Gottesdienste interaktiv und digital gestalten

Gottesdienste interaktiv und digital gestalten
Von links: Sabrina Müller, Ralf-Peter Reimann, Wolfgang Loest, Marcus Kleinert und Christoph Breit.
©Lena Christin Ohm
Von links: Sabrina Müller, Ralf-Peter Reimann, Wolfgang Loest, Marcus Kleinert und Christoph Breit.
Eine Handvoll unterschiedlicher digitaler und interaktiver Gottesdienstformen gibt's schon. Über die Chancen, Herausforderungen und Erfahrungen dieser Methoden - und warum Mut zum Kontrollverlust und Vertrauen auf den Heiligen Geist vielleicht zu einer Pastoraltheologie des Empowerments führen können.

Sublan-Gottesdienste, das Twomplet auf Twitter, Chatandachten, Gebetskreise auf Instagram, allgemein Social-Media-Gottesdienste oder Live-Stream-Angebote - digitale und (mehr oder minder) interaktive Gottesdienstvarianten gibt es schon. Fünf Theologen haben auf dem Kirchentag darüber disktuiert, welche Chancen, Herausforderungen und Erfahrungen sie bisher damit gemacht haben. Ihre Hauptanliegen im Überblick.

Sabrina Müller (Theologische Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich)

Drei kleine Buchstaben machen für Sabrina Müller den Kern dieser digitalen und interaktiven Gottesdienste aus - ein M, ein I und schließlich noch ein T. Das MITdenken der Kirchenbesucher, ihnen die Möglichkeit zu bieten, MITzumachen und MITeinander ins Gespräch zu kommen. Dabei ist sie sich sehr wohl bewusst, dass digitale Angebote nicht zwangsläufig für alle zugänglich sind, auch wenn das immer das große partizipative Versprechen der Digitalisierung ist. "Wir schließen nicht nur Senioren aus, die die Technik nicht haben oder nicht damit umgehen können, sondern auch die nicht so priviligierten Menschen oder auch Kinder", so Müller. Und man müsse auch Bedenken, dass nicht jedes digitale Format den persönlichen Neigungen eines jeden Menschen entspreche. "Manche Gottesdienstbesucher mögen eine feste Liturgie, andere genießen da die vollkommene Offenheit", sagt sie. Am Ende sortiere es sich nach persönlichen Präferenzen.

Eine wichtige Erkenntnis, die Sabine Müller gemacht hat, besteht darin, dass man sich in dieser Gottesdienstform weniger hinter dem Amt verstecken könne als es bei klassischen Gottesdiensten der Fall sei. "Wir Pfarrerinen und Pfarrer werden dadurch nahbarer, aber auch verletzlicher", erklärt sie. Es brauche für derlei Angebote sehr gut ausgebildete Theologen, damit sie nicht oberflächlich bleiben oder gar zu Talk-Shows oder Dampfplaudereien verkommen.

Den allergrößten Vorteil dieser Formate bezeichnet Müller als "Pastoraltheologie des Empowerments": Indem die Kirchenbesucher selbst im Gottesdienst zu Wort kommen, könne man ihre Sprachfähigkeit fördern, was sich wiederum positiv auf das Priestertum aller Gläubigen auswirke.

Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter Evangelischen Kirche im Rheinland

Aus der Sicht von Ralf Peter Reimann bieten interaktive und digitale Gottesdienste wie zum Beispiel ein Twitter-Gottesdienst einem ganz wichtigen Teilnehmenden einen Platz: dem Heiligen Geist. Dadurch, dass die Gemeinde quasi mitpredigt, in dem sie live Anmerkungen, Gedanken und Fragen zum Gottesdienst absetzt, wird der Gottesdienst für den Pfarrer oder die Pfarrerin schlechter planbar. Das Unerwartete bekommt plötzlich Raum. Und in dieser Lücke, die sich da auftut, könne der Heilige Geist dann wirken.

Auch die Rolle der Person, die den Gottesdienst leitet, verändert sich laut Reimann. "Bei einer Predigt spricht jemand von oben herab zu den Kirchgängern - allein schon, weil der- oder diejenige normalerweise auf einer Kanzel steht. Bei digitalen Gottesdiensten wirkt die Gemeinschaft viel stärker", sagt er. Und die Aufgabe des Pfarrers oder der Pfarrerin sei es, Vernetzung zu initiieren und auch mal zuzuhören.

Wolfgang Loest, Social-Media-Pfarrer der Lippischen Landeskirche

Wolfgang Loest organisiert als Social-Media-Pfarrer seiner Landeskirche regelmäßig Gottesdienste in Sozialen Netzwerken - manchmal auch sehr zu Unverständnis der treuen  Kirchgänger. Eine Dame habe ihn mal gefragt, wie er mit diesen Angeboten denn die Leute in die Kirche holen wolle. Die Antwort auf diese Frage ist aus Loest Sicht simpel und mehr Menschen sollten sie sich zu Herzen nehmen: "Es geht nicht darum, die Leute in die Kirche zu holen. Wir wollen das Evangelium verkündigen." In seinem Theologiestudium habe er gelernt, dass Verkündigung eigentlich die Kommunikation des Evangeliums meint. "Und das heißt: Es ist immer jemand da, der antwortet und worauf man eingehen kann." Das sei bei interaktiven Gottesdienstformen viel eher der Fall als im klassischen Gottesdienst, denn bei interaktiven Formen können die Rückmeldungen direkt auf die Predigt einwirken.

Außerdem sieht Loest solche religiösen und spirituellen Angebote wie zum Beispiel eine Gebetsgemeinschaft durchs Tippen aufs Smartphone als ein besonders niederschwelliges Angebot an. Man habe geringere Hürden und gleichzeitig ganz andere Partizipationsmöglichkeiten, die man nutzen könne. "Es ist sehr vielfältig, was möglich ist – man muss es einfach ausprobieren", rät er allen, die selbst Interesse haben, so etwas mal auszuprobieren.

Marcus Kleinert, Pfarrer in Hungen

Die Unterscheidung zwischen "digital" und "analog" findet Pfarrer Marcus Kleinert überholt. Das sei nur noch etwas für ältere Herrschaften. "Es ist eine Welt und wir machen beides, Wir müssen uns ja auch nicht entscheiden, ob wir zu einem Konzert gehen oder lieber Musik auf Spotify hören - das sind beides legitime Angebote, für die es eine zeit und einen Ort gibt", führt er als Beispiel an, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Er selbst hat auch kein Problem damit, wenn sich Gläubige vielleicht eher für die digitalen Angebote entscheiden: "Solange sie Gottesdienst feiern und das Evangelium hören, finde ich das gut."

Kleinert ist der Ansicht, dass sich in der Kirche hinsichtlich der Predigt dringend etwas ändern muss. Die jahrhunderte alte Tradition, dass da jemand auf der Kanzel steht und etwas von oben herab verkündet, reicht für ihn nicht mehr aus. "Das ist eine kommunikative Einbahnstraße, das geht gar nicht."

Aus seiner eigenen Erfahrung mit Sublan-Gottesdiensten weiß Kleinert, dass dieses Format von ihm als Theologen mehr Vorbereitung fordert als eine herkömmliche Predigt. Das liege vor allem daran, dass er sich nicht nur auf das in der Predigt ausgesuchte Gebiet vorbereiten müsse, sondern im Idealfall auch auf anderen - schließlich könne man ja nie wissen, in welche Richtung die Gläubigen die Predigt bei einem interaktiven Gottesdienst drehen. Angst vor diesem Kontrollverlust brauche man jedoch nicht haben. Stattdessen rät Kleinert zu etwas anderem, nämlich zu Mut. "Mut haben, Äußerung, die nicht ins Konzept oder den Gedankengang der eigenen Predigt passen, aufzunehmen oder transparent zu zeigen, dass man daran noch nie gedacht hat."

Christoph Breit, Projektleiter #KircheDigital in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

"Einen Gottesidenst mitmachen zu können, während ich im Bett liege - ich finde das toll", gesteht Christoph Breit. Er fordert, dass die Kirche wieder öffentlicher werden muss. Früher hätte man Sonntagmorgens durch Dörfer gehen können und alle Menschen seien erst in der Kirche und dann in der Kneipe gewesen. Zu diesen Zeiten habe Kirche die Öffentlichkeit erreicht. Mit den alten Methoden komme man aber nicht wieder an diesen Status heran, ist seine Theorie. "Mit analogen Gottesdiensten sind wir zum einen an Orte gebunden, die manchmal gar nicht so schön, im Winter schlecht geheizt und muffig sind, wo wir auf harten, unbequemen Bänken sitzen müssen. Zum anderen sind wir an Zeiten gebunden, die an das Leben der Bauern im ausgehenden 19. Jahrhundert angepasst sind. Das ist nicht mehr zeitgemäß", so Breit. Bei vielen gehöre der Sonntagvormittag der Familie und nicht der Kirche. Digitale Gottesdienstangebote könnten aber diese Grenzen von Zeit und Raum aufheben und darin sieht Breit eine große Chance.

Dass Pfarrerinnen und Pfarrer durch interaktive Gottesdienste, in denen die Fragen, Erfahrungen und Anregungen der Menschen raum bekommen, in der Auslegung der Bibeltexte überfordert werden könnten, glaubt Christoph Breit eigentlich eher nicht. "Die Auslegung ist nicht das Problem, sondern der Kontrollverlust bei der Predigt. Das sind Pfarrerinen und Pfarrer nicht gewohnt." Man müsse sich daran gewöhnen, dass da Menschen seien, mit denen man Gottesdienst feiere und von denen man auch etwas lernen könne, statt immer nur der- oder diejenige zu sein, die oder die sein oder ihr Wissen vorträgt. "Habt Mut zum Kontrollverlust und Vertrauen in den Heiligen Geist. Es kommt meist mehr Gutes als Schlechtes dabei raus", fordert er das Publikum auf.

Für den ersten Schritt reiche es als Gemeinde auch völlig aus, wenn man den Gottesdienst streame, die Lieder digital verfügbar mache und zum Beispiel für den interaktiven Ansatz nur die Fürbitten für die Gebetsgemeinschaft öffne. Und wer nun Bedenken trägt, dass die Gottesdienstqualität bei diesen digitalen Aktivitäten nicht gesichert sei und dass man dafür erstmal Maßnahmen zur Qualitätssicherung brauche, für den hat Christoph Breit ebenfalls eine klare Antwort parat: "Ganz ehrlich, manchmal würde ich mir eher eine Qualitätssicherung für analoge Gottesdienste wünschen."

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