufen, solidarisch untereinander zu sein, auch mit denen, die nicht in ein normatives Mono-Muster passen. Mir geht es dabei wirklich um die Solidarität. Ich finde wichtig, dass es verschiedene queere Lebensweisen gibt und dass wir da in unserer Unterschiedlichkeit trotzdem zusammenhalten. 

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