Die erste Nachkriegssynode: Wie die EKD wurde, wie sie ist

Berliner Bischof Otto Dibelius und Martin Niemöller
© epd-bild / Hans Lachmann
Die Wahl zwischen dem Berliner Bischof Otto Dibelius und Martin Niemöller, dem Sprecher der so genannten Bruderräte der Bekennenden Kirche, zum EKD-Ratsvorsitzenden war richtungsweisend für die Entwicklung der EKD.
Die erste Nachkriegssynode: Wie die EKD wurde, wie sie ist
Heute vor 70 Jahren begann die Gründungssynode der EKD. Wegweisende Entscheidung zur künftigen Kirchenstruktur wurden getroffen, doch etwas Wichtiges blieb damals aus.

Fast jeder Mensch weiß, wann er Geburtstag hat. Unternehmen kennen ihr offizielles Gründungsdatum. Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist es etwas schwieriger, den Zeitpunkt X zu bestimmen - gab es doch drei wichtige Ereignisse, die die Entstehung der EKD entscheidend geprägt haben. Die vorbereitende Kirchenkonferenz in Treysa fand bereits im August 1945 statt und die EKD-Grundordnung wurde im Sommer 1948 geschrieben. Die konstituierende Gründungs-Synode der EKD aber begann heute vor 70 Jahren, am 9 Januar 1949. Bis zum 13. Januar tagte das Kirchenparlament in Bielefeld-Bethel.

"Bethel ist kein Signal für einen revolutionären Neubeginn in der EKD. Das ist unbestritten", sagt Karl-Heinz Fix, Mitarbeiter bei der Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte in München. Auf der Tagesordnung der ersten EKD-Synode standen die Bildung von Ausschüssen für Finanzen, Ökumene, Fragen der Frau oder die Kirchengerichtsbarkeit. Besonderes Augenmerk lag auf der Weiterführung des EKD-Hilfswerkes etwa für die Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemals ostdeutschen Gebieten. "In Bethel geht es darum, dieses junge Pflänzlein EKD zum Laufen zu bringen. Gremien, Leitungsämter, den Apparat.", sagt Kirchenhistoriker Fix.

Die Wahl des EKD-Ratsvorsitzenden Otto Dibelius war richtungsweisend. Es war genau der Theologe, der im März 1933 die Predigt zum Machtantritt Adolf Hitlers gehalten hatte. Aber Dibelius war eben auch der Kirchenkämpfer, der sein Generalsuperintendenten-Amt verloren hatte. Ab 1934 trat Dibelius der Bekennenden Kirche bei und schien damit unverdächtig. "Und Otto Dibelius ist derjenige, der nach 1945 in der ansonsten doch sehr handlungsunfähigen Kirche Berlin-Brandenburg das Leitungsamt übernommen hatte", so Karl-Heinz Fix.

Zu Manfred Gailus' Forschungsschwerpunkten an der TU Berlin gehört die Religionsgeschichte im 20. Jahrhundert.

Aus heutiger Sicht aber müsse man Otto Dibelius um einiges kritischer sehen, meint der Berliner Historiker Manfred Gailus: "Er hat es mehrfach gesagt in der Zeit 1933, aber auch in der Nachkriegszeit, ein gewisser Antisemitismus gehörte bei uns zum guten Ton. In der Zeit des Judenboykotts gehört Dibelius zu den Leuten, die beschwichtigen und sagen, das ist hier gar nicht so schlimm." Auch der Dibelius-Kurs nach dem Krieg sei kritisch zu sehen. Weder er noch die Synode der EKD waren an einer Entnazifizierung in den eigenen Reihen interessiert.

"Dibelius nach 1945 steuert einen Kurs mit großem Verständnis für die ehemaligen Deutschen Christen. Da gibt es die extremsten Nazi-Theologen, Joachim Hossenfelder, Leiter der Glaubensbewegung Deutsche Christen, Karl Themel, der nazimäßige Judenforschung in der Kirche betrieben hat, Walter Hoff, ein extremer Nazi, der sich selber gerühmt hat, im Ost-Krieg bei der Judenvernichtung geholfen zu haben, Friedrich Tausch, der fanatische Leiter der Deutschen Christen in Berlin. Alle diese Theologen werden auf die eine oder andere Weise wieder in der Kirche aufgenommen", sagt Gailus.

Das EKD-Hilfswerk gewährte nach 1945 sogar Prozesskostenhilfe für einstige Nationalsozialisten und mutmaßliche Kriegsverbrecher. Dibelius wird auf der Synode überwältigend mit 110 Stimmen gewählt. Der Anti-Kommunist, der in der Zeit der Berlin-Blockade durch die Sowjets eine klare Westorientierung garantiert. Martin Niemöller, der persönliche Gefangene Adolf Hitlers im KZ Sachsenhausen und Sprecher der so genannten Bruderräte der Bekennenden Kirche, erhält nur 26 Stimmen.

Damit war eine Neuordnung der Evangelischen Kirche weg von den klassischen Landeskirchen von Anfang an gescheitert. "Diese kirchenpolitische Gruppe wünschte sich einen kirchlichen Neuanfang, die Abkehr von der Konsistorialrats-Kirche, hin zur Kirche als Gemeinde von Brüdern. Kirche nicht als Organisation irgendeiner Staatsbehörde nachgebildet, Kirchenleute nicht als Funktionsträger, als Beamte, sondern wirklich Kirche von unten, Kirche auf Gemeindebasis, herkommend aus der Tradition der Bekennenden Kirche und der Tradition der Landeskirchen, die seit 1933 keine rechtmäßige Kirchenleitung hatten", sagt Karl-Heinz Fix.

Dagegen setzten sich die Bischofskirchen Bayern, Württemberg, Hannover und Baden durch. Damit der Berliner Otto Dibelius besser reisen konnte, wurde nicht wie ursprünglich gedacht Göttingen, sondern Hannover zum EKD-Amtssitz auserkoren - in schnellerer Verkehrs-Nähe auch zu den Christen in der sowjetisch besetzen Zone.

Der frühere badische Landesbischof Klaus Engelhardt im Mai 2018 in Karlsruhe.

Es ging nach 1945 auch darum, Bekenntnis-Bruderräte und intakte Landeskirchen, Lutheraner, Reformierte und Unierte in einer Organisation zusammenzuführen. Für Klaus Engelhardt, von 1991 bis 1997 EKD-Ratsvorsitzender, lag darin immer auch eine Unübersichtlichkeit der Werke. Etwa in der parallelen Struktur von VELKD, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche, oder der EKU, also der Evangelischen Kirche der Union, heute UEK, Union Evangelischer Kirchen. "Auf der anderen Seite liegt darin ein gewisser Charme, dass wir in der Evangelischen Kirche in Deutschland diese nicht nur äußerlich plurale Struktur haben. Wenn wir ökumenische Gäste bekamen, dann wurden wir immer bestaunt, wie das funktionieren kann, eine evangelische Kirche in Deutschland, die keine konfessionsidentische Kirche ist", sagt Engelhardt.

War und ist die EKD damit aber eine wirkliche Kirche und nicht nur eine übergeordnete Verwaltungseinheit? Für Manfred Kock, EKD-Ratsvorsitzender von 1997 bis 2003, ist das eindeutig: "Auch die EKD ist eine Kirche. Sie ist zwar formal ein Kirchenbund. Aber da wo sie ist, ist sie auch Kirche. Denn in ihr wird das Sakrament gefeiert und in ihr wird das Wort Gottes verkündigt. Und deshalb ist das, was in der EKD passiert nicht nur irgendeine Verabredungsinstanz, sondern es ist es auch das Ereignis von Kirche."

Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD und frühere rheinische Präses Manfred Kock im Juni 2016 in seinem Haus in Köln.

Auch politisch ist die EKD bis heute ein Erfolg. Denn erstmals unterstützte der deutsche Protestantismus aktiv die Demokratie. "Es hat sich geändert, dass die evangelische Kirche als Ganzes nicht mehr wie es während der Weimarer Republik der Fall war in der nationalkonservativen Ecke stand und diesen Staat sich selbst überlassen hat. Da trägt der Protestantismus während der Weimarer Zeit eine erhebliche Schuld an dem Nicht-Ernstnehmen, dem Nicht-Geltenlassen, was an republikanischer Bürgerlichkeit ernst zu nehmen war. Es gilt jetzt diesen neuen Staat mit aufzubauen", sagt Klaus Engelhardt.

Der Präses der ersten Generalsynode ist der Essener Oberbürgermeister Gustav Heinemann. Neben ihm (v.l.n.r.): Oberkirchenrat Merzyn (Kirchenkanzlei Schwäbisch-Gmünd), Staatsrat Meinsolt (Präsident der Bayrischen Landessynode München) und Propst  Bö†hm.

EKD-Präses Gustav Heinemann wurde dritter Bundespräsident. Der Organisator des EKD-Hilfswerkes, Eugen Gerstenmaier, wurde  Bundestagspräsident. Ebenso Hermann Ehlers, der an der Grundordnung der EKD mitschrieb. Aber von einer Theologie nach Auschwitz oder gar einer eigenen kritischen Geschichtsaufarbeitung war man auf der ersten EKD-Synode in Bethel und den folgenden Jahren noch weit entfernt, sagt der Kirchenhistoriker Karl-Heinz Fix: "Was in der Vergangenheit war, was man in der Vergangenheit selbst gemacht hat, spielt auf der EKD-Synode damals keine Rolle. Es ging nicht um eine ekklesiologische Theoriedebatte. Die Bücher, die es zu dem Thema Kirche im Nationalsozialismus gab, sind bestimmt von der Erzählung: Wir wurden verfolgt. Wir waren Opfer. Wir haben uns gewehrt, vielleicht nicht stark genug, wie man es schon in Stuttgart bekannt hat im Herbst 1945. Die Historiografie wurde nicht von neutralen Geschichtswissenschaftern von außen geschrieben, sondern von den Kirchenkämpfern selbst."