Das Herz des Mediengeschäfts

Das Herz des Mediengeschäfts
Schreibt Liliana Matthäus Mediengeschichte? "Je härter der Hieb, umso höher der Ausschlag an Schadenfreude" (heute ausgeruhtere Stefan-Raab-Show-Nachrufe). Und je höher die Durchschnittstemperaturen, desto höher der Krimi-Ausstoß des deutschen Fernsehens. Außerdem: was passiert, wenn die ARD im Indischen Ozean mal kein "Traumhotel" dreht; ist "Migrationsvordergrund" ein besserer Begriff als "-hintergrund"?

In die Sphäre des deutschen Privatfernsehens schauen wir hier eher selten, so wichtig es gesamtgesellschaftlich zweifellos ist. Als mehr als eine ebenso nachrangige wie unwürdige Abspielstätte für Serienereignisse oder Hollywoodfilme, die man sich wenn, dann anderweitig anschauen sollte, erscheint es selten. Und um sinnvoll mit Sendungen umzugehen, in denen minderjährige Musikerinnen aus Hannover, die "vor allem durch ihre Stimme, aber auch durch ihre Outfits" auffielen, aber offenbar sehr vernünftig sind, vor Konkurrentinnen "aus Groß Twülpstedt bei Wolfsburg (22,95 Prozent)" gewinnen, fehlen der Medienkritik die Instrumente. Vielleicht fehlt einfach der Fernsehblog.

Aber heute schauen wir zunächst ins Privatfernsehen (und anschließend auch ins öffentlich-rechtliche). Schließlich erging gestern ein spektakuläres, womöglich weitreichendes Bundesgerichtshof-Urteil, und zwar in der Sache Vox vs. Sat.1 wegen Liliana Matthäus. "Es ist ein Fall, der sozusagen ans Herz des Mediengeschäfts rührt" (Wolfgang Janisch, Süddeutsche):

"Die Sat-1-Sendung 'Stars & Stories'"

- nicht die, die immer Alexander Kluge produziert, die heißt "News & Stories" -

"hatte im Sommer 2010 zwei Exklusivinterviews mit Liliana Matthäus ausgestrahlt, die damals noch mit Lothar Matthäus verheiratet war. Und die Vox-Sendung 'Prominent' hatte sich daraus bedient. Nun hat der Bundesgerichtshof über den Streit um die tränenreichen 80 Sekunden entschieden."

Streng genommen, hat er nicht entschieden, sondern den Fall zurück ans Oberlandesgericht Hamburg verwiesen, "aber am Ende dürfte Vox recht bekommen. Denn", und um aus dem kurzen SZ-Artikel nicht zu viel zu zitieren, zappen wir zur FAZ (S. 15, nicht frei online):

"Nach Ansicht des BGH ist ... nicht auszuschließen, dass sich Vox auf das Zitatrecht nach Paragraph 51 Urheberrechtsgesetz berufen kann. Dafür reiche aus, 'dass das fremde Werk als Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erscheint'".

Vox dürfe sich, was Celebrities wie Liliana Matthäus betrifft, nicht auf Regeln zur aktuellen nachrichtlichen Berichterstattung berufen. Das hat der BGH ebenfalls entschieden. Aber es könnte aus exklusiven Fernsehinterviews, die andere Sender geführt haben, Originalausschnitte zitieren dürfen, solange es drum herum eigene "Ausführungen" anstellt. Klingt, als könnte das durchaus ganze Geschäftsmodelle im Privatfernsehen unterminieren (und, anders als z.B. im Onlinejournalismus, pflegen Privatfernseh-Geschäftsmodelle ja zu funktionieren).

[+++] Eine Celebritiy anderen Kalibers ist dieser Tage Anlass, ohnehin ins Privatfernsehen zu schauen. Seit Dienstag läuft die Stefan-Raab-Abschieds-Berichterstattung auf Hochtouren. Heute ist Brückentag: In gedruckten Zeitungen können ausgeruhte Nachkritiken zur letzten "tv total"-Show die schnellen Nachtkritiken aus dem Internet (Altpapierkorb gestern) ergänzen, bevor alle sich auf die letzte "Schlag den Raab"-Sendung morgen stürzen.

"Doch Stefan Raab überrascht auch noch bei seiner letzten Sendung 'TV total'. Ob die Überraschung gelungen ist, sei dahingestellt", würdigt Sandra Capljak (Standard) elegant den noch gar nicht so alten, aber enorm langjährigen Veteranen. Joachim Huber hat für den Tagesspiegel und dessen Onlineauftritt eine Mischung aus beiden Kritikgenres geschrieben (veröffentlicht gestern, 10.54 Uhr), die "der langlebigsten Late-Night-Show im deutschen Fernsehen" nicht sehr respektvoll begegnet, aber natürlich ihrer Einschaltquote.

Am instruktivsten ist der wiederum kurze Artikel auf der SZ-Medienseite. Er erinnert daran, dass Raab vom oft juristisch umstrittenen Recht aufs Zitieren schon immer gerne Gebrauch gemacht hatte. Zum Beispiel, wenn mit Akzent sprechende Menschen lange Wörter aussprachen oder einfach nur Namen trugen, die schlichten Gemütern lustig erscheinen konnten, zumindest sofern der angebliche Gag oft genug wiederholt wurde.

"Je härter der Hieb, umso höher der Ausschlag an Schadenfreude. Das war das Ur-Prinzip von 'TV total'",

schreibt Ralf Wiegand und erfüllt damit sozusagen eine Forderung ("Diese gelegentlich finstere, da unerbittliche Seite eines Comedians, der Menschen in einer Öffentlichkeit ausstellt, vor der er sich selbst – vollkommen legitim – mit allen nur erdenkbaren rechtlichen Möglichkeiten schützt, kam in vielen Lobeshymnen, die in diesen Tagen seines Abschieds vom Bildschirm erschienen, zu kurz"), die Dietrich Leder bei im Rahmen einer ansprechend bebilderten,  von schon Lückerath'scher Detailfreude getragenen Abschiedsshow-Beschreibung bei medienkorrespondenz.de aufstellt.

[+++] Kleine Sternstunde des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenjournalismus, die den "Tagesthemen" (ca. ab Min. 18.20) gestern abend halb oder dreiviertel freiwillig gelang.

Der Inselstaat der Malediven im Indischen Ozean befindet sich einerseits in der fürchterlichen Lage, seinem Untergang in wörtlichem Sinne entgegen zu sehen; vielleicht wären die Malediver nicht so euphorisiert angesichts des lauwarmen Dezembers auf der Nordhalbkugel wie die ARD-Wetterfee. Andererseits regieren auf den Malediven Islamisten. Von dort schlössen sich, proportional gesehen, mehr Kämpfer den ISIS-Terroristen an als aus irgendeinem anderen Staat, berichtete ARD-Korrespondent Markus Spieker gestern. Zuvor war er offiziell ausgewiesen worden (ARD: "Angriff auf die Pressefreiheit").

Sein Bericht aus dem Traumstrände-Staat, in dem etwa Interviews mit verschleierten ISIS-Sympathisantinnen abgebrochen werden und die Reporter dann auf Lastwagen zur Ausreise kutschiert werden, enthält so viel Gegensätzliches auf knappem Raum wie nur möglich.

Was den Effekt noch steigern kann, wäre freilich ein Blick zur "Traumschiff"- bzw. (Öffentlich-Rechtlichen-Kenner wissen ja, dass das eine ZDF-Marke ist) zur "Traumhotel"-Folge von den Malediven.

[+++] Um fair zu bleiben: Den Schmonzetten-Ausstoß zu senken, scheint zumindest der ARD gelungen zu sein. Das "Traumhotel" wird gar nicht mehr fortgesetzt. Indes steigt der öffentlich-rechtliche Krimi-Ausstoß, als sei er die Durchschnittstemperatur.

Zum ARD-Krimi gestern abend (im Altpapierkorb war aus der FAZ-Kritik zitiert, die wie circa dreiviertel sämtlicher deutscher Fernsehfilmkritiken die Geschichte doof, aber die Schauspieler toll fand ...) ist ein aufschlussreicher Fun-fact nachzutragen: Harald Keller verglich den ARD-Krimi in der Frankfurter Rundschau mit der zeitgleich endenden RTL-Serie "Deutschland 83" auch deswegen, weil deren letzte Folge von derselben Regisseurin inszeniert wurde, Samira Radsi. Den ARD-Krimi findet er übrigens besser.

Den ARD-Krimi am Sonntag bespricht die FAZ-Medienseite heute schon mal. Es ist erneut ein neues Kommissars-Gespann unterwegs, ein deutsch-polnisches. Jan Wiele hat beim RBB-"Polizeiruf 110" "das Gefühl, dass ... der Krimi insgesamt gewaltig Ladehemmung hat – das Drehbuch scheint eher für sechzig Minuten angelegt als für neunzig" und lobt bemerkenswerterweise nicht einmal die Darsteller (Manfred "Zapatkas tiefgründige Minimal-Mimik kann manchmal ganze Filme retten; hier reicht es leider nicht").

Und zu einem der ersten ARD-Krimis 2016, dem Zweiteiler "Das Programm" (ARD: "180 Minuten Hochspannung, in denen man rätselt, wem man vertrauen kann ..."), hat Diemut Roether in der neuen epd medien-Ausgabe ein sieben Seiten langes Interview mit dem Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt geführt, das immer eng am Thema Schreiben bleibt und daher aufschlussreich ist.

Es geht um den Film selbst, der streng genommen kein Krimi ist ("Das haben der damalige Redaktionsleiter von Sat.1 gelesen und die Redakteurin ...und als der Redaktionsleiter die zweite Drehbuchfassung gelesen hatte, sagte er, das ist ja ein Thriller, ich dachte, das sei ein Drama ..."), um die öffentlich-rechtliche Krimiflut ("Das ZDF macht fast nichts anderes mehr als Krimi. Was sehr traurig ist, weil da seit Jahren eine Genre-Vernichtung läuft, die ich sehr bedauerlich finde. Auf der anderen Seite: das Publikum stimmt ab und signalisiert den Verantwortlichen: Das andere wollen wir nicht") und um Variationen innerhalb dieser Krimiflut ("Man hatte mich gebeten, für Hinnerk [Schönemann]  eine Reihe zu entwickeln. Damals gab es gerade so eine Kommissar- und Kommissarinnenschwemme im Fernsehen, dass ich gesagt habe, dann mache ich ihn zum Privatdetektiv ...").

Dass das ZDF fast nichts anderes mehr als Krimi macht, ist natürlich übertrieben. Für Schmonzetten engagiert das Zweite sich weiterhin nach Kräften ... Das epd medien-Interview wird voraussichtlich kommende Woche frei online erscheinen.


Altpapierkorb

+++ Wie über einige Begriffe, so gibt es auch über den Begriff "Migrationshintergrund" unterschiedliche Meinungen. Ist "Migrationsvordergrund" ein besserer? Den jedenfalls verwendet Mohamed Amjahid in seinem Porträt der ZDF-Journalistin Dunja Hayali, "Journalistin mit Migrationsvordergrund", im Tagesspiegel. Hayalis Hund, den man aus ihren Abend-Talkshows in der Maybrit-Illner-Sommerpause (bzw. der Folge mit Monica Lierhaus und ihrem Hund) kennt, kommt auch drin vor. Das Porträt ist aber lesenswert. +++

+++ Die Youtube-Celebrity LeFloid macht bei der Kampagne "Begriffswelten Islam" der Bundeszentrale für politische Bildung mit. Das ist für die TAZ Anlass, den Youtuber, der das entsprechende Video "bisher nicht auf seinem Hauptkanal mit 2,8 Millionen Fans spielt, sondern nur auf dem Zweitkanal FlipFloid, den rund 300.000 abonniert haben" (dafür läuft auf dem Hauptkanal "Das dümmste Arschgesicht der ganzen Welt"), vorzustellen: "Damit niemand umschaltet, plappert LeFloid seinen Text in die Kamera, als hätte er eine manische Episode". +++

+++ Manchmal ist kress.de, das von Bülend Ürük geleitete Medienmedium, ja richtig gut. Aber dann machen Ausreißer wie die Übernahme eines von Axel Springer für Axel-Springer-Zwecke initiierten Gesprächs zwischen drei Bild-Zeitungs-Führungspersonen solche Eindrücke immer wieder zunichte. Zumal Ürük den Unfug auch noch überschwänglich anteasert ("Wie geht es weiter bei 'Bild'? Werden sich die drei Alpha-Journalisten bei der Ausrichtung von Axel Springers wichtigster Marke einigen können? Wo könnten die Schwierigkeiten liegen? Und - vertragen sich Kai Diekmann, Tanit Koch und Julian Reichelt überhaupt?"). +++

+++ Wo kress.de vorn mit dabei war: in der enorm unübersichtlichen Geschichte um die Frage, ob der Vorsitzende eines der beiden Berliner Landesverbände der Journalistengewerkschaft DJV in den mittleren 1980ern wissentlich für die Stasi gearbeitet hat. Inzwischen hat dieser Vorsitzende, Bernd Lammel, sich auch selbst geäußert. Berichte gibt es von Petra Sorge bei cicero.de und (unfrei online) in der SZ. +++

+++ Kann man sich ARD oder ZDF als "Technologie- und Innovationsführer" vorstellen? Der ebenfalls öffentlich-rechtliche ORF sieht sich selbst so und hat, damit es so bleibe, den futurezone.at-Chefredakteur Gerald Reischl angeheuert. +++

+++ Diese Medienwächter! Sie haben es ja nicht leicht, falls sie sinnvoll wirken wollen (wobei das nicht unbedingt alle mit ganzer Kraft wollen), aber es faustdick hinter den Ohren. Jürgen Brautmeier, der manchmal mit sinnvoll gemeinten Initiativen auffällt, hat sich in Düsseldorf auf seinen bisherigen Posten nun einfach beworben, obwohl die rot-grüne Landesregierung durch neue Ausschreibungsbedingungen genau das verhindern wollte ... Volker Nünning berichtet in der Medienkorrespondenz. +++

+++ Über Weihnachten scheint die Krimiflut bzw. die Gewalt im fiktionalen Fernsehen leicht zurückzugehen. Markus Bräuer, der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, lobt hier nebenan insbesondere 3sat. +++

+++ Der Weltwoche aus Zürich, dieser "selbsternannten Protestzeitung" sei es nun "gelungen, so sehr gegen den Strom zu schwimmen, dass einige tatsächlich überrascht waren", würdigt Charlotte Theile in der SZ das Joseph-Blatter-Cover des Blattes. +++

+++ "Natürlich sind die Sender ständig mit dem Publikum beschäftigt, Stichwort: Quoten! Aber sie haben es noch nicht wirklich geschafft, die Zuschauer, die Zuhörer nicht nur als Konsumenten, sondern als Staatsbürger wahrzunehmen": Da hat Fritz Wolf, dessen Brenner-Stiftungs-Studie zum Thema zuletzt in diesem Altpapier vorkam, Telepolis ein Interview gegeben. +++

+++ Themen der FAZ-Medienseite: die Lage der Journalisten in Argentinien (früher wurden sie "kujoniert, jetzt müssen sie umlernen: Man spricht mit ihnen"). +++ Und, glossiger, die "TV-Krise des Karnevals", wie der Express (Achtung, Hardcoreboulevard!) die gestern zirkulierenden Meldungen von der zurückgehenden öffentlich-rechtlichen Karnevals-Berichtererstattung betitelt. +++

+++ Was tun, wenn gerade mal keine neue Netflix-Serie zu besprechen gibt? Eine schon etwas ältere Serie auf Netflix besprechen (SZ-Medienseite noch mal). Schließlich ist Sendestart ja so was von einem Relikt aus der Ära des linearen Fernsehens ... +++

+++ "War was?" "Star Wars." "Star Was?" "Star Wars!" "Ach was." (aus dem heutigen Tagesspiegel-"Checkpoint"). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.

 

weitere Blogs

Drei Kreuze mit Regenbogenfarben
Körper sind ein zentrales Thema in den Passionserzählungen. Eine gute Gelegenheit, einen Blick in eine queer-theologische Körperkonfigurationen zu Kreuz und Auferstehung zu werfen.
KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.
Aus gegebenem Anlass: zwei Briefe an den bayerischen Ministerpräsidenten.