"Resilienz" ist ein Thema, das mich in der letzten Woche in ganz verschiedenen Zusammenhängen begleitet hat: Resilienz gegen rechts, Resilienz gegen hybride Bedrohung der Infrastruktur in Deutschland, Resilienz gegen den Klimawandel und im Umgang mit den Kipppunkten, die wir vielleicht nicht mehr verhindern können. Alles Fragestellungen, die wir in unserer Abteilung "Kirche und Gesellschaft" in den letzten Tagen diskutiert haben.
Auf dem Heimweg von einer dieser Veranstaltungen lese ich dann die Schlagzeile im Münchner Boulevard: "Schwules Paar im eigenen Haus von Jugendgang terrorisiert." Und denke: "Ja, auch die Bedrohungslage gegenüber Queers hat sich verändert." Grund genug also, diesen Blog-Beitrag dem Thema "Resilienz" zu widmen.
Der Begriff "Resilienz" selbst klingt relativ sperrig und ist im Alltag auch (noch) nicht sehr gebräuchlich. In der Wissenschaft ist er seit vielen Jahren in mehreren Disziplinen etabliert (die folgenden Definitionen hat ChatGPT zusammengestellt):
In der Psychologie bezeichnet Resilienz die seelische Widerstandskraft eines Menschen – also die Fähigkeit, trotz belastender Lebensumstände, Krisen oder Traumata psychisch gesund und handlungsfähig zu bleiben oder sich nach Rückschlägen zu erholen. Sie beruht auf Schutzfaktoren wie Selbstwirksamkeit, sozialer Unterstützung und positiven Bewältigungsstrategien.
In der Ökologie meint Resilienz die Fähigkeit eines Ökosystems, Störungen (z. B. Klimaveränderungen, Eingriffe) zu verkraften und seine grundlegenden Strukturen, Funktionen und Prozesse aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Resiliente Systeme passen sich an, ohne dauerhaft geschädigt zu werden.
In den Sozialwissenschaften steht Resilienz für die Anpassungs- und Erneuerungsfähigkeit von Gemeinschaften oder Gesellschaften angesichts von Krisen (z. B. wirtschaftlichen, politischen, sozialen). Es geht um kollektive Lernprozesse, institutionelle Stabilität und Solidarität, die soziale Systeme widerstandsfähig gegenüber Schocks machen.
Voraussetzung, um eine resiliente (Lebens-)Haltung oder ein resilientes System zu entwickeln, ist die Herausforderungen und Krisen anzuerkennen, die in eine Situation der Überforderung oder Überlastung führen (können). Bedrohungen klein zu reden, vor Krisen und Kipppunkten die Augen zu verschließen oder darauf zu hoffen, dass schon alles wieder besser wird, sind Abwehrmechanismen, die eher nicht dazu beitragen, Resilienz zu entwickeln. Wichtig ist ein realistischer Blick auf die Bedrohungslage - sich in Angstphantasien hineinzusteigern, ist ebenfalls nicht hilfreich: "Häufig schätzen wir die Welt falsch ein", sagt René Träder, Coach für Resilienz und Stressmanagement. So hätten nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016 viele Menschen Angst gehabt, auf Weihnachtsmärkten Opfer eines Terroranschlags zu werden. Dass die Wahrscheinlichkeit für einzelne Personen statistisch gesehen sehr gering ist, änderte diesen Umstand nicht. Als die große mediale Aufmerksamkeit für Terroranschläge auf Weihnachtsmärkten nachließ, verschwand diese Angst bei vielen Menschen wieder. Es sei daher ratsam, die konkrete Gefahr für sich selbst möglichst realistisch einzuschätzen.
Der nächste, entscheidende und zugleich oft schwierigste Schritt zur Stärkung der eigenen Resilienz sei, eigene Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und an konkreten Lösungen zu arbeiten. Bei seelischen Problemen, so Träder, könne eine Lösung sein, konkret nach Hilfe zu suchen und diese anzunehmen. Bei Problemen am Arbeitsplatz kann schon die aktive Suche nach Stellenangeboten aus der Rolle des passiven Opfers befreien und die eigene Resilienz stärken. Ökosysteme, in denen viele Arten zu finden sind, die unterschiedlich auf Wetterextreme reagieren, sind resilienter als solche mit wenigen Arten, die dann z.B. auch noch alle trockenheitsanfällig sind. Die Diskussion um die Rentenreformen in Frankreich oder Deutschland kann als der Versuch verstanden werden, ein Sozialsystem resilient zu machen gegen eine vorhersehbare Kostenexplosion aufgrund der demographischen Entwicklung.
Verlässliche und tragfähige Netzwerke im persönlichen Umfeld sind ein weiteres wichtiges Element, um Resilienz aufzubauen.
Aktivist:innen im Bereich Klimaschutz beschäftigen sich gerade sehr intensiv mit diesem Thema der stützenden Netzwerke: Immer wahrscheinlicher ist, dass sich bestimmte Kipppunkte des Erdsystems nicht mehr verhindern lassen (so der gerade veröffentlichte Bericht einer Forschergruppe um das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung). Tadzio Müller, langjähriger Klimaaktivist und Publizist, bietet daher bewusst “Klimakollapscamps” an, in denen er Menschen darauf vorbereitet, mit den möglichen Krisenszenarien umzugehen.
In der queeren Community haben wir uns viele Jahre lang darauf verlassen, dass Vielfalt zu dem neuen Normal einer offenen Gesellschaft geworden ist. Doch die Rückschläge werden sichtbarer und spürbarer. Ich beobachte, dass manche sich ins Private zurückziehen, viele vorsichtiger werden, wo und wie sie erkennbar queer auftreten. Welche Mechanismen haben wir als Einzelne und als Community, um hier resiliente Strukturen zu entwickeln? Welche Netzwerke haben wir (noch) und welche Netzwerke müssen wir wieder aufbauen?
In der Tradition unseres Glaubens entdecken wir immer wieder Zeiten, in denen Menschen durch Krisen herausgefordert waren, und getragen von Gottes Geist resiliente Strukturen aufgebaut haben. Das babylonische Exil (597 – 539 v. Chr.) war solch eine große gesellschaftliche Krise: Jerusalem und der Tempel waren nahezu komplett zerstört, die Oberschicht ins Exil deportiert – nach der theologischen Tradition der Zeit ein sicheres Zeichen dafür, dass ein Volk von seinem Gott verlassen ist. In Babylon aber treten Propheten wie Hesekiel und der jüngere Jesaja auf, die weiter mit der Gegenwart Gottes rechnen. Hesekiel beschreibt in sehr eindrücklichen Bildern, wie Gottes Herrlichkeit (also sein Geist) sich aus dem (zerstörten) Jerusalemer Tempel erhebt und nach einer Reise durch die Lüfte sich bei den Exilierten in Babylon niederlässt (Hes 10 und 43).
Mutmacher für individuelle Resilienz sind für mich immer wieder die Psalmen. Häufig nämlich blicken die Betenden dort auf Situationen extremer Not oder existenzieller Krisen zurück, die sie durch- und überstanden haben – getragen durch Gottes Geist, wie sie im Rückblick sagen. Der Rückblick mündet in einen Lobpreis, der wirklich ansteckt und Mut machen kann – zum Beispiel im Psalm 30:
2 Ich preise dich, HERR; denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und lässest meine Feinde sich nicht über mich freuen. 3 HERR, mein Gott, da ich schrie zu dir, machtest du mich gesund. 4 HERR, du hast meine Seele aus dem Reich des Todes geführt; du hast mich aufleben lassen unter denen, die in die Grube fuhren. 5 Lobsinget dem HERRN, ihr seine Heiligen, und preiset seinen heiligen Namen! 6 Denn sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude.