Entschuldigung – und Segnung mit Einschränkung

Entschuldigung – und Segnung mit Einschränkung
phil thep/unsplash
Der württembergische Landesbischof Frank Otfried July hat sich bei Homosexuellen entschuldigt. Die Öffnung der Segnung gilt in der Landeskirche Württemberg jedoch nur eingeschränkt.

Die Evangelische Landeskirche in Württemberg (ELKWü) bewegt sich. Gleich zwei Schritte Richtung Anerkennung homosexueller Menschen wurden dieses Jahr gemacht.

Ein wichtiger Schritt war die (teilweise) Öffnung der Segnung für Homosexuelle im März. Nun ging der württembergische Landesbischof, Frank Otfried July, der die Kirche seit 14 Jahren leitet, in diesem Monat mit einer Entschuldigung gegenüber homosexuellen Menschen an die Öffentlichkeit. Er bat um Vergebung für das Unrecht, das seine Landeskirche gegenüber gleichgeschlechtlich liebenden Menschen begangen hat.

Entschuldigung

„Für viele schmerzhafte Erfahrungen, die homosexuelle Menschen im Rahmen der Kirchen machen mussten, bitten wir um Vergebung“, sagte July Anfang des Monats bei der Synode in Stuttgart. „Wir bedauern zutiefst, wie es Lieblosigkeit und Ausgrenzung in Gemeinden gibt und gruppenbezogene Vorurteile, die die christliche Annahme verstellen“, sagte July. Innerhalb der Synode wie auch in der gesamten Landeskirche sind die theologischen Haltungen zum Thema Homosexualität sehr kontrovers. Dennoch sei die Synode einig darüber, „dass es einen lieblosen Umgang, geschichtsvergessene Ausgrenzung und polemische Verachtung von Homosexuellen“ nicht geben dürfe. (Evangelisch.de berichtete am 5.7.)

Die Entschuldigung wurde vonseiten der Landeskirche seit 2017 angekündigt. Dabei ging es vor allem auch um die Verfolgung und Tötung homosexueller Menschen während der Nazizeit. Die Kirchen haben zu Gewalt und Diskriminierung gegen Homosexuelle beigetragen, bekennt July. Sie hätten sich für den Schutz von Homosexuellen, die Ausgrenzung und Benachteiligung erlebt haben und erleben, einsetzen müssen.

Bitterer Beigeschmack

Ein solches Bekenntnis wirkt angesichts der Reputation als homofeindliche Landeskirche überraschend stark und solidarisch – und gleichsam schal, denn von einer wirklichen Gleichstellung gleichgeschlechtlich orientierter Menschen kann in der lutherischen Württembergischen Kirche noch immer nicht die Rede sein.

Nachdem die Evangelische Landeskirche in Württemberg zusammen mit Schaumburg-Lippe lange Zeit das Schlusslicht in der Segnungsfrage (Segnung/Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften) bildete, erlaubte die Synode der als pietistisch geltenden Kirche im März die Segnung von „gleichgeschlechtlichen Paaren oder Paaren, von denen zumindest eine Person weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht angehört“ ab 2020 im öffentlichen Gottesdienst. Allerdings – und das ist jkeine ungewichtige Einschränkung – nur für höchstens ein Viertel der württembergischen Gemeinden. Nach dem neuen Gesetz können 25 Prozent der Kirchengemeinden ihre örtliche Gottesdienstordnung ab 2020 ändern.

Kann angesichts einer solchen Sonderregelung für lgbtiq(1) Menschen wirklich von einem Ende des „lieblosen Umgangs“ mit homo-/bisexuellen bzw. queeren Menschen gesprochen werden? Es bleibt der bittere Beigeschmack der paternalistischen Kontrolle: Du darfst, du nicht. Du darfst da, aber dort nicht. Du darfst, aber nur unter bestimmten Bedingungen. „Wir“ tolerieren homosexuelle Menschen hier und da, aber es bleibt ein „wir“ und „die anderen“ – deshalb keine Gleichstellung, keine Inklusion.

Eine Sonderregelung aber kann nur dann zur Gleichstellung beitragen, wenn sie im Sinne der marginalisierten Gruppe geschieht (etwa Quotenregelungen, besonderer Schutz etc.). Ansonsten verhindert sie die Gleichstellung und Gleichbehandlung – in diesem Falle gegenüber Menschen, die nicht nur geschichtlich verfolgt wurden, sondern noch immer ihre Liebe und Beziehungen nicht so selbstverständlich leben und zeigen können wie heterosexuell l(i)ebende Menschen, weil sie Ausgrenzung und Gewalt befürchten müssen. Auch hier.

Die Kontroversen und Kämpfe um die theologischen Zugänge zu Homosexualität – und damit um die Trauung/Segnung für alle – sind mittlerweile ein alter Hut. Seit 20 bis 30 Jahren wird in der evangelischen Kirche in Deutschland darüber gestritten. Natürlich ist es eine Herausforderung, eine Kirche zusammenzuhalten und zu gestalten, in der dieses Thema ein heißes Eisen ist, an dem sich viele die Finger nicht verbrennen wollen.

Für die einen ist es theologisch und menschenrechtlich gar keine Frage, homosexuelle und heterosexuelle Menschen gleichzubehandeln; für die anderen verhindert eine rigoristische Bibelauslegung genau das.

„Initiative Regenbogen“

In der Landeskirche Württemberg zeigt die „Initiative Regenbogen“ Flagge: Seit 2003 setzen sich ihre Mitglieder und Unterstützer_innen öffentlich für die Segnung/Trauung für alle ein sowie für die Akzeptanz homosexueller Pfarrer_innen. Von rund 1300 Kirchengemeinden in der Landeskirche haben sich inzwischen 96 Gemeinden der Initiative angeschlossen.

Gerade weil die ELKWü eine Nachzüglerin in Sachen Homo-Gleichstellung ist und gerade weil diese Landeskirche als konservativ-pietistisch berüchtigt ist, ist es wichtig, eine solche Offensive wie die „Initiative Regenbogen“ und ihre Mitglieder sichtbar zu machen. Denn auch sie sind Teil der Landeskirche Württemberg!

Ihr Einsatz ist auch 2019 noch nicht zu Ende: „Die Forderungen der Initiative gehen über die Segnung hinaus. Auch weiterhin ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es viele Gemeinden in der Landeskirche gibt, die offen sind für Lesben und Schwule und für lesbische und schwule Pfarrer*innen, die zusammen mit ihrem/ihrer Partner*in im Pfarrhaus leben wollen. Diese Gemeinden werden durch den Beitritt zur Initiative sichtbar.“ Nach wie vor rufen sie Gemeinden in Württemberg dazu auf, sich der Initiative anzuschließen. (Infos dazu hier.)

Aussicht

Es muss weitergehen – in Württemberg und überall! Ein großer Schritt ist getan: In manchen Gemeinden der ELKWü können gleichgeschlechtliche Paare sich ab 2020 segnen lassen. Darauf haben viele queere Menschen gewartet, und es ist ein Anlass zur Freude. Landesbischof July, der den Synodalmitgliedern empfohlen hatte, dem Gesetzesentwurf zur Öffnung der Segnung zuzustimmen, hat mit seiner Bitte um Vergebung ein wichtiges Zeichen in Richtung Anerkennung homosexueller Menschen gesetzt. Aber es darf nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben.

Die Sehnsucht nach tatsächlicher Gleichstellung bleibt. Wir sind gespannt, wann auch in der Landeskirche Württemberg keine Diskriminierung von queeren Menschen mehr stattfindet. Nach den Fortschritten in diesem Jahr darf man hoffen, dass es vielleicht nicht mehr allzu lange dauert.

Zu bemerken ist auf jeden Fall, dass das erste Mal in einem Kirchengesetz das dritte Geschlecht genannt wird: Zwar formal und wissenschaftlich nicht korrekt, werden Paare mit einer nichtbinären Person zu „gleichgeschlechtlich“ gezählt. Aber immerhin – das dritte Geschlecht wird nicht ignoriert: Die neue Regelung zur Segnung gilt sowohl für gleichgeschlechtliche Paare als auch für solche, bei denen mindestens eine intergeschlechtliche oder trans* Person, die sich nicht als männlich oder weiblich definiert, involviert ist. Auch die anderen Kirchen müssen künftig im Blick haben, dass es seit 2019 eben auch offiziell, d.h. per Gesetz, mehr als Mann und Frau gibt. So manche schleppende Diskussion um gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität führt sich dadurch übrigens selbst ad absurdum.

(1) Lesbian, gay, bisexual, trans*, inter*, queer

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