Ein Prosit der Gemütlichkeit?

Wolfgang Schürger
Oktoberfest, Gemeinschaft, Corona, Freiheit, Verantwortung
Ein Prosit der Gemütlichkeit?
Wie viel ausgelassene Geselligkeit ist angemessen in dieser Zeit? Wie viel Gemeinschaft brauchen wir? Ein Plädoyer, um in Freiheit und mit Verantwortung zu feiern.

Ist es in dieser Zeit angemessen, Großveranstaltungen wie das Münchner Oktoberfest zu feiern? Die Diskussion darüber wurde in den letzten Wochen bundesweit zum Teil sehr emotional geführt. Knapp 1.000 Gäste gaben beim gay sunday des Münchner Löwenclubs (MLC) am ersten Wiesn-Sonntag eine eindeutige Antwort: "Ja!"

Zum 43. Mal schon hatte der MLC zum Wiesn-Treff ins Bräurosl-Zelt geladen - und doch war manches anders, angefangen beim neuen, größeren und helleren Zelt und der neuen Wirtsfamilie. Manch einer (gendern ist hier nicht angebracht, der MLC richtet seine Angebote ausschließlich an schwule Männer) suchte so zunächst orientierungslos den neuen Reservierungseingang, doch bald traf sich eine internationale Mischung schwuler Männer auf dem geräumigen Ost-Balkon des neuen Zeltes. Viele gerade der internationalen Gäste feierten das Wiedersehen nach zwei Jahren Corona-Pause. Bernhard, ein Gast aus dem Münchner Umland, war beeindruckt: "Ich habe den Eindruck, dass wir durch die Pandemie jetzt alle noch näher zusammengerückt sind - hier im wörtlichen, aber vor allem auch im übertragenen Sinn. Jeder hat gemerkt, wie sehr wir Gemeinschaft brauchen!"

Bernhard selbst lebt allein - und man merkt ihm im Gespräch an, dass ihm die Zeiten der Kontaktbeschränkung schwer gefallen sind. An die Corona-Auflagen hat er sich strikt gehalten, vor allem, um in der Arbeit niemanden zu gefährden. Jetzt freut er sich sichtlich, Freunde aus nah und fern wieder in den Arm zu nehmen.

Zwei andere Nachbarn am Tisch kennen sich schon lange von den Isarhechten, dem queeren Schwimmverein. Doch auch sie haben sich lange nicht gesehen: Schwimmtraining war lange nicht möglich, und auch diese beiden waren lange Zeit mit ihren Kontakten sehr vorsichtig, um andere Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld nicht zu gefährden. Die Impfungen, so sagen sie, geben ihnen nun mehr Sicherheit - aber natürlich würden sie sich die nächsten Tage selber testen, bevor sie zur Arbeit gehen.

Die Impfungen geben vielen also ein Stück Freiheit zurück - eine Freiheit freilich, die einhergehen muss mit (Selbst-)Verantwortung. Dieses Wechselspiel von Freiheit und Verantwortung wird von protestantischer Ethik immer wieder nachdrücklich beschrieben: Freiheit bedeutet nicht Grenzen- und Zügellosigkeit, sondern kommt genau dort an ihre Grenzen, wo sie Freiheit und Lebensrechte anderer beschneidet oder gefährdet.

Die Diskussion um das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes und die damit verbundenen Corona-Regeln in diesem Herbst und Winter ist von dieser Balance zwischen Freiheit und Verantwortung geprägt. Deshalb ist es gut, wenn vor einem Besuch im Altenheim oder Krankenhaus weiter ein Schnelltest nötig ist (um besonders vulnerable Menschen zu schützen). Deshalb ist es aber auch gut, wenn Gemeinschaft und gelöstes Miteinander wieder möglich sind. Doch wer so ausgelassen feiert, sollte dann auch so gut sein, in den folgenden Tagen in Verantwortung für andere sich selber zu testen und auf Anzeichen einer Infektion zu achten. Das gilt im Übrigen nicht nur für Großveranstaltungen - und nicht nur mit Blick auf das Corona-Virus...

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