Erinnerung an eine große lesbische Liebe

Kreuz & Queer Blog
Erinnerung an eine große lesbische Liebe
Am 8. Mai gedenken wir dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Vor Kurzem wurde der internationale Tag der lesbischen Sichtbarkeit gefeiert. Das sind zwei Anlässe für Christian Höller, um an das Leben von Ruth Maier zu erinnern.

Liebe Leser:innen des Blogs,

ich möchte Sie heute einladen, mit mir gedanklich eine Reise nach Norwegen zu machen. Stellen wir uns vor, wir befinden uns in Lillestrøm. Dabei handelt es sich um eine Stadt östlich von Oslo mit heute über 95.000 Einwohner:innern. Dorthin floh im Jahr 1939 die damals 19-jährige Ruth Maier vor den Nationalsozialisten. Ruth glaubte, in dem Ort in Sicherheit zu sein. Eine norwegische Familie nahm die junge jüdische Frau auf. An der Hauswand in Lillestrøm, wo sie gewohnt hat, befindet sich heute eine blaue Gedenktafel. Dann reisen wir gedanklich nach Oslo, wo es den Ruth Maier-Platz gibt. Der Platz ist klein, ruhig und friedlich. Nicht weit davon entfernt, befindet sich die Unterkunft, wo Ruth Maier im Herbst 1942 gelebt hat. Vor dem Haus erinnert ein Stolperstein, eine im Boden verlegte kleine Gedenktafel, an ihre Deportation nach Auschwitz.

Ruth Maier ist in der österreichischen Hauptstadt Wien geboren und aufgewachsen. Nach der Machtergreifung durch die Nazis konnte sie fliehen. Sie war erleichtert, als sie in Norwegen ankam. Dort verliebte sie sich in Gunvor Hofmo. "Es ließe sich viel schreiben. Aber was zwischen Gunvor und mir ist, ist zu heilig, als dass Worte daran rühren dürfen", schrieb Ruth damals in ihr Tagebuch. Dieser Satz ist wunderschön und zeigt, dass auch die Liebe zwischen zwei Frauen als etwas Heiliges, Göttliches und Vollkommenes empfunden werden kann. Das Glück dauerte leider nur kurz. Denn 1940 überfielen die Nazis Norwegen. Ruth konnte nicht mehr weg. 1942 wurde sie verhaftet und nach Ausschwitz deportiert, wo sie in der Gaskammer ermordet wurde.

"Norwegische Anne Frank"

Ruth Maier gilt als "norwegische Anne Frank". Denn sie hat wie Anne Frank viele berührende Tagebuchaufzeichnungen hinterlassen. Aufgrund einer norwegischen Initiative wurden ihre Tagebücher und Briefe in das Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen. Als Ruth in Wien zur Schule ging, schrieb sie im Alter von 14 Jahren: "Ich möchte leben! Und etwas hinterlassen, ein Dokument, dass ich da war. Ein großes, schönes Werk." Das große Werk ist ihr gelungen. In Norwegen werden ihre Tagebücher in den Schulen gelesen. Zudem gibt es in dem nordeuropäischen Land zahlreiche Initiativen, die das Gedenken an die lesbische Frau hochhalten. Der frühere norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg ging bei einem Staatsakt zum Holocaust-Gedenktag ausdrücklich auf ihr Schicksal ein: "Wie war das mit den Verbrechen gegen Ruth Maier und die anderen Juden? Zweifellos wurden die Morde von Nazis ausgeführt. Aber es waren Norweger, die die Lastwagen fuhren. Und es geschah in Norwegen", sagte Stoltenberg.

Das Schreiben hat Ruth Maier geholfen, um mit ihren Gefühlen klarzukommen: "Ich schreibe nicht Tagebuch, um 'Reflexionen' niederzuschreiben, geistreiche Gedanken zu verewigen. Ich schreibe, um Gefühle auszulösen, die mich sonst ersticken würden." In den Tagebüchern hat sie nicht nur die Greueltaten der Nazis festgehalten, sondern auch ihre intensiven Gefühle zu Gunvor. Wenn Schüler:innen in Norwegen heute die Tagebücher lesen, erfahren sie, dass es wunderschön sein kann, wenn sich zwei Frauen ineinander verlieben.

Ihr Schicksal darf niemals vergessen werden

Das Leben von Ruth Maier passt zum lesbischen Tag der Sichtbarkeit, der vor Kurzem auch in Deutschland am 26. April gefeiert wurde. Ziel des Tages ist es, lesbische Frauen in der Gesellschaft sichtbarer zu machen. Dann gibt es den 8. Mai, an dem wir des Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Nazi-Terror vor 80 Jahren gedenken. An diesem Tag ehren wir alle Menschen, die von den Nazis ermordet wurden. Unter ihnen befinden sich auch viele queere Menschen wie Ruth Maier. Ihr Schicksal darf niemals vergessen werden!

In ihren Tagebüchern zeigt Ruth, wie erfüllt sie von der Liebe zu Gunvor war. "Ich kann nicht sagen, wie warm mir ist, zusammen mit Gunvor. Ich liebe sehr ihre tiefen Augen. Ich liebe ihre Art, verhalten über Dinge zu sprechen. Gunvor ist ein wertvoller Mensch. Ich würde sehr viel opfern, um sie glücklich zu machen", schrieb Ruth im Jänner 1941. Wenige Tage später notiert sie: "Die Tage sind heller, wenn man liebt. Wenn Gunvor nicht da ist, fehlt etwas in mir." Doch im besetzten Norwegen wurde die Lage für Ruth immer schlimmer. Sie hatte massive Ängste vor den Nazis und erlitt einen psychischen Zusammenbruch.

Im Februar 1941 suchte sie auf eigenem Wunsch eine psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses auf. In dieser schweren Zeit gab ihr die Liebe zu Gunvor Kraft. Am Abend vor der Abreise "strich ich ihre Hand. Und ich dachte: Alle sollen dir so gut sein wie ich. Alle sollen einen Menschen haben, den sie so lieb haben wie ich dich. Und es war wirklich so, dass alles dunkel war und nur von Gunvor Licht ausging". Am 14. März 1941 notierte Ruth: "Was Gunvor in mir lebendig gemacht hat, ist das Gute in mir." Gunvor habe ihr gezeigt und sie daran erinnert, "was Leben heißen soll". Nach einem Ausflug am 2. November 1941 ist Ruth unendlich glücklich: "Gunvor ist hinter allem, was ich tue. Meine Liebe zu ihr füllt mein ganzes Sein. Ich glaube nicht, dass ich je jemanden so geliebt hab' wie sie."

"Juden, wie Schlachtvieh im Lastauto"

Die Tagebücher dokumentieren aber auch den Schrecken und die Greueltaten der Nazis, die Ruth erlebt und gesehen hat. Bevor sie nach Norwegen floh, bekam sie in Wien die Zerstörungen der Tempel, Plünderungen von Geschäften und Wohnungen mit. "Wir rasten durch die Straßen, es war wie im Krieg… Leute starrten, kalte Luft, Gestalten und vorn ein Lastauto mit Juden, ganz aufrecht, wie Schlachtvieh! Diesen Anblick werd' und darf ich nie vergessen. Juden, wie Schlachtvieh im Lastauto", lautete der Tagebuch-Eintrag vom November 1938. "Wir schlüpften wie gehetztes Wild ins Haus, keuchten die Stiegen hinauf. Dann begann es: Sie schlugen, verhafteten, zerdroschen Wohnungseinrichtungen etc." Am 24. Dezember 1938 schrieb sie: "Laut spielt das Radio Weihnachtslieder, süß, schmelzend. Gegenüber blinken die eingeschlagenen Fenster vom jüdischen Geschäft, hebräische Aufschriften. Wie verlogen die Welt ist, verlogen, so verlogen."

Obwohl sie nach Norwegen fliehen konnte, wurde sie am 26. November 1942 in Oslo verhaftet. Gemeinsam mit 500 Menschen wurde sie mit dem Schiff und später mit dem Zug in einem Güterwaggon nach Ausschwitz deportiert. Die Frauen, Kinder und älteren Männer wurden gleich nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Ruth Maier starb am 1. Dezember 1942.

Ich möchte zum Schluss ihren Tagebuch-Eintrag aus dem Jahr 1941 wiederholen: "Die Tage sind heller, wenn man liebt." Ein Satz, der so viel über die Liebe aussagt und den wir vielleicht auch in Erinnerung behalten. 

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