TV-Tipp: "Ein ganz großes Ding"

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31. Juli, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Ein ganz großes Ding"
"Stromberg"-Schöpfer und Grimme-Preisträger Ralf Husmann entwickelt in "Ein ganz großes Ding" ein Szenario, das ein gewisses Thriller-Potenzial birgt.

Als der deutsche Bundestag 1957 die Reform der gesetzlichen Rentenversicherung beschloss, warnten Politiker mit Weitblick vor einem möglichen "Rentenberg". Bundeskanzler Adenauer wischte die Bedenken mit einer Behauptung beiseite, die sich knapp sieben Jahrzehnte später als historischer Irrtum erweisen sollte: "Kinder kriegen die Leute immer." Heute fehlen dem Land Fachkräfte an allen Ecken und Enden; und damit auch Arbeitskräfte, die in die Rentenkasse einzahlen. Dass die Misere nicht neu ist, belegt der Slogan "Kinder statt Inder".

Als im Jahr 2000 ausländische IT-Experten nach Deutschland gelockt werden sollten, sagte CDU-Politiker Jürgen Rüttgers während des NRW-Landtagswahlkampfs in einem Interview: "Statt Inder an die Computer müssen unsere Kinder an die Computer." Daraus wurde die Überschrift "Kinder statt Inder an die Computer". Die Rechtsaußen-Partei "Die Republikaner" nutzte den ersten Teil der Schlagzeile schließlich als Parole für ihre Wahlplakate. 

Vor diesem Hintergrund hat sich Ralf Husmann eine Geschichte ausgedacht, die den Slogan aufgreift, dann aber in eine völlig andere Richtung führt. Hauptfiguren sind ein Kleinstadtehepaar mit gänzlich unterschiedlichen Ambitionen: Kristina Lurz (Silke Bodenbender) ist die Bürgermeisterin von Waldsee und träumt davon, eines Tages ins Kanzleramt einzuziehen.

Dummerweise gibt es in Waldsee zu viele Leute, die jede Veränderung erst mal infrage stellen. Leider gilt das auch für den Mann an ihrer Seite: Lennart (Christian Erdmann) ist ein guter Kerl, aber wenn’s drauf ankommt, zieht er den Kopf ein. Als er sich eines Tages endlich mal was traut, bereut er den Wagemut bald darauf wieder, doch da ist es schon zu spät: Lennart ist Angestellter beimwichtigsten Arbeitgeber im Ort und schlägt vor, Menschen aus Indien anzuwerben, um die Personalprobleme der IT-Abteilung zu lösen.

Sein unsympathischer Chef, Joachim Kraft (Jörg Schüttauf), kann sich mit der Idee anfreunden, Kristinas Begeisterung ist sogar noch größer: Ein entsprechendes Modellprojekt würde ihr bundesweite Aufmerksamkeit bescheren. Das wiederum wäre dann doch nicht in Lennarts Sinn: Anders als sie will er offenkundig nicht nach Berlin. Auf dieser Basis entwickelt "Stromberg"-Schöpfer und Grimme-Preisträger Husmann ein Szenario, das sogar ein gewisses Thriller-Potenzial birgt.

Zunächst wird die Bürgermeisterin, Stichwort "Kinder statt Inder", mit einer Protestkampagne konfrontiert, doch dann kriegt sie ein viel größeres Problem: Nach einem Hackerangriff sind sämtliche Computer im Rathaus lahmgelegt; die Stadt soll eine Million Euro zahlen. Die Suche nach den Drahtziehern, die Kristina in ihrer unmittelbaren Umgebung vermutet, trägt zumindest gewisse kriminalistische Züge, zumal sich Husmann eines Kniffs bedient, mit dem Autorenkollege Holger Karsten Schmidt ("Nord bei Nordwest", "Harter Brocken") seinen Krimis regelmäßig zu mehr Pep verhilft.

Plötzlich tauchen zwei waschechte Ganoven in dem beschaulichen Städtchen auf. Hinnerk Schönemann und Sebastian Schwarz nutzen ihre Gastrollen für eine äußerst amüsante Gangsterduo-Parodie. Die Dialoge sind wie stets bei Husmann ohnehin ein Genuss. Bissig geht es in seinen Drehbüchern ("Merz gegen Merz") grundsätzlich zu, doch diesmal ist der Witz durchaus auch mal grimmig. Gerade die beiden Kriminellen schrecken weder vor Entführung noch vor Gewalt zurück. Handgreiflich wird es allerdings auch bei den diversen anderen Auseinandersetzungen.

Trotzdem lebt der Film vor allem von den Figuren. Besonders gut getroffen ist Kristinas von Inga Dietrich als impertinente Nervensäge verkörperte Sekretärin, die sich gemeinsam mit einem Kneipier (Alexander Hörbe) die vermeintlich heile Welt der Achtzigerjahre zurückwünscht. Eine Nebenebene befasst sich mit dem toxischen Verhältnis zwischen Kraft und seiner sträflich unterschätzten Tochter Charlotte (Hanna Plaß), die Lennart derart engagiert unterstützt, dass Kristina prompt ein Verhältnis wittert. 

Bei Stoffen dieser Art kommen gern die vierfachen "Oscar"-Preiträger Brüder Joel und Ethan Coen ("Fargo") ins Spiel, und tatsächlich gibt es gerade wegen des oftmals lakonischen Humors gewisse Parallelen. Davon abgesehen erzählt Husmann jedoch eine typisch deutsche Geschichte, in der "Steinzeitmenschen", wie sich Kristina mal beschwert, jeden Fortschritt blockieren. Sehenswert ist auch die Umsetzung, zumal Regisseurin Francis Meletzky mit Hilfe von Schnitt und geteiltem Bildschirm für viel Tempo sorgt. Die Musik erfreut durch zarte Western-Anklänge, und das Ensemble ist sowieso klasse.