W.W.J.D.

W.W.J.D.
Wie Jesus einmal Kakao machte und ganz nebenbei heimlich Frieden stiftete.

Manchmal passieren schon seltsame Dinge.

Beim Kirchentag erstand ich ein Armband. Es ist dunkelrot, aus Stoff, und es steht „W.W.J.D.“ drauf. Es gefiel mir gleich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was die Buchstaben bedeuten. Wird schon nichts Übles sein, dachte ich, kommt ja schließlich aus dem Kirchentagsshop. Zu Hause entdeckte ich den kleinen Zettel, der das Geheimnis lüftete: „What Would Jesus Do.“

Seither begleitet mich dieser Satz.

Oft stelle ich mir selbst die Frage, was Jesus jetzt wohl tun würde. An meiner Stelle. Und scheitere regelmäßig. Ich kann zwar genauso zornig werden wie er, und auch so gnadenlos entschlossen. Aber so gut? So sanftmütig und gütig? Das nicht.

Vor ein paar Tagen zappte ich spätabends durchs Fernsehprogramm und geriet zufällt an eine Dokumentation über eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich. Und blieb hängen. Sicher, die Klinik tut, was sie kann, ist aber letztlich hoffnungslos überfordert. Das liegt nicht etwa an der Unfähigkeit der Ärzte und Pfleger*innen, keineswegs, die tun alles, was in ihrer Macht steht. Es liegt am Personalmangel.

Seither verfolgt mich der Film. Und mit ihm immer diese Frage: What would Jesus do?

Da ist dieses Kind. Dahinten, links im kahlen Gang. Es stolpert. Es brüllt. Es fällt. Und keine Rettung ist in Sicht. Bloß Ärzte, in grün und weiß. Die kommen und schleifen das schreiende Kind bis vor die Tür zu seinem Zimmer. Auf grauem Linoleumboden. Zwischen weiß getünchten Wänden.

W.W.J.D?

Ich will nicht! Du musst! Ich will nicht!! Du musst!! Ich kann nicht! Du musst! Ich … Schau mich an, wenn ich mit dir rede!

W.W.J.D. …

Wie klein die alle sind. Und wie groß ihre Augen. Wie sie fliehen vor den Blicken der Ärzte. Und doch genau wissen, was sie sagen müssen, dass sie gehorchen müssen, damit sie hier rauskommen. Raus … nach Hause. Nach Hause!

W.W.J.D?

Du musst! Nein! Doch, und du weißt es! Ich will nicht! Ich … Das Klinikpersonal schnappt sich das Kind. Es ist ein anderes, etwas älteres diesmal. Bindet, stellt es ruhig. Setzt es aus. Dem Schrecken. Der Angst. Der Ohnmacht. Fixiert es ans Bett und pumpt es voll mit Medikamenten. Da liegt es nun, und die Augen irren herum. Und - fallen zu.
Dann kehrt endlich Ruhe ein.

W.W.J.D.

Die Jugendlichen sind noch wach. Am Ende ihrer Welt. Sie kennen das alles schon lange, die Überwachung, die Durchsuchungen, zu jeder Zeit, bei Tag und Nacht, das Misstrauen, die Verbote, dies nicht, das nicht. Auch das kennen sie zur Genüge: kein Netz, kein Bus in der Nähe, keine Bahn. Ausgesetzt. Und abgekoppelt. Von. Der. Welt. Raumschiffmäßig. Ohne Enterprise.

W.W.J.D?

Jesus wäre natürlich auch überfordert, als Teil des Gesundheitssystems. Auch er könnte nur wenig ausrichten. Jesus aber war nie Teil eines Systems.

Er würde ganz andere Dinge tun.

Er wäre einfach da. Bei den Kindern und den Jugendlichen. Bei den Ärzten. Und den Pflegekräften. Er hätte Zeit. Mehr als sie bräuchten. Jesus würde sich zu ihnen setzen und freundlich lächeln. Er würde sie liebevoll anschauen. Und natürlich zuhören. Er würde die Gegensätze aushalten, das „Ich will nicht!“ und das „Du musst!“. Er wäre wütend und traurig wie sie, denn er verstünde sie, alle. Dann würde er den Kindern Kakao machen und den Ärzten Saft bringen. Vielleicht würde er leise vor sich hin summen. Und heimlich Frieden stiften.

Jesus würde nichts anderes tun als schon zu seiner Zeit, als er den Menschen zurief: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Und! sie! würden! Ruhe! finden!

Denn er hätte ihnen die Angst genommen: die Angst vor der Klinik. Beiden, den jungen Patient*innen und dem Personal. Und niemand hätte gemerkt, wie das geschehen konnte …

Vermutlich würde Jesus mit ihnen noch die Klinikwände bunt anmalen. Und einen anderen Linoleumboden auswählen, vielleicht einen blauen. Oder einen in der Farbe meines Armbandes. Schön wär das schon.

Manchmal können die seltsamsten Dinge passieren!

weitere Blogs

Symbol Frau und Sternchen
Geschlechtsneutrale oder geschlechtssensible Sprache erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Bayrische Landesregierung das Gendern verboten. Die Hessische Landesregierung will das Verbot ebenfalls einführen.
Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.