Wieder keine Schnellstraße

Wieder keine Schnellstraße
Um Vertrauen in den Journalismus zurückzugewinnen, müssen sich einige Dinge ändern - zum Beispiel die Personalentscheidungen, sagt Spiegel-Online-Chefin Barbara Hans. Thomas Knüwer macht sechs weitere Vorschläge, um die Medienwelt endlich zurück in die Gegenwart zu holen. Und T-Online schneidet alle Zöpfe ab - für einen Neuanfang als Startup.

Wenn in den vergangenen Monaten nach Wegen gesucht wurde, das schwindende Vertrauen in den Journalismus zurückzugewinnen, beschränkte sich die Suche vor allem auf die Mängel im Inhalt, und heraus kam dann meistens irgendwas mit Fact-Checking. Spiegel-Online-Chefredakteurin Barbara Hans hat sich für ihre Eröffnungsrede zur Dverse Media Konferenz Ende Juni Gedanken zu einem etwas tiefer liegenden Problem gemacht, das in diesem Zusammenhang ebenfalls eine nicht so ganz kleine Rolle spielt und ihr selbst auf dem Weg in die Führungsetage schon einige Male begegnet ist.

Spiegel Online hat die Rede am Mittwoch als Essay veröffentlicht.

„Die Wahrnehmungspsychologie hat schon in den Vierzigerjahren belegt, dass wir Menschen leichter vertrauen, die uns ähnlich sind. Hier liegt das Dilemma: Für die Rekrutierung bedeutet es, dass allzu oft Menschen eingestellt werden, die der Führungskraft ähnlich sind ("Der junge Kollege erinnert mich an mich selbst in jungen Jahren."). Für die Leser bedeutet es aber auch: Die Auswahl an Protagonisten und Perspektiven ist entscheidend für das Vertrauen, das Leser uns und unserer Berichterstattung entgegenbringen.“

Noch deutlicher würde das wahrscheinlich werden, wenn jemand sich mal die Mühe machen würde, eine Studie zusammenzuschreiben, in der es um die Frage geht, wie oft Journalisten ihre Protagonisten im eigenen Umfeld finden, was an sich kein Problem ist, aber eben zu einem recht homogenen Themenkanon führen kann, zumal dabei oft offenbar auch vorgelagerte Mechanismen eine Rolle spielen. Über den folgenden hatten wir Anfang des Jahres schon gesprochen (Altpapier). Damals allerdings noch aus einem anderen Grund.

„Wenn der Türke nur über die Türken berichtet, ist auch das Diskriminierung. Diversität wäre es, wenn wir unterschiedliche Milieus unterschiedlich abbilden würden; wenn sich fachliche Expertise ergänzte.“

Aber wie kommen wir dahin? Leider mal wieder nicht über eine Schnellstraße.

„Die Abweichung von der Norm muss man begründen: vor sich selbst und vor anderen. Und sie macht denjenigen, der entscheidet, selbst mit angreifbar. Das darf man nicht unterschätzen. Verantwortung funktioniert wie ein Dominoeffekt. Es wird viel geredet über eine Kultur des Scheiterns und der Fehler; so wie im Silicon Valley, so wären wir wahnsinnig gern. Das bedeutet aber nicht nur neue Produkte, sondern auch Mut bei Personalentscheidungen. (…) Der Mut muss sich für die Führungskraft lohnen. Dafür muss Personalentwicklung einen viel größeren Stellenwert einnehmen.“

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Das liest sich so natürlich alles ganz prima, und wahrscheinlich würden viele Führungskräfte es augenblicklich unterschreiben. Aber es hat zwei Nachteile. Erstens: Man muss es machen. Zweitens: Es hat mit Veränderungen zu tun. Und wie man weiß, ist eine in den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Branchen mehrheitsfähige Meinung, dass alles am besten so bleibt, wie es ist. Thomas Knüwer schreibt gegen diese Beharrlichkeit seit Jahren in der Art einer chinesischen Wasserfolter an. Nun macht er in einem Blogbeitrag „sechs Vorschläge für eine andere Medienwelt“.

Unter anderem schreibt er:

„Auch weiterhin ist es mir ein Rätsel, warum ich ein Online-Abo für eine der großen Medienmarken abschließen sollte. Zu qualitativ dünn und beliebig sind die Inhalte – und selbst Abonnenten werden beschossen mit aggressiver Onlinewerbung. Trotzdem gebe ich mehr Geld für ‚Content‘ aus, als je zuvor. Einerseits sind da natürlich Netflix, iTunes & Co. Andererseits aber auch Übermedien, der Mediendienst von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz. Auch bei Stratechery habe ich ein Abo abgeschlossen: Ben Thompson schreibt in seinem Blog und dem Newsletter die klügsten und tiefsten Analysen, die ich zum Digital-Bereich kenne.“

Die Antwort auf die aufgeworfene Frage ist wie auch in anderen Passagen wahrscheinlich schon im Text enthalten, denn für jeden in der Verlagswelt identifizierbaren Mangel lassen sich inzwischen mindestens eine Handvoll guter Gegenbeispiele finden, die zeigen, dass es doch geht, wenn man nur will - nur eben vielleicht nicht in den, wie sagt man, „gewachsenen Strukturen“. Was in der Konsequenz dazu führt, dass der Begriff „andere Medienwelt“ nicht unbedingt bedeutet, dass die gleichen Akteure in Zukunft andere Dinge machen, sondern - das hat die Disruption ja eigentlich immer schon bewirkt -, dass die alten Akteure aufgrund ihrer strukturellen und gedanklichen Fußfesseln nicht mehr mithalten können, stehenbleiben und nach einiger Zeit irgendwo hinten am Horizont verschwinden.

Oder wie Knüwer schreibt:

„Kaum ein Top-Medienmanager oder Chefredakteur, der in den vergangenen Jahren nicht ins Silicon Valley gereist wäre. Man kann sich nicht den Eindrucks erwehren, dass dies exakt nichts hervorgebracht hat. Dabei könnte schon der vielleicht offensichtlichste Gedanke im Tagesgeschäft helfen: All die Großen des Valleys entstanden nicht in schmucken Glasbüros und Prachtbauten – sondern in Studentenbuden oder Garagen.“

Wobei die räumlichen Verhältnisse dabei wohl nicht ganz so entscheidend sein dürften wie die Tatsache, dass das Unternehmen um die zentrale Idee herum wächst, und die Idee nicht aus den unterschiedlichen vorhandenen Abteilungen nach seit Jahren erprobten Vorstellungen via unzähliger Rundmails geformt wird — natürlich nicht, ohne den Abteilungsleiter jeweils in cc zu setzen.

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All jene, die überleben werden, erkennt man vermutlich schon jetzt daran, dass sie irgendwann zu einem Sprung über den sich auftuenden Abgrund angesetzt haben, der je nach Sprungkraft in schwer absehbarer Zeit auf der gegenüberliegende Seite enden wird — oder irgendwo dazwischen. Auf der SZ-Medienseite (für 79 Cent bei Blendle) berichtet Benedikt Frank zum Beispiel über den Neuanfang des nun dem Werbevermarkters Ströer gehörenden Internet-Dinosauriers T-Online in Berlin (Altpapier), der zwar nicht in einer Garage stattfindet, ansonsten aber so gut wie jedes Startup-Klischee zu erfüllen scheint.

„Im Juni nun folgte der Umzug von Darmstadt nach Berlin – ohne die meisten der bisher angestellten 108 Redakteure. In Berlin sind insgesamt 70 Stellen geplant. Die kleine Redaktion soll dafür hochmodern arbeiten. Es gibt einen Fitnessraum, Kinosaal, schicke Konferenzräume. Es herrscht optimistische Start-up-Stimmung. Amazons smartes Lautsprecher-Echo hört sogar auf den Toiletten auf Befehle und kann denen, die da sitzen, die aktuellen Abrufzahlen vortragen.“

Leiten wird die Redaktion ab September der ehemalige Spiegel-Online-Chefredakteur Florian Harms, der einige Ideen und sehr viel Selbstbewusstsein aus Hamburg mitgebracht hat.

„Zur Eröffnung des Newsrooms Ende Juni scherzte er auf der Bühne über seinen alten Arbeitgeber: ‚Wir spielen tatsächlich in einer etwas anderen Liga. Spiegel Online ist ein bisschen kleiner als wir.‘ Laut AGOF etwa sechs Millionen Nutzer im Monat kleiner als T-Online.“

Wobei das Verb „scherzte“ hier wahrscheinlich am besten passt, denn noch schauen die meisten Nutzer wohl nicht wegen der Nachrichten vorbei. Ernst gemeint klänge es ein bisschen, als würde die Vorband von Ed Sheeran gegenüber Robbie Williams mit ihren Zuschauerzahlen protzen. T-Online will bald jedenfalls nicht mehr Vorband sein.

„Auch um sich von der Konkurrenz abzusetzen, soll es bei T-Online mehr Eigenes geben. Geplant sind ein Investigativteam, je ein Korrespondent im Bundestag und in den USA, sowie Kolumnisten als Gesichter der Seite. Noch sind das wenig mehr als Absichtsbekundungen, die Redaktion ist ganz neu, vieles ist noch im Aufbau. Das ehrgeizige Ziel aber ist gesetzt: ‚Der erste Gedanke bei einer Nachrichtenlage soll werden: Was schreibt T-Online dazu?‘, sagt Arne Henkes, wendet aber gleich etwas demütiger ein: ‚Uns ist klar, dass das kein Sprint ist, sondern eher ein Marathon.‘“

Für Journalistengewerkschaften ist das wahrscheinlich guter Anlass, nach den vielen die Formulierung „Schlag gegen die Meinungsfreiheit“ enthaltenden Pressemitteilungen nun auch mal von einem „Gewinn für die Meinungsfreiheit“ sprechen zu können. Ich selbst habe zwar nicht das Gefühl, dass T-Online eine große Marktlücke schließen wird. Aber es spricht ja erst mal nichts gegen ein bisschen mehr Konkurrenz auf diesem Markt. Regionale Zeitungsmäntel, die lediglich Presse- und Agenturmeldungen verwursten, wird das Überleben damit immer schwerer gemacht, was ich selbst für eine gute Entwicklung halte. Und hier möchte ich noch einmal Barbara Hans zu Wort kommen lassen, deren auf Diversität bezogenes Zitat genauso im Kontext anderer Veränderungen gilt.

„Was hat die Verlage in all den Jahren daran gehindert, diverser zu werden? Die Antwort ist so simpel wie unbefriedigend: Es gab keinen Leidens- und damit keinen Veränderungsdruck. Es hat auch so funktioniert. Man könnte es auf die Formel bringen: ökonomischer Erfolg + institutionalisierte Breitbeinigkeit = Selbstgefälligkeit.“

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Bleiben wir noch einen weiteren Augenblick bei Spiegel Online und den sich dort vollziehenden Veränderungen. Wie auch Zeit Online mit seinem Glashaus oder die „Bild“-Zeitung mit ihrem Bildblog, äh, Tschuldigung, ihrem Blog.Bild hat nun auch Spiegel Online eine Seite, auf der die Redaktion ihre Arbeit erklärt. Sie heißt „SpOn Backstage“. Alexander Becker hat sie sich für Meedia angesehen und findet:

„Wer viel Selbstkritik erwartet, ist im Backstage-Bereich von Spiegel-Online freilich falsch. Trotzdem ist es ein gelungener Service, der der Leser-Community sicherlich gut gefallen wird.“

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Und zum Abschluss meiner letzten Altpapier-Kolumne auf Evangelisch.de möchte auf etwas hinweisen, das mein Kollege René Martens bereits gestern hier erwähnt hat. Meşale Tolu, Deniz Yücel und über 150 Journalisten in der Türkei sitzen weiterhin hin Haft. Sie wissen das. Es ist keine Neuigkeit. Und auch, wenn es nervt, mir wäre sehr daran gelegen, dass wir jeden Tag daran denken, denn sonst wird es schon bald niemanden mehr interessieren - zuallererst nicht mehr jene, die daran etwas ändern können.

Altpapierkorb

+++ Einen kuriosen Auftritt hatte gestern DJV-Sprecher Hendrik Zörner, als er in einem Blogbeitrag auf der Verbandsseite in Reaktion auf eine Umfrage schrieb, nach der sich im Grunde kaum jemand für Fußballübertragungen interessiert: „Wenn die Umfrage stimmt, machen ARD und ZDF also Fernsehen für eine Minderheit. Das schreit förmlich nach Konsequenzen. Eigentlich müssten die Sportjournalisten und die Kamerateams vor dem nächsten Anpfiff ihre Ausrüstung zusammenpacken und das Stadion verlassen. Das würde sogar ich mir ansehen.“ Und wenn man daran unbedingt etwas Gutes finden wollte, könnte das sein, dass der DJV es mit der Pressefreiheit so ernst zu nehmen scheint, dass er sie offenbar auch in seiner Verbands-PR gelten lässt.

+++ Nachdem Donald Trump mit seiner Relativierung der Gewalt in Charlottesville mal wieder eine von unzähligen roten Linien überschritten hat, hat Spiegel-Online-Korrespondent Marc Pitzke die Pressekonferenz in Teilen transkribiert und kommentiert — wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, Trump überhaupt journalistisch wiedergeben zu können. Auf die Frage, ob Trump nach Charlottesville reisen werde, sagt der: „Ich besitze ein Haus in Charlottesville. Weiß das jemand, dass ich ein Haus in Charlottesville besitze?“ An dieser Stelle könnte man als Reporter zum Beispiel einwenden, dass das in diesem Zusammenhang nun wirklich überhaupt keine Rolle spielt. Schauen wir noch mal ins Skript. Was fragt der Reporter? Ach ja: „Wo ist es denn?

+++ Marina Weisband hat nach der Pressekonferenz in einem Blogeintrag versucht, ihre Verwunderung in Worte zu fassen. Zwar nicht mehr direkt ein Medienthema. Aber als Teil des Versuchs, ein klein wenig mehr von der ganzen Inszenierung zu verstehen, vielleicht doch ganz hilfreich: "Er (Trump) ändert seine geäußerten Überzeugungen so schnell, wie sein Publikum es von ihm verlangt. (...) Sein Rassismus ist kein Produkt einer Gedankenwelt, sondern eher der Abwesenheit einer solchen."

+++ Ich weiß nicht, ob man schon irgendwo drauf wetten kann, aber ich befürchte, Donald Trump wird es nicht auf sich sitzen lassen, dass Barack Obama mit seinen Statement gegen Rassismus der erfolgreichste Tweet aller Zeiten gelungen ist. Wird dieses Thema die kommenden Tage oder vielleicht sogar Wochen dominieren? Wir werden sehen.

+++ So, ich gebe zu, ich habe es lange rausgezögert, aber ganz daran vorbei komme ich wohl doch nicht. Angela Merkel hat sich von vier bekannten Youtubern interviewen lassen, einer davon ist Journalist. Was davon hängenbleiben wird, sind wahrscheinlich Angela Merkels Frage: „Und sonst machen Sie immer nur Selbstdarstellung?“ —und ihr Lieblingssmiley, der lachende, Sie haben es gelesen. Stellvertretend für alle anderen Zusammenfassungen verlinke ich hier den Artikel von Stefan Winterbauer bei Meedia. +++ Darüber hinaus ist dann schon noch interessant, dass Angela Merkel den Wahlkampf-Termin offenbar vom Bundeskanzleramt hat planen lassen, nicht von ihrer Partei, wie Richard Diesing für Motherboard kritisch anmerkt. +++ Berechtigt ist auch Ingo Rentz’ Anmerkung auf Horizont: „Wenn aber das Format junge Menschen für Politik begeistern soll, warum sprachen die Youtuber dann kaum die Sprache, in der sie mit ihrer Zielgruppe sprechen? Etwas frecher hätte man sich die Interviewer schon gewünscht.“ +++ Michael Hanfeld bemerkt auf der FAZ-Medienseite (für 45 Cent bei Blendle): „55.000 Zuschauer, das ist eigentlich weniger als nichts.Und Stefan Niggemeier belegt mit einem Screenshot, dass die Häme vielleicht doch etwas voreilig war. Am Morgen hatten das Video bei Youtube schon über eine Million Menschen gesehen.

+++ Ursula Scheer hat sich für die FAZ-Medienseite ein Bild davon gemacht (für 45 Cent bei Blendle), wie Lady Diana in den Rückblicken wegkommt. „Auf eine einordnende Dokumentation, die das Paradox untersuchte, dass hier eine Person eine Institution, ohne die sie keine Berühmtheit geworden wäre, medienwirksam ablehnte und wie diese Institution nach Dianas Tod von dieser Zerreißprobe profitierte, müssen wir wohl noch warten. Vielleicht kommt sie auch nie. Die Regale und Sendeplätze füllen sich auch so. Der Markt für Märchen ist heute nicht kleiner als vor zwanzig Jahren.“

+++ Thierry Chervel sieht Parallelen zwischen Auto- und Zeitungskonzernen. In der Welt schreibt er: „Aber die Zeitungen wehren sich dagegen und pochen auf die „Presseähnlichkeit“ vieler Senderinhalte im Netz: Als würde es sie retten, wenn die Sender keine Texte mehr ins Netz stellen. Damit zeigen die Zeitungen nur, dass auch sie im Zeitalter der Digitalisierung weiter Diesel fahren möchten: sie pochen auf die alte Medienordnung.

+++ Markus Ehrenberg schreibt für den Tagesspiegel über 50 Jahre Farbfernsehen.

+++ Der Schweizer Tin Fischer bezweifelt, dass es Filterblasen wirklich gibt und erklärt in der Zeit, warum. Im Internet könne man sich jedenfalls innerhalb von fünf Minuten vom Gegenteil überzeugen.

Der nächste und letzte Altpapier bei Evangelisch.de erscheint am Freitag. 

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