Mit dem Kreuz für Hongkong

Entschlossen umklammert Esther Yu das Kreuz
© Michael Lenz
Entschlossen umklammert Esther Yu das Kreuz. Sie und weitere Mitglieder des Tao Fong Shan Christian Centre sind zum Gebet in den Victoria Park in Hongkong gekommen.
Mit dem Kreuz für Hongkong
Seit Juni gibt es in Hongkong Massenproteste gegen die chinesische Staatsführung. Die Sorge, Peking könne zunehmend das demokratische System Hongkongs unterlaufen, treibt die Menschen auf die Straße. Unter ihnen sind auch Hongkonger Christinnen und Christen.

Entschlossen umklammert Esther Yu das Kreuz als Zeichen der Stärke und Erlösung. Zusammen mit anderen evangelischen Christen ist die Mitarbeiterin des Tao Fong Shan Christian Centre in den Victoria Park in Hongkongs Stadtteil Causeway zur einem Gebet gekommen, bevor sie sich rund zwei Millionen Menschen anschließen, die am Sonntag (18.8.19) ein weiteres Mal für Demokratie und Freiheit und gegen die zunehmende Dominanz Chinas demonstrierten. "Wir beten für eine friedliche Demonstration und für Hongkong", sagt Yu, die sich auf ihre Ordinierung im kommenden Jahr freut, mit fester Stimme gegenüber evangelisch.de.

Die Gebete der Christen wurden erhört. Die Demonstration ist friedlich verlaufen, und das, obwohl sich die Demonstranten über die Anordnung der Polizei hinweggesetzt hatten. Dem Veranstalter Civil Human Rights Front hatte die Polizei nur eine Kundgebung im Victoria Park genehmigt. Vielleicht, weil sie ein weiteres Mal die Entschlossenheit der Hongkonger zum Kampf für ihre Rechte unterschätzt hatte. Vielleicht aber auch in der Hoffnung, die radikaleren Aktionen der Demokratiebewegung (wie die Flughafenbesetzungen in der vergangenen Woche), die maßlosen Tränengaseinsätze der Polizei gegen Demonstranten, prügelnde chinesische Triaden oder auch die massiven Drohungen der chinesischen Führung in Bejing gegen die Demokratiebewegung in der Sonderverwaltungszone Hongkong hätten vielen die Lust am Demonstrieren ausgetrieben. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. "Wir lassen uns nicht einschüchtern", sagt ein junger Mann bei der Gebetsveranstaltung, der sich nur Parker nennt. "Wir haben keine Angst." Trotz heftiger, stundenlanger Regenfälle setzten sich die Menschenmassen am Sonntagnachmittag in Bewegung, marschierten friedlich zum vier Kilometer entfernten Regierungsviertel Admiralty. Unter einem Meer von Regenschirmen skandierten sie immer wieder "Hongkong bleibt standfest".

Seit Juni erschüttern Massenproteste für Demokratie die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong (SAR). Bei der Rückgabe Hongkongs an China durch die Kolonialmacht England war das Prinzip "ein Land, zwei Systeme" vereinbart worden. In Hongkong aber verstärkt sich die Furcht, dass China zunehmend Hongkongs demokratisches System unterläuft. Auslöser der Demonstrationen war der Gesetzentwurf über die Auslieferung von Straftätern an die Volksrepublik China. Inzwischen geht es um mehr.  "Wir haben fünf Forderungen: keine Auslieferungen an China, keine Strafverfolgung der Demonstranten, keine Straffreiheit für Polizeigewalt, keine von Peking manipulierten Wahlen und keine Brandmarkung der Demonstranten als Aufrührer", sagt Parker, ein e-Commerce-Händler.

Kirchen und christliche Organisationen unterstützen die Proteste. "Nachdem die Regierung klargestellt hat, dass das Auslieferungsgesetz 'suspendiert' wurde, sind wir noch immer für eine explizite öffentliche Erklärung, dass das Gesetz gemäß der Forderung der breiten Öffentlichkeit zurückgezogen wird", hieß es vor einigen Wochen in einer gemeinsamen Erklärung von Reverend Eric So Shing-yit, Vorsitzender des Dachverbands protestantischer Kirchen "Hong Kong Christian Council" und Kardinal John Tong, Apostolischer Administrator der katholischen Diözese Hongkong. Carrie Lam, Hongkongs katholische Regierungschefin, hatte zwar bereits im Juni das Auslieferungsgesetz für "tot" erklärt, es steht aber bis zum heutigen Tag auf der Tagesordnung des Parlaments. Das Auslieferungsgesetz bereitet Christen besondere Sorgen. "In China wird die Kirche unterdrückt. Das könnte hier auch passieren", sagt Edwin Chow. Der Vorsitzende der katholischen Studentenvereinigung von Hongkong fügt hinzu: "Christen in Hongkong haben Verbindungen zu Untergrundkirchen in China. Die könnten festgenommen und ausgeliefert werden."

Demonstranten mit Schildern auf dem Flughafen in Hongkong.

In Hongkongs Stadtteil Kennedy Town leben, weit weg von Causeway Bay, Martin Sommer und seine Ehefrau Christine Krause mit ihrem Hund Lucy in einer kleinen Übergangswohnung. Sommer kommt aus der Badischen Landeskirche und hat in dieser turbulenten Zeit am ersten August seinen Posten als Pastor der "Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Hongkong" angetreten. "Wir wussten ja schon, dass die Situation hier etwas heikel ist", sagt Sommer. Natürlich hatten Sommer und Krause schon vor der Abreise aus Deutschland aufmerksam die Nachrichten aus Hongkong verfolgt.

Sommer weiß auch, dass die Gemeinde in diesen Tagen für die evangelischen Christen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz noch wichtiger wird. "Gemeinde ist nicht nur der Gottesdienst. Auslandsgemeinden sind auch ein Stück Heimat", sagt Sommer. "In diesen Tagen ist sie auch ein wichtiges Netzwerk. Man passt aufeinander auf und unterstützt sich gegenseitig." Wie schnell man zur falschen Zeit am falschen Ort sein kann, haben Sommer und Krause schon selbst erfahren, als es zu einer Demonstration der Demokratieaktivisten im nahegelegenen Belcher Park kam, nach deren Ende einige gewaltbereite Demonstranten Geschäfte angegriffen hatten.

Martin Sommer und seine Ehefrau Christine Krause in einer kleinen Übergangswohnung.

Roland Rohde wundert sich über die "verzerrte" Berichterstattung deutscher Medien über Hongkong. "Meine Mutter hat angerufen und gefragt, ob sie schon die Gästebetten beziehen soll", sagt das Mitglied des Gemeinderats beim Gespräch in seinem Büro mit Traumblick auf den Victoria Harbour und Kowloon. "Wir haben hier keine Situation wie etwa beim G20-Gipfel in Hamburg", betont der Wirtschaftsexperte. "Meine Familie und ich fühlen uns sicher. Die Demonstranten sind sehr freundlich und diszipliniert. Das hat man erst wieder am vergangenen Sonntag erleben können." Natürlich diskutiere man sowohl in der Gemeinde als auch unter Kollegen über die gegenwärtige Situation, ohne sich aber öffentlich zu äußern. "Wir sind ja nur Gäste in diesem Land."

Die Demonstration am vergangenen Sonntag ist friedlich zu Ende gegangen, wie schon die Demos in den zwei Tagen zuvor. Weder die Polizei noch Demonstranten griffen zur Gewalt. Der Protest aber wird so lange weitergehen, wie die Regierung nicht in einen Dialog mit den Bürgern tritt. Das aber ist eher unwahrscheinlich, wie der Hongkonger Politologe Willy Lam befürchtet. Über seine Namensvetterin, die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam, sagt Chinaexperte Willy Lam: "Sie ist eine 'lame duck', die nur noch auf Anweisung der Führung in Peking agiert." Es würde die gegenwärtige "schwierige Situation" in Hongkong entschärfen, würde Lam zurücktreten, meint der Wissenschaftler. "Das aber käme dem Eingeständnis der Kommunistischen Partei Chinas gleich, bei der Wahl Lams vor zwei Jahren einen Fehler gemacht zu haben", sagt der 67-jährige und fügt hinzu: "Peking würde sein Gesicht verlieren." Am 1. Juli 2017 wurde Lam als erste Frau von dem von China handverlesenen Wahlgremium zur Chief Executive der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong (SAR) gewählt.

Die nächsten Demonstrationstermine stehen bereits fest. In den kommenden zwei Wochen wird es eine Reihe kleinerer Aktionen geben. Für den 31. August aber hat die Civil Human Rights Front zu einer weiteren Massendemonstration aufgerufen. An diesem Tag vor fünf Jahren hatte China der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Hongkong eine endgültige Absage erteilt. Der Appell der Demokratiebewegung an die Hongkonger: "Wir bitten euch, haltet zusammen und kommt am 31. August." Bis dahin werden Pastor Sommer und Ehefrau Krause in ihre neue Wohnung umgezogen sein. Die liegt in Causeway Bay, ganz nahe am Brennpunkt der Massendemonstrationen.