Von den Zehenspitzen auf die Fersen wippen

Etwas Gutes für die Füße tun, geht bei diesem Gottesdienst.
epd-bild/Renate Haller
Nach der Fußwaschung gibt es eine Massage - ein echtes Gottesdiensterlebnis und Experiment in der Dorfkirche in Wallrabenstein.
Fußpflegegottesdienst
Von den Zehenspitzen auf die Fersen wippen
Gottes "krasses Geschenk" an die Menschen, ihre Füße, stehen in einem Gottesdienst in Südhessen im Mittelpunkt. "Verwöhnt eure Füße", appelliert die Pfarrerin.

Die Bitte von Pfarrerin Daniela Opel-Koch klingt ungewöhnlich: "Da, wo es wehtut, erhöhen Sie bitte den Druck." Vereinzelt ist leises Aufstöhnen zu hören, ansonsten konzentrierte Stille. Der evangelische Gottesdienst ist so anders wie die Worte der Pfarrerin - im Hünstetter Ortsteil Wallrabenstein im südhessischen Rheingau-Taunus-Kreis sind rund 70 Menschen aller Altersklassen zu einem Fußpflegegottesdienst zusammengekommen.

Lieder, Lesung, Predigt, das Körperteil zieht sich konsequent durch die Veranstaltung. In Wallrabenstein ist der Fußpflegegottesdienst in der kleinen Dorfkirche ein Experiment. Die Gemeinden in der Region haben gemeinsam die Sommerkirchen-Reihe "unterwegs" organisiert. Unterwegs zu sein, passe thematisch zu den Füßen, sagt die Idsteiner Pfarrerin Opel-Koch dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Sie kommen vielfach in der Bibel vor und ermöglichten eine ganzheitliche Erfahrung. "Die Menschen fühlen sich von Gottesdiensten angezogen, bei denen sie mit ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenssituation wahrgenommen werden", beobachtet die Theologin.

Am Eingang hatten alle Besucherinnen und Besucher einen Tennis- oder Igelball bekommen sowie eine rosafarbene Serviette mit einem Babyfuß-Motiv. Nach Psalmlesung und Gebet wird deutlich, wozu. Die Seelsorgerin fordert dazu auf, die Schuhe auszuziehen und einen Fuß auf den Ball zu stellen, den Schmerzpunkt zu suchen und dort den Druck zu erhöhen. Ziel ist, sich etwas Gutes zu tun, unter anderem dann, wenn sich eine Verspannung löst und der Schmerz nachlässt. "Die Füße sind ein krasses Geschenk Gottes", sagt Opel-Koch und appelliert: "Verwöhnt eure Füße!"

Wie Jesus seinen Jüngern, so wäscht Pfarrerin Opel-Koch Besucher:innen die Füße.

Die Podologin Aleksandra Malecki sagt während des Gottesdienstes, dass sie vieles von den Füßen eines Menschen ablesen könne. Das gelte für Krankheiten sowie auch für Lebensarten. Die Pfarrerin lässt die Gemeinde in den Bankreihen von den Zehenspitzen auf die Fersen wippen und die Serviette mit den Füßen aufheben. "So einen lebendigen Gottesdienst habe ich noch nie erlebt", lobt Manuela Gerlich hinterher. Sie ist mit ihrer Freundin aus Mainz gekommen und freut sich über die Aufmerksamkeit für die Füße. "Sie tragen uns durchs Leben, und wir vergessen sie ständig", sagt sie. Ihre Freundin Ellen Engelmann freut sich über das Gemeinschaftserlebnis: "Alle haben mitgemacht, das ist mega!"

"Du stellst meine Füße auf weiten Raum"

In ihrer Predigt war Opel-Koch auf den biblischen Vers "Du stellst meine Füße auf weiten Raum" eingegangen. Darin liege der Wunsch und die Gewissheit, "dass Gott uns dabei unterstützt, unseren Weg zu finden", die eigenen Stärken und Besonderheiten auszuleben. Deshalb werde der Vers häufig als Tauf- oder Trauspruch gewählt. "Gott gibt Chancen und Möglichkeiten der Entfaltung, des Abenteuers, er grenzt nicht ein, hält nicht fest", sondern ermutige, diesen Raum zu erkunden.

Nach dem Gottesdienst nimmt sich die Pfarrerin die Fußwaschung aus dem Johannes-Evangelium zum Vorbild und setzt sich auf einer Wiese hinter der Kirche vor eine Schüssel. Wie Jesus seinen Jüngern nach dem letzten Abendmahl wäscht sie Gottesdienstbesuchern die Füße. "Jesus möchte wertschätzen, ehren und verwöhnen und dazu motivieren, es genau so weiterzugeben", interpretiert sie die Fußwaschung. Der 13-jährige Oskar findet das gut. Nach der Waschung fühlt er sich wohl und hat die Pfarrerin "ein bisschen besser kennengelernt".

Kirchenvorsteherin Bärbel Gerheim knetet derweil die Füße derjenigen, die sich vor ihr auf einer Liege ausstrecken. Melanie Grußbach hat die Massage "sehr genossen", wie sie sagt. Ihr Sohn sei Konfirmand, sie schaue bewusst nach besonderen Gottesdiensten, damit er auch diese kennenlerne.

Kirchenvorsteherin Baerbel Gerheim knetet die Füße einer Gottesdienstbesucherin. So lässt es sich Entspannen.

Peter Meyer, Leiter des Zentrums Verkündigung in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, betont den Demutsaspekt der Fußwaschung. Der Meister beuge sich herab zu seinen Jüngern und wasche "Körperteile, die durch den Dreck gelaufen sind". Durch die Konzentration auf die Sakramente und das Wort habe das Ritual der Fußwaschung in der evangelischen Kirche an Bedeutung verloren. Reinigungsriten gehörten jedoch zum Kern vieler Religionen. Für den Theologen sind Themengottesdienste dann passend, wenn sie Menschen berühren und in ihrem Glauben erreichen.