Wir müssen reden! Müssen wir?

Wir müssen reden! Müssen wir?
Foto: Matthias Albrecht
Im Dialog liegt ein großer Segen. Deshalb sollten wir auch mit denen im Gespräch bleiben und es suchen, die die Gleichberechtigung homosexuell begabter Menschen ablehnen. Trotzdem gibt es Grenzen sowie ernstzunehmende Gründe aus denen der Dialog abgelehnt werden darf.

Eine endlose Diskussion im sozialen Netzwerk darüber, ob homosexuell begabte Menschen geistliche Ämter in der Gemeinde übernehmen dürfen. Im Hauskreis zum gefühlt hundertsten Mal die These debattiert, dass sich Kinder in Regenbogenfamilien nicht gut entwickeln können. Die Geigerin im Lobpreisteam hat, so sagt sie, ein Problem damit, dass der Pianist nun einen Partner hat und bittet ihn um ein Gespräch, bei dem sie von Verdammnis spricht und wissenschaftliche Erkenntnisse als ideologische Irreführungen leugnet. Viele homosexuell begabte Christ_innen haben solche Situationen schon erlebt und sich währenddessen oder danach aufgeregt, wütend, erschöpft oder traurig gefühlt. Das Wissen, dass solche Diskussionen in der Gemeinde, im Gebetskreis und den sozialen Medien wiederkommen werden, belastet sie zusätzlich. Manche stellen sich dann die Frage: Muss ich mir solche Gespräche wirklich antun? Eine Frage, über die es sich ernsthaft nachzudenken lohnt. Als homosexuelle Christ_innen sollten wir mit denen, die unsere Begabung ablehnen und verfolgen im Dialog bleiben, allerdings nicht um jeden Preis, auch dann nicht, wenn es sich dabei um unsere Geschwister in Christus handelt.

Einige homosexuell Begabte scheinen zu vergessen, dass sie sich dafür wie sie lieben und begehren vor keinem Menschen rechtfertigen müssen. Besonders dann nicht, wenn sie von (selbsternannten) Glaubensautoritäten aufgefordert werden, sich und ihr Gewissen ernstlich zu prüfen. Das mögen manchmal gut gemeinte Aufforderungen sein, allzu oft ist es aber auch eine Art geistlichen Missbrauchs, der versucht, Menschen in einen moralischen Schraubstock zu spannen. Das aber steht keiner Person zu. Gott ist die einzige letztgültige Instanz, vor der wir uns rechtfertigen müssen. Er allein sieht dabei in unser Herz. Dazwischen kann kein anderer Mensch stehen. Das ist ein fester unumstößlicher Glaubensgrundsatz, der besonders im evangelischen Bekenntnis zu Recht sehr hochgehalten wird.

Als homosexuelle Christ_innen sollten wir den Dialog mit Menschen, die antihomosexuelle Einstellungen verbreiten, suchen. Dabei sind jedoch drei Punkte zu beachten. Der erste Punkt betrifft unsere persönliche Haltung. Es macht einen großen Unterschied, ob ich aus einer Position der Rechtfertigung spreche oder aus einer Position des Wissens darüber, dass ich als Nachfolger_in Christi zur Freiheit der Kinder Gottes berufen bin. Dass es vor anderen nichts zu rechtfertigen gibt, habe ich oben bereits erläutert. Wohl aber gibt es etwas zu verteidigen, nämlich die Würde, die Gott jedem Menschen gegeben hat und die unveräußerlich ist. Wer versucht, homosexuell begabte Menschen schlechter zu stellen, zu diffamieren, zu diskriminieren, ihnen Gewalt anzutun, ihnen ihre Heilsgewissheit abzusprechen, der versucht auch, ihnen ihre Würde zu nehmen. Und das ist etwas, was wir als Nachfolger_innen Christi nicht dulden dürfen. Deshalb müssen wir laut widersprechen, wenn gegen die Würde homosexuell Begabter gehetzt wird, sei es im Internet, in den sozialen Medien, im Hauskreis, am Stammtisch oder wo auch immer. Wenn wir uns klar machen, dass wir dies im Namen Jesu Christi tun und nicht als Vertreter_innen eigener partikularer Interessen, dann kann uns das eine ungeahnte Stärke verleihen.

Stärke ist ein wichtiges Stichwort, das mich zu meinem zweiten Punkt führt. Bewusst schreibe ich, wir sollten den Dialog mit denen, die antihomosexuelle Einstellungen verbreiten, suchen. Sollen, das bedeutet: Wir müssen, wenn wir können. Und dass wir als Menschen nicht immer alles können, schon gar nicht immer stark sein, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die uns die Bibel vermittelt. So heißt es schon im Buch des Predigers, dass ein Jegliches seine Zeit hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es auch Zeiten gibt, in denen Manches einfach gerade nicht dran ist. Das gilt auch für anstrengende Dialoge. Wer sich gerade im Glauben angefochten fühlt, wessen Beziehungen zu zerbrechen drohen, wer Diskriminierung und Gewalt erlebt, wer Glaubenszweifel hegt, wer um seine Existenz fürchtet: Für alle diese Menschen kann es sein, dass es jetzt gerade vielleicht schlicht nicht die Zeit ist, mit Anderen über homosexuelle Begabungen zu diskutieren. Daher ist es völlig in Ordnung, den Geschwistern, so drängend diese auch ein Gespräch wünschen, zu sagen, dass mensch dafür im Moment nicht zu Verfügung steht. Die homosexuelle Begabung annehmen zu können, ist für einige Christ_innen ein schmerzhafter Prozess. Während dieser durchlaufen wird, kann es gut tun, sich selbst den Raum zu geben, um in Ruhe nachdenken, durch- und aufatmen zu können, Bestärkung bei Gott und wohlgesonnenen Geschwistern zu suchen und weitere Aufregung sowie Anfechtung von sich fernzuhalten. Solches Handeln entspricht dem Doppelgebot der Liebe. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Markus 12,31), das bedeutet auch, sich selbst zu lieben, seinem Selbst Gutes zu tun, in dem mensch sich beispielwiese schützt, um lebens- und liebesfähig zu bleiben.

Wer sich für den Dialog stark genug fühlt, sollte diesen führen. Dieser Dialog mit Menschen, die daran zweifeln, ob der Glaube an Jesus Christus und homosexuelle Liebe vereinbar sind, kann für alle Beteiligten sehr aufwühlend sein. Denn es geht dabei für die zweifelnden Geschwister häufig um nichts Geringeres als eine grundsätzliche Infragestellung ihres Glaubens, ihres Bibelverständnisses und damit ihrer Lebensausrichtung. Daher können solche Gespräche oft auch mit heftigen Reaktionen der Abwehr, des Schmerzes und des Unverständnisses einhergehen. Darüber müssen sich alle im Klaren sein, die in einen solchen Dialog, der zu einem längeren Prozess werden kann, eintreten. Wichtig ist es dabei, sich gut abgrenzen zu können, etwa in dem mensch sich deutlich macht, zwar Verunsicherung in dem anderen auszulösen, aber nicht der ursächliche Grund dafür zu sein. Um Christi Willen sollten, ja dürfen wir solche Gespräche nicht scheuen. Denn wenn wir den anderen Menschen in dessen Ablehnung einfach stehen lassen, dann verweigern wir ihm die Auseinandersetzung mit dem Thema, mit uns, mit sich selbst und seiner eigenen Position. Aber genau das kann heilsame Veränderung bringen und ist daher ein wichtiger Liebesdienst. In den vielen Jahren meines Wirkens in evangelikalen, charismatischen und pietistischen Kreisen habe ich die positiven Blüten solcher Dialogprozesse schon aufgehen sehen dürfen. Da sind dann aus erbitterten Gegner_innen der Gleichberechtigung homosexuell begabter Menschen glühende Fürsprecher_innen geworden. Dass es zu so einer Entwicklung kommen kann, setzt allerdings eines voraus, was mich zu meinem dritten und letzten Punkt bringt: Der Dialog darf nicht nur dem Namen nach einer sein, sondern es muss sich auch um einen echten Dialog handeln und das setzt Dialogbereitschaft voraus.

Hin und wieder bekomme ich längere Emails und Briefe, die alle gemeinsam haben, dass sie in den ersten zwei, vielleicht auch drei Sätzen damit beginnen, mensch habe meinen letzten Blogeintrag gelesen und wolle mir nun folgendes mitteilen. Das daran Anschließende ist dann aber nie eine Bezugnahme auf das, was ich veröffentlicht habe, sondern eine dezidiert ausgearbeitete anti-homosexuelle Position. Ich habe mich schon vor längerer Zeit entschieden, solche Schreiben nicht mehr zu beantworten. Denn ich kann in solchen Zeilen keine Dialogbereitschaft erkennen. Dialogbereitschaft, das bedeutet, interessiert an den Argumenten des Anderen zu sein und den Austausch darüber zu suchen. Wenn mir hingegen eine Person einfach nur schlicht ihre Meinung mitteilen möchte, dann ist das kein Dialog. Ich fühle mich dann auch nicht ernst genommen, vielmehr wird mir hier die Rolle eines zum Zuhören verurteilten Statisten zugewiesen. Das ist keine Begegnung auf Augenhöhe und -mit Verlaub- auch ganz schön respektlos. Menschen, die nur auf das Senden ihrer Meinung, aber nicht auf Empfangen anderer Meinungen eingestellt sind, sind überall zu finden, in sozialen Netzwerken, dem politischen Feld oder gemeindlichen Zusammenhängen. Wenn diese ihre anti-homosexuellen Äußerungen beispielweise bei facebook tätigen, dann finde ich es wichtig, darauf zu reagieren. Nicht um der verfassenden Person willen, sondern damit das Diskriminierende nicht unkommentiert stehen bleibt und andere Lesende sehen, dass solche Positionen inakzeptabel sind. Allerdings sollte mensch hierbei darauf achten, Ressourcen zu sparen. In der Regel genügt es einige wenige Gegenkommentare zu verfassen. Die andere Person wird in ihrem Sendemodus nicht locker lassen und immer und immer wieder weitere Posts generieren, aber auf Grund deren mangelnder Dialogbereitschaft macht es nur wenig Sinn, sich an so etwas abzuarbeiten. Über die Gründe, die Menschen in einen Zustand der Dialogunfähigkeit versetzen, kann ich nur mutmaßen. Sie sind wahrscheinlich auch sehr vielfältig und reichen von fundamentalistischer Verblendung bis hin zu einem Kontaktwunsch, der aus absoluter Vereinsamung entsteht. Wer in den Kontakt mit diesen Menschen treten möchte, dem empfehle ich, sich nicht auf inhaltliche Debatten wie der zu homosexueller Liebe einzulassen, sondern stattdessen das Gegenüber in der Weise ernst zu nehmen, gemeinsam tiefer zu schauen, woher eigentlich dieser Drang zum Senden kommt – vielleicht kann es dann gelingen, die darunter liegende Not zu ergründen und zu lindern.

"Gott, gib uns die Weisheit, entscheiden zu können, ob wir gerade stark genug sind, über homosexuelle Begabung zu sprechen. Öffne unsere Herzen und die des Gegenübers und schenke echte Dialogbereitschaft. Segne unsere Worte durch Deinen Heiligen Geist. AMEN"

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