Queer, feministisch, widerständig – Maike Schöfer sagt Nein

Buch und Regenbogenfächer
Kerstin Söderblom
Kreuz&queer Blog
Queer, feministisch, widerständig – Maike Schöfer sagt Nein
Ein queer-feministischer Text über Widerständigkeit und Neinsagen.

Maike Schöfer ist eine junge Pfarrerin aus Berlin und Sinnfluencerin (@ja.und.amen) auf Instagram. Sie ist Mutter, geschieden und queer. Sie denkt und arbeitet queer-feministisch und sie sagt laut und deutlich „nö“.

Wozu oder wogegen sagt sie "nö"? Die Antwort darauf ist gleichzeitig komplex und einfach: Schöfer ermutigt zum Unbequemsein. Sie fordert auf, anzuecken, zu hinterfragen und widerständig zu sein.

Sie sagt „nö“ und „nein“ zu allem, was sie und die Welt in Schubladen presst, was sie einschränkt und klein hält. Sie sagt „nein“ zu Konventionen, zur Männersprache und zu heteronormativen Orten und Praktiken, die Personen aus Minderheitengruppen ausgrenzen.

Mit Regenbogenflagge und Bibel in der Hand kämpft sie an gegen „die Kackscheiße“, die täglich vor ihrer Tür und in der Welt passiert. So sagt sie es in ihrer Einleitung (S. 10).

Maike Schöfer sammelt Neins und ruft sie in die Welt. 465-mal benutzt sie das Wort „nein“ in ihrem Buch, wie sie selbst schreibt (S. 211). Mal laut, mal leise, mal unsicher, mal kämpferisch und aufmüpfig. Sie kämpft mit Humor, Sarkasmus und ihrem scharfen Mundwerk gegen gesellschaftliches Unrecht im Kleinen wie im Großen: Beispielsweise gegen die ungerechte Verteilung von Care-Arbeit, die vor allem Frauen leisten und dafür schlecht oder gar nicht bezahlt werden. Gegen sexualisierte Gewalt, die vor allem Mädchen, Frauen und queere Personen trifft. Gegen rassistische und menschenfeindliche Übergriffe, die alle erleben und erleiden, die irgendwie anders sind als weiß, männlich, bürgerlich und heterosexuell. 

Maike Schöfer kämpft gegen weit verbreitete Narrative an, die Menschen als unreif, hysterisch und pathologisch abwerten, die sich gegen Schubladendenken und Domestizierung wehren. Sie kämpft dagegen, weil sie selbst bereits als kleines Mädchen erlebt hat, dass ihre Wut und ihr Gerechtigkeitssinn kontrolliert und eingehegt werden sollten. Sie hat Abwertung und Häme schmerzhaft erfahren. Sie ist angeeckt mit ihren Vorstellungen und hat irgendwie nicht reingepasst, obwohl sie sich doch so bemüht hat. Mittlerweile hat sie sich vom Drang befreit, anderen zu gefallen. Sie hat ihre eigene Stimme und ihren eigenen Style gefunden, ob es anderen passt oder nicht. Nun übt sie sich darin, möglichst viel „nein“ zu sagen und auch andere dazu anzustiften. 

Maike Schöfer hat in ihrem Leben trotz ihrer Kämpfe schon mit 19 Jahren „ja“ zu ihrem „Mr. Right“ und zu ihrer heterosexuellen Ehe gesagt. Damals hat es für sie gestimmt. Und beide haben das volle konventionelle Heiratsprogramm durchgezogen: „In Weiß, langes Tüllkleid mit Spitze und Schleier“ (S.104) und ihr Vater hat sie zum Altar geführt. Sie hat „ja“ gesagt, bis dass der Tod sie scheide! Und sie war glücklich. Zumindest für eine gewisse Zeit. Erst später begann Schöfer die Institution Ehe mit all ihren ideologischen Verstrickungen und patriarchalen Strukturen kritisch zu hinterfragen. 

Heute kritisiert sie das Ritual, dass die Braut vom Vater zum Altar geführt wird und dann dem Ehemann quasi als Eigentum übergeben wird. Sie zeigt, dass viele Männer den Ehevertrag immer noch nutzen, um die angeblichen eheliche Pflichten von den Frauen einzufordern und dem Ehemann scheinbar unbegrenzten Zugang zum Körper der Frauen garantiert. Sie beschreibt die finanzielle Abhängigkeit vieler Ehefrauen und die ungerecht verteilte Familien- und Care-Arbeit, die weitgehend von den Frauen übernommen wird, während die Männer Karriere machen. Schöfer hält fest: All diese Faktoren machen es Frauen schwer, sich aus einer Ehe zu befreien, wenn sie das wollen. Selbst bei häuslicher Gewalt ist es für viele Frauen extrem schwierig, sich aus toxischer Abhängigkeit zu lösen. 

Irgendwann hat Schöfer zu ihrer eigenen Ehe „nein“ gesagt und hat sich scheiden lassen. Als Pfarrerin ist das für sie finanziell möglich. Dennoch ist es nicht einfach. Denn von Pfarrpersonen wird bis heute eine Vorbildfunktion in der Lebensführung erwartet. 

Mittlerweile lebt sie in einer queeren Beziehung und hat ganz neue Formen von Partner:innenschaft und Beziehung kennen gelernt. Seit ihrem queeren Coming-out hat sie verstanden, dass es ganz unterschiedliche Formen von Zusammenleben, Familie und Kindererziehung gibt. Dafür braucht es nicht den vorgegebenen Rahmen einer Ehe, auch wenn dieser Weg natürlich legitim ist für diejenigen, die sich dafür entscheiden. Aber auch hier bleibt Schöfer kritisch. Sie schildert die Herausforderungen eines verheirateten lesbischen Paars, wenn eine der beiden ein Kind bekommt. Die Partnerin der biologischen Mutter wird nicht automatisch als zweiter rechtlicher Elternteil anerkannt. Es ist ein mühsamer Weg, bis eine Stiefkindadoption rechtskräftig wird. Das Verfahren ist langwierig und nervenaufreibend. Hier bleibt juristisch und gesellschaftlich noch viel zu tun.

Neben den vielen kleinen und großen Neins gegenüber gesellschaftlichen Einengungen, Konventionen und strukturellen Ungerechtigkeiten ist das Buch gleichzeitig ein große Ermutigung „ja“ zu sagen zum eigenen Ich, zum eigenen Körper, zur eigenen Unperfektheit mit allen Fehlern, Narben und Brüchen. Schöfer schreibt von ihren erfolglosen Kämpfen, ihren Körper möglichst perfekt zu machen. Sie schreibt über Diäten, Körperkontrolle und über selbst verletzendes Handeln als Jugendliche und junge Frau und welche Auswirkungen das auf ihre Psyche und ihren Körper hatte.

Genau das ist die große Stärke des Buchs: Schöfer gelingt es, ihre eigenen biografischen Erfahrungen mit gesellschaftlichen Themen zu verknüpfen und sie intersektional aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Aus ihren Kommentaren wird deutlich, wie intensiv sie sich mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus, Queerfeindlichkeit, sexualisierter Gewalt und geschlechtergerechter Sprache auseinandergesetzt hat, theoretisch und praxisnah.

Eine weitere Stärke des Buchs ist die Wut und die Entrüstung, die durch ihre klaren Worte spürbar werden. Es ist eine „unplugged“ Version ihrer Stimmungslagen, ein feministischer Furor, der durch alte verkrustete Machtstrukturen und Traditionen pflügt. Gerade in theologischen und kirchennahen Büchern liest mensch dies nicht so häufig. Denn gerade im kirchlichen Kontext ist eine ausgleichende diplomatische Sprache angesagt. Emotionale Wutausbrüche, selbstironische Kommentare und Wutausbrüche gehören weniger zum Repertoire von Kirchensprech. 

Ihre Sprache ist aber nicht nur erfrischend und verstörend zugleich, sondern auch klug. Sie schafft es, die Komplexität von gesellschaftlichen Herausforderungen und Themen wie Migration und Flucht, Frauenhass, toxische Schönheitsideale und weiße Privilegien auf eine gleichzeitig tiefgründige und humorvolle Art darzustellen, ohne die Komplexität zu unterlaufen. 

Mich persönlich hat besonders berührt, wie Schöfer ihre persönlichen Vorbilder als Gegenerzählungen ins Spiel bringt und sie als individuelle und gesellschaftlich relevante Beispiele fürs Neinsagen und Widerstehen einführt. Sie schreibt über die Spice Girls, über Jesus, Rosa Parks, Eva und Sinéad O´Connor. Sie schreibt über Popkultur und Religion und kritisiert gleichzeitig die jahrhundertealten Vorurteile und Abwertung gegenüber Frauen und Minderheiten. Und sie liest biblische Geschichten wie die über Ruth und Naomi, Eva, Sarah, Judith und andere als feministische und befreiungstheologische Gegengeschichten. 

Schöfer zeigt: Religion und kirchliche Institutionen repräsentieren nicht nur unterdrückerische und gewalttätige Traditionen und Praktiken, zu denen Schöfer nein sagt. Es gibt auch zahlreiche biblische Geschichten und theologische Texte, die ermutigen und befreien können. Aber nicht nur die Theologie, sondern auch die Kunstgeschichte und Literatur kennen widerständige Frauen, die nein gesagt und sich gewehrt haben (S. 173 f.).

Zum Schluss des Buchs ermutigt Schöfer alle, das Neinsagen zu nutzen, um Platz zu schaffen und Kraft zu haben für alles, was lebensförderlich, solidarisch und geschwisterlich ist

"wie eine Festtafel, reichlich gedeckt, üppig und köstlich. (…) 
Eine Festtafel, zu der jede*r etwas beisteuert, für die Gemeinschaft, nach eigenen Kräften, Möglichkeiten und Fähigkeiten. 
Eine Festtafel, zu der jede*r eingeladen ist. An der an jede*n gedacht ist. Nebeneinander. 
Von Angesicht zu Angesicht. Hand in Hand.“ (S. 214)

Ihre Vision bekräftig sie mit dem Wort "Amen". Amen ist eine Akklamationsformel am Ende von Gebeten und biblischen Texten. Das hebräische Wort bedeutet „So sei es!“ Amen heißt aber auch sich fest machen und sich ausrichten auf Gott. Zum Neinsagen gehört für Maike Schöfer zwangsläufig die Bekräftigung dazu: Nein und Amen.

Neugierig geworden? 
Unbedingt lesen!

Zum Nachlesen:

Maike Schöfer, Nö. Eine Anstiftung zum Neinsagen, München (Piper) 2025

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