Die Warlords der Daten

Die Warlords der Daten
Gleich der zweite, nun wohl wirklich weitreichende Datenschutz-Plan innerhalb weniger Tage! Ein Jahr voller "Brennpunkte" neigt sich dem Ende zu. Eine Privatfernsehentertainer-Karriere tat es nun auch, in einer "Atmosphäre der gepflegten Durchschnittlichkeit". Außerdem: Treffen sich Chinesen, Russen und Iraner, um über Internetfreiheit zu reden ... Was Saudi-Arabien der FAZ wohl bezahlt hat.

Fast schon Datenjournalismus, den die ARD, DPA und Spiegel Online da leisten: Nach eigenen Angaben hat das sog. Erste im noch laufenden Jahr "bislang 43 'Brennpunkt'-Ausgaben ausgestrahlt", so viele "wie seit 16 Jahren nicht mehr". Wie die Meldung dann richtig herausarbeitet, sagt das nichts Gutes über 2015:

"Wenn die ARD einen 'Brennpunkt' kurzfristig einplant, ist es eigentlich kein gutes Zeichen. Das heißt zumeist, dass es wieder irgendwo einen Anschlag gab, ein Hochwasser oder eine andere Krise oder Tragödie".

Auch wenn 2015 den Wert von vor 17 Jahren, "im absoluten Rekordjahr 1999 waren es 70", schon rein rechnerisch nicht mehr erreichen kann: Aus solchen Gründen könnten Medienmedien-Verbrauchern weniger satirische Jahresvorschauen begegnen als früher, als wir hier im Altpapier so was auch gerne gemacht hatten. Wer immer ironisch aufs Medienjahr 2016 vorausschaut, müsste schließlich auch die nächsten "Brennpunkt"-Wellen-Anlässe antizipieren. Der "Rekord" von '99 soll sich vor allem dem Kosovo-Krieg verdanken.

[+++] Eher unironisches Zurück- und Vorausgeblicke hat aber natürlich Saison. Unter anderem endet gerade auch die Amtszeit des aktuellen ARD-Vorsitzenden. (Und falls Ihnen Lutz Marmors Gestus der ostentativen Bescheidenheit immer leicht auf die Nerven geht: Da könnte es helfen, einfach das gestern hier empfohlene große Lutz-Hachmeister-Interview mit seinem Vorgänger als NDR-Intendant, Jobst Plog, zu lesen; danach freut man sich wieder, dass der Nachfolger nicht immerzu solch phänomenales Selbstbewusstsein durchscheinen lässt ...).

Marmor bleibt bekanntlich Intendant, bloß der ARD-Vorsitz wechselt weiter zum MDR. Was Marmor auf diesem Posten geleistet, untersucht Imre Grimm per "Blick in sein Fleißheft" bzw. "Baustellenbesichtigung" in der Hannoverschen (Plog würde sagen: Hannöverschen) Allgemeinen. Huch, gestern abend stand der Artikel noch gratis online. Über die Leipziger Volkszeitung ist er bei blendle.com aber für günstige 0.15 Euro zu haben.

Jedenfalls, Hannöversche mögen Metaphern. Und außer Blicken zurück ("Die Degeto-Freitagsfilme sind sanft entschmalzt worden") macht Grimm auch schon auf 2016 gespannt: Was den ARD/ ZDF-Jugendkanal fürs Internet betrifft, wäre "alles andere als ein Flop ... eine Überraschung".

Wenn die verlagsgebundene Presse, die in ihrer bayerischen Ausprägung just noch mit einer neuen Klage gegen eine öffentlich-rechtliche App (frei online am ausführlichsten wohl bei digitalfernsehen.de) schon mal ein Signal fürs nächste Jahr setzte, das bereits jetzt meint, kann man auf die diesbezüglichen Auseinandersetzungen zum tatsächlichen Start gespannt sein.

[+++] Tage-aktuelles Topthema: Datenschutz. Gleich zwei weitreichende Regelungen wurden Ende 2015 noch getroffen. Kurz nachdem es Bundesjustizminister Heiko Maas gelungen war, Vertretern von Datenkraken wie Facebook und Google etwas wärmere Worte abzuringen, als diese zuvor zu äußern befugt waren ("Ergebnispapier mit konkreten Maßnahmen", Altpapier gestern), haben sich auch noch

"Verhandlungsführer*innen des Europäischen Parlaments, der EU-Kommission und des Ministerrates über den genauen Wortlaut der EU-Datenschutz-Grundverordnung geeinigt" (netzpolitik.org).

Sowohl über diesen Wortlaut als auch über das Spektrum der insgesamt durchaus, bis hin zu golem.de, positiven Meinungen dazu informiert der netzpolitik.org-Beitrag.

Hinzufügen ließe sich noch, dass das keineswegs sehr wirtschaftsskeptische handelsblatt.com von einem "überfälligen" Schritt gegen die "Datenkrake Internetwirtschaft" spricht. Das überrascht etwas mehr, als wenn die FAZ (Nikolas Busse, S. 10) vom "unerträglichen Spielchen, dass die großen, meist amerikanischen Internetfirmen sich in Europa den Standort mit dem schwächsten Datenschutz suchten, um von dort aus Geschäfte zu betreiben, die etwa in Deutschland aus gutem Grund nicht erlaubt sind", schreibt. Dagegen also sei die Verordnung gut; auf derselben Zeitungsseite erhält der grüne Berichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung im Europäischen Parlament, Jan Philipp Albrecht, per Porträt-Überschrift den "Ritterschlag" der FAZ.

Kritik gibt's natürlich ebenfalls, etwa vom führenden europäischen Anti-Facebook-Aktivisten Max Schrems. "Der nun getroffene Kompromiss sei durch Lobbying der Wirtschaft verwässert worden und lasse sehr viel Spielraum für Internetkonzerne", sagte er dem ebenfalls österreichischen Standard.

Eine gute Synthese der Kritik und des Lobs für das ja noch nicht einmal ansatzweise umgesetzte, bloß nach Jahren bis Jahrzehnten beschlossene Vorhaben denkt Max Biederbeck für wired.de zusammen:

"Ja, die Datenschutzverordnung hat Lücken. Ja, es wird schwer werden, den Überblick zu behalten und es wird zu Klagewellen und schwierigen Einzelfällen kommen. Ja, Industrien, die auf Daten angewiesen sind, können nicht so weitermachen wie bisher. Und ja ... ... Aber: Dass es nach zwanzig Jahren endlich einen Kompromiss gab, sollte uns ermutigen. Zwanzig Jahre, in denen das Internet größer wurde. In denen aus anarchischem Spaß eine digitale Welt gewachsen ist, in der wir uns freiwillig und/oder unbewusst in Abhängigkeit von großen Unternehmen begeben haben. Es ist wichtig, diesen Raum endlich rechtlich zu definieren. Es geht nicht darum, dass ein Gesetz immer auf der Höhe der aktuellen Technik sein muss. Aber es muss die Prinzipien eines Zeitgeists aufgreifen. Und das versucht die neue Verordnung."

Und dann hat Biederbeck auch noch eine Formulierung für alle die parat, denen der Begriff Datenkraken nicht behagt: "Die Warlords der Daten", die würden nun "in die Pflicht" genommen.

Was die Versprechungen, die die Warlords-Abgesandten Heiko Maas und seinen Mitstreitern gemacht haben, betrifft, hat Sonja Alvarez vom Tagesspiegel (die zuvor diese Mitstreiter noch "Task Farce" nannte), dann doch ein Mitglied der "Task-Force" interviewt. Nicht überraschend, ist Uwe-Karsten Heye erst mal zufrieden. Es bleibe aber viel zu tun:

"... Wir alle müssen sehr viel intensiver darüber nachdenken, ob durch die Digitalisierung nicht auch eine Art von sozialer Distanz entsteht zwischen den Menschen – und wie man diesen Folgen so begegnet, dass wir nicht eine kalte Gesellschaft werden",

sagt der einstige Regierungssprecher Gerhard Schröders und Autor eines von Nico Hofmann verfilmten Romans.

[+++] A propos:

"'Ein Chinese, ein Russe, ein Kasache und ein Iraner treffen sich, um über Internetfreiheit zu reden...' - das klingt wie ein Witz. Doch genau so findet es seit Mittwoch in der ostchinesischen Stadt Wuzhen statt",

leitet Finn Mayer-Kuckuk einen Artikel in der Frankfurter Rundschau ein. Während "hochrangige Vertreter europäischer Regierungen, der USA oder aus Nachbarländern wie Japan" bei dieser World Internet Conference "auffällig abwesend" seien, waren sich "Internetkonzerne wie Google, LinkedIn und Apple ... dagegen nicht zu schade, Manager zu schicken".

Afrikanische Staaten sind auch dabei, da könnte es sich um Nigeria handeln (vgl. dazu den TAZ-Bericht "Knast für kritische Tweets"). Saudi-Arabien wird in der FR nicht in dem Zusammenhang erwähnt, aber in interessantem anderem.

Der Staat, der mit Bloggern übler umgeht als wohl jeder andere Staat der Welt (siehe aktuell das Raif-Badawi-Porträt "Bloggen bis zur Todesstrafe" hier nebenan), der oder dessen Bürger aber auch, um mal rasch den München-Teil der Süddeutschen aufzublättern, möglichst anonyme Millionenspenden für Moscheenbau hierzulande locker machen, hatte am Freitag (siehe Altpapier) eine ganzseitige Anzeige in der FAZ geschaltet.

Wer den "eng gedruckten, sechsspaltigen Text" darin sowohl durchgelesen ("ungelenkes Übersetzungsroboter-Deutsch") als auch dem Zustandekommen dieses Zeitungsgeschäftchens nachgegangen ist, war wiederum die Rundschau - die bekanntlich inzwischen dem Verlag der FAZ gehört. Offenbar spielten da die überregionale Große, die sowohl Geld verdienen als auch einen Ruf wahren muss, und ihre lokale Tochter über die Bande. Es handele sich, schreibt Martin Gehlen, um einen von Mohammed bin Salman, dem Vizekronprinz, "befohlenen innersaudischen Gehorsamsakt", mit dem der saudiarabische Botschafter in Berlin, der fließend deutsch spricht, wohl nichts zu tun habe.

Immerhin sollen die Saudis stolze 66.000 Euro bezahlt haben - also deutlich mehr als Xavier Naidoos Konzertveranstalter für seine Anzeige kürzlich wohl bezahlt hatte.


Altpapierkorb

+++ Die allerdetailverliebteste Nachtkritik zu Stefan Raabs allerletzter "tv total"-Show gestern abend hat natürlich dwdl.de: "Ein Abschied voller Melancholie, Nostalgie und einigen Witzen auf eigene Kosten in einer Atmosphäre der gepflegten Durchschnittlichkeit, die in den vergangenen Jahren schon dazu geführt hat, dass so mancher nur noch selten abends zu 'TV Total' fand. Im Nachhinein könnte man sich so auch erklären, warum ProSieben den Abschied lieber hinter der belanglosen Rankingshow 'Hot' versteckte als einen Tag später das 'The Voice'-Finale als Vorprogramm für einen großen Abschied der am längsten laufenden deutschen LateNight-Show zu nutzen", schreibt Thomas Lückerath. +++ Die Raab-Gegner vom Spiegel und die scharfen Raab-Gegner von der Bild-Zeitung haben auch geguckt und geschrieben. +++  Indes hat Klaus Raab, nicht verwandt (aber an der oben verlinkten Altpapier-Jahresvorschau auf 2012 beteiligt), für zeit.de Stefans "Entdecker" Marcus Wolter interviewt. +++

+++ "Das finde ich spannend an alten Männern. Die kommen einem nicht mit Joko & Klaas oder Pageimpressions. Nee, die haben den Ersten Weltkrieg im Kopf und können mit solchen Dingen die Welt einordnen!", kolumnierte gerade noch die TAZ-Kriegsreporterin (mit Bezug auf ein turi2.de-Interview mit Peter Wippermann). Da musste der deutlich jüngere Michael Hanfeld für faz.net auch schon den neuesten Klaas-Joko-Sketch nacherzählen ... (wobei sueddeutsche.de allerdings voran ging). +++

+++ Auf seine Medienseite hat es dieser Beitrag dann aber nicht geschafft. Dort steht heute wieder ein komplexer Hanfeld-Beitrag, an dessen Ende eine vollständige URL abgedruckt ist, nämlich www.ndr.de/fernsehen/epg/import/Begegnungen-von-Stammgaesten-und-Fluechtlingen-in-Boizenburg,sendung457698.html. Im Text geht es zuvor um "Rufmord befördernde Zitatkünstler", was der Blog buntesamt.blogspot.de auf sich beziehen dürfte, der unter einem Videoausschnitt aus dem NDR-30-Minüter, der unter der URL ganz zu sehen ist, inzwischen den Text "Diese junge Dame ist leider auf den Postillon herein gefallen. Wir bitten euch das gesamte Video anzuschauen. Die junge Dame hat selbst Freunde mit Flüchtlingshintergrund und ist keine Rassistin. Sie ist lediglich auf einen Artikel vom Postillon reingefallen. Wie viele andere auch." hinzugefügt hat. +++

+++ Ferner geht's auf der FAZ-Medienseite u.a. um den neuesten Degeto-Krimi "Die Füchsin", der heute abend läuft und eine Gemeinsamkeit mit circa Tausenden weiteren öffentlich-rechtlicher Fernsehfilme hat: "Was dem Fall selbst an Spannung und Stringenz fehlt", mache "die hervorragende Besetzung ... wett". +++

+++ "Während z.B. in den Kreisen des Investigativjournalismus doch mehr dem, entschuldigt den saloppen Begriff, 'Schwanzvergleich' gehuldigt wird, ist Kooperation und Austausch in datenjournalistischen Kreisen weit verbreitet": Da stellt datenjournalist.de Lorenz Matzat einen streng datenjournalistischen Jahresrückblick an. +++

+++ Dass Twitter "nun an 500 Millionen nicht eingeloggte Seitenbesucher ebenfalls Werbung aus"spielt,  müsse "als schiere Verzweiflung gewertet werden", meint Sascha Lobo bei SPON unter der Überschrift "Weltherrschaft oder Tod". +++ Darin nicht erwähnt, aber wirklich bereits tot ist das sympathische Twitter-Analyse-Werkzeug topsy.com (monitoringmatcher.de). +++

+++ Die re:publica, diese bekannte "Berliner Gesellschaftskonferenz", soll 2016 "internationaler, extrem innovativ werden", zititert die Berliner Zeitung den Geschäftsführer Andreas Gebhard. +++ Und im Fernsehen wird 2016 der Anteil der Karnevals-Übertragungen zurückgehen (Tagesspiegel). +++

+++ "Einmal zum Beispiel steht Jordan in einem Wohnzimmer. Der Hausherr hockt am Boden und versucht, mit Schaufel und Kehrblech die Reste der gerade eben zerschellten Schwiegermutter-Urne zusammenzufegen. 'Das wäre eigentlich der Moment, in dem der 'Panther' seine volle Stärke beweisen könnte“, sagt der Staubsaugervertreter pflichtgemäß. 'Meine Schwiegermutter ist nicht gestorben, um in Ihrem Staubsaugerbeutel zu landen', bellt der Hausherr": Da macht Hans Hoff auf der SZ-Medienseite auf eine neue, humorvolle WDR-Serie gespannt. +++ Außerdem geht's dort um das Zeremoniell der Fernsehübertragung des Bayerischen Fernsehpreises (nun durch Sky). +++ Und wird vermeldet, dass Frank Plasbergs TV-Firma "Ansager und Schnipselmann" eine neue ARD-Show namens "Paarduell" mit Jörg Pilawa als Moderator produzieren wird, in der Plasberg und seine Frau Anne Gesthuysen auch als eines von mehreren quizzenden Paaren mitmischen. +++ Sowie eine traurige Nachricht (in Form eines ausführlichen, kostenpflichtigen Nachrufs von Wolfgang Krach) ebd.: Der Fotograf Reto Zimpel ist mit 53 Jahren gestorben. +++

Neues Altpapier gibt's am Freitag wieder.

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