Hat der Mainstream eine Wahl verloren?

Hat der Mainstream eine Wahl verloren?
Diesen Eindruck erzeugt er selbst. Der Wahlsieg Donald Trumps hinterlässt seine Spuren in der Presselandschaft. Es ist manches an Selbstkritik zu lesen. Wobei nicht alles berechtigt ist, was dort formuliert wird.

An diesem Montag sind die Nachwirkungen der Präsidentschaftswahlen in den USA noch zu spüren. Es gibt kaum ein anderes Thema, ob in den Wochenendausgaben der Tageszeitungen oder den politischen Magazinen. Es ist eine Mischung aus Entsetzen, Ratlosigkeit und Selbstkritik zu lesen. Dabei stellt sich bisher niemand eine einfache Frage: Wie wäre die Berichterstattung nach einem Wahlsieg Hillary Clintons gewesen? Man wird niemanden zu Nahe treten, um folgende Vermutung aufzustellen: Die etablierten Medien hätten sich als Sieger betrachtet und die Triumphgefühle über die Abwehr des populistischen Angriffs dominiert.

Nicht nur in den Vereinigten Staaten hätten sich die Medien in ihrer Rolle als Hüter der Demokratie bestätigt gesehen. Schließlich war diese Wahl zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Mainstream und den Echokammern des digitalisierten Medienbetriebes eskaliert. Praktisch alle Tageszeitungen unterstützten in den USA die demokratische Präsidentschaftskandidatin. In Deutschland war dessen Wahrnehmung seit Beginn der Vorwahlen vom Bild des Hetzers geprägt, den der Spiegel im Januar auf seinen Titel brachte. Das verband sich aber mit der Aufforderung, ihn nicht zu unterschätzen. Schon im Januar war allerdings die paradoxe Logik digitalisierter Medien zu erkennen. Der Mainstream verstärkte mit seiner Berichterstattung über den Hetzer dessen Resonanz in den für ihn ansprechbaren Wählergruppen. Er wurde als monolithischer Block und als Partei begriffen.

+++ Deshalb ist es kein Wunder, wenn er sich nach der Wahl als Verlierer begreift. Damit bestätigt der Mainstream die Vermutung, dass die politische Kampagne zur Verhinderung eines Präsidenten Trump das vorrangige Ziel der Berichterstattung gewesen wäre. Ansonsten hätte er keinen Grund seine selbstkritischen Anmerkungen ausgerechnet am Wahlergebnis festzumachen. Wäre die Berichterstattung plötzlich besser gewesen, wenn Hillary Clinton sicher geglaubte Bundesstaaten wie Michigan doch noch gewonnen hätte? Die Medien vertrauten den Meinungsforschungsinstituten, die fast einstimmig einen Sieg der Demokraten prognostizierten. Damit beschäftigt sich Stefan Niggemeier auf Uebermedien.

„Tatsächlich gravierend daneben lagen die Prognosen in den Staaten des Mittleren Westens, die am Ende den Ausschlag für Trumps Sieg gaben. Die Demoskopen sahen zwar, dass Trump bei den weißen Arbeitern hier viel Zuspruch erhält, aber sie unterschätzten das Ausmaß dieser Welle von eigentlich klassischen Wählern der Demokraten. Trotzdem ist es irrwitzig, in welchem Maße sich die Meinungsforscher und Umfrageexperten sich in diesen Tagen vorwerfen lassen müssen – auch natürlich sofort reflexartig von Journalisten, die ihre Zahlen falsch interpretierten – einen Wahlsieg von Trump ausgeschlossen zu haben.“

Diese Kritik am journalistischen Umgang mit Meinungsumfragen vor und nach den Wahlen ist zwar berechtigt. Man konnte vor der Wahl auf Twitter verfolgen, wie Journalisten jede Meinungsumfrage hektisch verlinkten, sobald sie nur ihre politischen Präferenzen widerspiegelten. Es war ihnen die Irritationsfähigkeit abhanden gekommen. Trotzdem kommt gerade der Datenguru Nate Silver bei Niggemeier zu gut weg. Er war vorsichtig genug, um sich nicht wie viele Kollegen eindeutig festzulegen. Aber gerade Silver hatte sich das Image eines Daten-Hexenmeisters erworben, der die methodischen Grenzen der Meinungsforschung ausgehebelt hat. Mit ihm zog jener Wahn aus den Obama-Kampagnen ein, dass mit Datenanalyse eine perfekte Wähleransprache möglich geworden wäre. Wahlkämpfe galten von nun an als ein perfekt planbares technokratisches Verfahren: Mit getesteten Slogans, perfekter Inszenierung und dem absoluten Wissen über jeden potentiell ansprechbaren Wähler. Trump machte in seiner Kampagne alles anders, nämlich für professionelle Wahlkampfmanager alles falsch, und gewann gerade deshalb. Im Vergleich zu ihm wirkte seine Gegenkandidatin blutleer. Es war der Sieg eines altertümlich wirkenden Verständnisses von Politik über Big Data.

+++ Aber war die Berichterstattung wirklich so desaströs, wie es in zahllosen Artikeln formuliert wird? Der USA-Korrespondent der Welt, Ansgar Graw, hat dazu einen wichtigen Artikel geschrieben. „Warum ich Donald Trump nicht kommen sah“ liest sich wie eine Selbstkritik.

„Ärgern tue ich mich darum weniger über dieses Faktum, als darüber, dass ich es nicht kommen sah. Bereits am 15. Februar, als Clinton in den Primaries mit ihrem Rivalen Bernie Sanders gleichauf lag und Trump noch weit von der Nominierung entfernt war, argumentierte ich: „Viele Parameter und die politische Mathematik sprechen bereits heute für Clintons Präsidentschaft.“

Damit ging es ihm wie allen journalistischen Beobachtern, wahrscheinlich sogar wie Trump selbst, der bekanntlich nicht nur beobachtete. Alles sprach gegen dessen Wahlsieg. Es ist aber auch nicht die Aufgabe von Journalisten, die Zukunft vorherzusagen. Graw formuliert aber keine Selbstkritik und das mit guten Gründen. Er macht nämlich deutlich, wie er in seiner Berichterstattung die Stimmungslage in den USA durchaus korrekt beschrieben hat. Er gerade nicht die potentiellen Trump-Wähler ignorierte, sondern deren Motive und Gründe zutreffend beschrieb. Das ist repräsentativ für die Berichterstattung in Deutschland. So dokumentierte etwa die Reportage von Markus Lanz über den Wahlkampf in den USA die Schwächen von Frau Clinton und die Gründe für die Unterstützung von Trump. Dafür gibt es genügend weitere Beispiele, ob in den Printmedien oder in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Die Berichterstattung war keineswegs so miserabel, wie es jetzt diskutiert wird. Schlecht war das Vertrauen in die Meinungsforschung und die Obsession zur politischen Verurteilung Trumps. Bisweilen hatte man wirklich den Eindruck, die Deutschen von der Wahl Donald Trump abhalten zu wollen.

+++ Es ging die kritische Distanz verloren. Alexander Grau argumentiert im Cicero entsprechend.

„Es drängt sich ein giftiger Verdacht auf: Vielleicht hat der Hobbysoziologe Donald Trump so ganz unrecht nicht. Vielleicht es wirklich so, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten in den Medienhäusern, Parteien und akademischen Einrichtungen ein Milieu gebildet hat, das in einer weltanschaulichen Käseglocke lebt und den intellektuellen und emotionalen Kontakt zu großen Teilen der Bevölkerung verloren hat. Anders ist die weltfremde Überraschung und die zur Schau getragene Empörung kaum zu verstehen.“

Die größte Überraschung war sicherlich, dass sogar weiße Frauen mehrheitlich für Trump stimmten und nicht für Hillary Clinton. Oder deren fehlende Mobilisierungsfähigkeit bei den rassischen Minoritäten. Damit wurde aber deutlich, wo die Medien tatsächlich versagten. Sie überschätzten ihre Kampagnenfähigkeit. Das zeigte sich zuerst bei der Berichterstattung über die Bedeutung der Fernsehduelle zwischen den beiden Kandidaten. Vor allem nach der ersten Debatte waren sich alle einig, dass Trump seine Chancen auf einen Wahlsieg fast schon endgültig verspielt habe. Aber das galt noch viel mehr nach der Veröffentlichung der Trumptapes mit seinen sexistischen Äußerungen. Ab diesen Zeitpunkt befanden sich die amerikanischen Medien endgültig im Kampagnenmodus mit dem Ziel der Diskreditierung Trumps. Da nutzte dessen schnelle Entschuldigung nichts mehr. Auch nicht die zahllosen von Wikileaks veröffentlichten Podestamails. Oder die Scherze von Frau Clinton über Julian Assange. Man könnte ihn auch mit einer Drohne ausschalten. Jeder hätte sehen müssen, wie sehr hier mit doppelten Standards argumentiert worden ist.

+++ Der Mainstream meinte Trump zu treffen. Er bestätigte stattdessen die Sichtweise vieler Wähler auf dessen Verlogenheit. Sie hielten das tatsächlich für Gerede in Umkleidekabinen, womit die Kritik am Establishment erst ihre Durchschlagskraft bekommen konnte. Der Appell des Mainstreams an die „politische Korrektheit“ erschien endgültig als Diskussionsverbot und Herrschaftsinstrument. Die Annahme der kulturalistischen Linken, die Kontrolle politischer Diskuse sei heute das entscheidende politische Vehikel, erwies sich als fataler Irrtum. Das formuliert Markus Somm in der Basler Zeitung so.

„Wenn dieser Wahlkampf etwas klargemacht hat, dann die Unzuverlässigkeit der Medien. Auch mir erging es so. Oft, wenn irgendeine Aussage von Trump wieder sämtliche Redaktionen der Ostküste ins Vibrieren gebracht hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als das Interview im Original nachzuhören. Fast immer erwies sich, dass Trumps Worte ungenau wiedergegeben wurden, wenn nicht falsch, wenn nicht bösartig überzogen gedeutet. Wenn im Zweifel, wurde stets die maximal negative Interpretation gewählt. Kurz, man tat alles, um diesen Mann zu verhindern – und schreckte vor nichts zurück. Kommentare, Meinungen, Bilder, Zitate, Berichte, Reportagen, Fakten: Viel zu viel wurde gebogen, manipuliert, gedreht und gedrückt, bis die Realität so aussah, wie man von vornherein wusste, wie sie auszusehen hatte. Die normative Kraft des Faktischen? Es war die faktische Wirkung des Normativen: Nicht was ist, sondern was sein soll, war plötzlich zu dem geworden, was war.“

Man kann ja nicht übersehen, was Somm hier als Kritik formulierte. Nämlich im Umgang mit Donald Trump dessen Methoden angewendet zu haben, die man bis dahin mit guten Gründen verurteilte. Dabei hätte die kritische Distanz ausgereicht, um diesen Präsidentschaftskandidaten abzulehnen. Die Selbstkritik der Medien sollte an diesem Punkt ansetzen. Sie machten sich zu politischen Aktivisten. Und damit wurden sie zu dem, was in den Echokammern des digitalisierten Mediensystems schon längst dominant geworden ist. Dort geht es nicht um Journalismus, sondern um die Instrumentalisierung von Fakten im eigenen Interesse.


Altpapierkorb

+++ Titel sollen Aufmerksamkeit erregen. Das ist dem Spiegel gelungen, während der Focus konservativ-zurückhaltend titelt. Ein Trump als Meteorit, der die Erde verschlingt, funktioniert halt besser als ein nüchternes Foto des zukünftigen Präsidenten. Ob das auch die Leser überzeugen wird, ist die spannende Frage. Sie wird am Kiosk entschieden. Absurd ist daher die Kritik am Spiegel, wie sie etwa Kai Diekmann artikuliert. Das Heft selbst bemüht sich um eine differenzierte Sichtweise auf das Wahlergebnis. Die Titelgeschichte heißt „Der Unberechenbare“, womit wohl die derzeitige Situation zutreffend beschrieben wird. Das Heft ist auch im Gegensatz zum Focus weitgehend ein Trump-Themenheft. Irritierend wirkt am Spiegel eher das eingeheftete Promotion-Magazin „Nordrhein-Westfalen NRW“. Es kommt aber zum Glück ohne Donald Trump aus.

+++ Gestern Abend gab es in der ARD den tausensten Tatort zu sehen. Es war eine Hommage an den ersten Tatort „Taxi nach Leipzig“ aus dem Jahr 1970. Dazu lohnt sich die Medienkorrespondenz zu lesen. Etwa hier und hier.

+++ Einen guten Überblick über mediale Selbstreflektion nach den Präsidentschaftswahlen finden die Leser bei der London school of economics. Die Debatte steht erst am Anfang. Man kann allerdings nur hoffen, dass sie einen längeren Atem hat als es sonst gewöhnlich der Fall ist. Wobei der Brief des New York Times Eigentümers an seine Abonnenten schon etwas besonders ist. Auf die Idee muss man schließlich erst einmal kommen, es in der Berichterstattung über den Präsidenten Trump in Zukunft wieder mit journalistischen Mittel zu versuchen.

+++ Dabei sind so manche Dinge in dieser Wahlkampagne keineswegs geklärt. So wurde in den vergangenen Monaten wiederholt über die Einflussnahme Russlands auf den Präsidentschaftswahlkampf spekuliert. Jetzt wäre es die Zeit für einen investigativen Journalismus, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Wie sahen die Kontakte zwischen der russischen Regierung und dem Wahlkampfteam von Trump aus? Wurde Wikileaks zum Instrument der russischen Außenpolitik oder beruhten deren Podestamail-Veröffentlichungen auf undichte Stellen bei den Demokraten? Ersteres änderte nichts an deren Authentizität. Sie wurde nicht einmal vom Wahlkampfteam Hillary Clintons bestritten. Aber wenn Trump tatsächlich ein Bündnis mit Russland eingegangen wäre, um diese Wahl zu gewinnen, müsste man das journalistisch thematisieren. Es wäre ein politischer Skandal, der Trump später das Amt kosten könnte.

+++ Die Ratlosigkeit über den gewählten, aber noch nicht amtierenden Präsidenten findet sich ja nicht nur im Spiegel oder in der Süddeutschen Zeitung. Seit Mittwoch erleben wir einen Donald Trump, der zwischen der Einhaltung zentraler Wahlverprechen und deren offenen Bruch changiert. Dabei stand deren Einhaltung schon immer unter Vorbehalt. Das ist bei Trump nicht anders. Das sollte man auch nicht skandalisieren. Vor allem dann nicht, wenn dieser Bruch von Wahlversprechen genau die Punkte betreffen sollte, die man vorher am heftigsten kritisierte. Wer vorher TTIP ablehnte, kann Trump nicht plötzlich dessen Aussetzung als historischen Fehler ankreiden. Es gilt vielmehr die populistische Logik deutlich zu machen, die sich hinter der Skandalisierung verbirgt. Nicht jeder Bruch eines Wahlversprechens ist ein Skandal. Es ist manchmal der Wirklichkeit geschuldet. Ein Skandal wird es erst, wenn sie nur noch das Ziel verfolgen, sich politische Mehrheiten zu sichern, ohne ernsthaft an deren Umsetzung zu denken.

+++ Das Irrlichtern der kommenden Regierung macht sich auch an Stephan Bannon fest. Der frühere Chef der rechtskonservativen Breitbart-News sollte Trumps Stabschef werden, was er jetzt nicht mehr wird. Don Alphonso hat sich mit dieser wichtigsten Seite konservativer Gegenöffentlichkeit in den USA beschäftigt. Sie ist eben keineswegs so substanzlos, wie es manche ihr vorwerfen. Breitbart will jetzt auch nach Deutschland expandieren, um die AfD zu unterstützen. Das muss niemanden sonderlich irritieren. Er ist kein propagandistischer Hexenmeister mit magischen Künsten. Er hat in diesem Wahlkampf schlicht die Schwächen seiner politischen Gegner zu nutzen gewusst. Dafür ist aber nicht Bannon verantwortlich, sondern seine unfähigen Kontrahenten.

+++ Interessant sind noch diese Bemerkungen Trumps über sein Verhältnis zu Twitter. Und außerdem noch diese Geschichte aus der digitalen Gerüchteküche in Deutschland. Es geht um einen erfundenen Grünen mit skandalösen Bemerkungen: „Letztlich stellt sich die Frage, ob sich ein relevanter Teil der Genannten überhaupt dafür interessiert, ob Beitrag und Profil nun echt waren oder nicht. Auf der rechten Website „Preussischer Anzeiger“ kann man in einem Beitrag zur angeblichen grünen Forderung lesen: „Dabei ist es egal, ob dies ein „Fakeprofil“ ist, denn es zeigt die Grundideologie der Elite, die den Völkeraustausch seit Jahren organisiert.“ In der Auseinandersetzung um Flucht und Migration interessieren sich einige Ankläger der „Lügenpresse“ überhaupt nicht mehr für die Realität. Ganz im Sinne postfaktischer Politik werden Beiträge unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verbreitet, um damit in den Diskurs einzugreifen.“ Da ist zwar richtig. Aber selbst wenn es diesen Grünen wirklich gegeben hätte: Wer kommt eigentlich immer auf die Idee, alle anderen (etwa in Parteien) für jeden Idioten in Sippenhaft zu nehmen?

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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