Entscheiden die TV-Duelle die Präsidentschaftswahlen in den USA?

Entscheiden die TV-Duelle die Präsidentschaftswahlen in den USA?
Die Medien stehen schon in den Startlöchern für den heute Nacht zu erwartenden Showdown. Dort wird Politik endgültig zum Unterhaltungsformat. Aber entscheiden diese TV-Duelle wirklich die Wahlen? Das kann man bezweifeln.

Das Medienereignis der kommenden Woche wird heute Nacht in den USA stattfinden. Der Leibhaftige namens Donald Trump trifft im US-Präsidentschaftswahlkampf auf seine Konkurrentin Hillary Clinton. In den amerikanische Medien wird dieses TV-Duell den ganzen Tag vorher und die Tage danach genau so aufgearbeitet werden, wie es dem Politikverständnis des Leibhafteigen entspricht. Politik ist ein Unterhaltungsformat mit beliebigen Inhalten. Es kommt nur auf die Performance der Kandidaten an. Waren sie schlagfertig oder schwitzten sie?

Für das alles findet man die entsprechenden Anekdoten aus den TV-Duellen der Vergangenheit. War Ronald Reagan im Jahr 1984 nicht besonders schlagfertig als er mit entwaffnenden Humor auf die Kritik an seinem hohen Alter reagierte? Hatte Richard Nixon nicht die Wahl von 1960 gegen John F. Kennedy verloren, weil er schwitzte und schlecht rasiert war? Die deutschen Medien werden mit Liveübertragungen im Fernsehen und Live-Tickern dabei sein. So erfährt man heute Morgen nicht nur bei Spiegel online alles, was wichtig. Wie werden sich die beiden Kandidaten vorbereiten? Welche Fallstricke drohen ihnen? Gelingt es Hillary Clinton den angeblich dünnhäutigen Trump zu provozieren? So gab uns der Spiegel schon am Samstag einen Überblick, was dieses TV-Duell ausmachen wird.

„In einer zersplitterten Mediengesellschaft zählen die Duelle zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen die Kandidaten ungefiltert die kollektive Aufmerksamkeit des Volks erfahren. Es kommt auf Körpersprache, Tonfall und Selbstvertrauen an – mehr noch als auf die Inhalte. Seine unkonzentrierte, übellaunige Performance in der ersten Debatte hätte Barack Obama 2012 fast die Wiederwahl gegen seinen Herausforderer Mitt Romney gekostet.“

In dem Artikel fehlen auch nicht die Hinweise auf Reagan und Nixon. Allerdings hatte Reagans Gegenkandidat Walter Mondale 1984 zu keinem Zeitpunkt eine Chance gegen Reagan. Reagan brauchte nicht die TV-Duelle, um zu gewinnen. Das gilt ebenfalls für Obama bei seiner Wiederwahl 2012. Romney war der sichere Verlierer, weil er nur eine Wählergruppe überzeugen konnte: Das waren jene weißen Männer, die auch heute Trump unterstützen. Obama war in diesem TV-Duell schlicht seiner Arroganz zum Opfer gefallen. Er sah sich schon als den sicheren Wahlsieger und verließ sich zugleich auf sein Image des grandiosen Rhetorikers.

Romney konnte vor vier Jahren zwei Faktoren für sich nutzen. Niemand erwartete etwas von ihm. Er galt als ein etwas linkischer und abgehobener Ostküsten-Millionär. Und die Medien hatten kein Interesse an einem langweiligen Wahlkampf mit einem sicheren Sieger names Obama. Zudem wirkte Romney auf viele konservative Hardliner zu liberal, selbst wenn er sich rhetorisch dem republikanischen Mainstream anpasste. Dazu gehörte die viel zitierte „Anti-Establishment“ Attitüde. Nur nahm diese Romney niemand ab, der den klassischen Ostküsten-Adel symbolisierte.

+++ So hat Trump heute Nacht ebenfalls den Vorteil, dass niemand etwas von ihm erwartet. Um es mit der Frankfurter Rundschau zu formulieren. Es reichte schon, wenn er auf „Faktenferne, Lügen, Beleidigungen und Attacken auf seine Konkurrenten und ganze Bevölkerungsgruppen in den USA“ verzichten sollte. Das sollte sogar Trump schaffen. Wobei sich die Zeitung darüber wundert, warum dem Kandidaten seine im Vergleich zu Clinton noch größere Unbeliebtheit nicht schade. Trump muss es aber wirklich nicht interessieren, ob er bei den Amerikanern beliebt ist, die ihn sowieso nicht wählen werden. Clinton ist das aber bei den eigenen Wählern. Das ist ihre Crux.

So glaubt auch die FR, die TV-Duelle entschieden die Wahl. Und sie teilt die Verwunderung in Deutschlands Medien, warum der faktenfern schwadronierende Trump so erfolgreich ist. Reagan galt übrigens auch nicht als Aktenfresser. Aber in Wahlkämpfen geht es nicht um Fakten, sondern ob man ein erfolgversprechendes Thema hat. Und das hat Trump gefunden: Es ist der Widerwille gegen das Washingtoner Establishment. Die FR formuliert das so:

„Im Gegensatz zu Clinton hat Trump keine Erfahrung mit Eins-zu-Eins-Debatten, aber er kennt die Wirkung des Fernsehens. Auch hat er es wie kein zweiter Bewerber verstanden, die Grundstimmung aufzunehmen, die sich in diesem Jahr durch alle Wählerschichten zieht: Der Begriff „politisches Establishment“, dem Clinton zweifelsohne angehört, ist zum Schimpfwort geworden. Den Politikern wird nicht mehr zugetraut, die Probleme des Landes zu lösen. Deshalb ist Trump so erfolgreich – weil er sich als Nicht-Politiker verkauft.“

Romney war mit seiner vergleichbaren Rhetorik dagegen ein schlechter Witz. Obama hatte allerdings mit seiner Kritik an Washington selber die Wahlen des Jahres 2008 gewonnen. Schon damals sah seine innerparteiliche Konkurrentin Hillary Clinton gegen ihn alt aus. Trump verstößt gegen alle Konventionen, die im Washingtoner Establishment üblich sind. Das verschafft ihm eine entsprechende Glaubwürdigkeit bei Teilen der amerikanischen Wählerschaft. Für deutsche Beobachter des Wahlkampfes ist das offensichtlich ein ungeheuerlicher Gedanke. Sie betrachten Trump lieber als den Leibhaftigen und dessen Wähler als bescheuert.

Damit verkennen sie seine Erfolgschancen. So berichtet man auch bei uns über die TV-Duelle als Unterhaltungsformat. Gibt ihnen eine wahlentscheidende Funktion, obwohl noch keine Wahl in den USA durch diese Duelle entschieden worden ist. Sie transportierten bestenfalls das wahlentscheidende Thema. Aber einen Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Medien gibt es doch. Nur bei uns kann man über das bevorstehende TV-Duell im Stil eines Unterhaltungsformats berichten, um sich aber gleichzeitig über Politik als Unterhaltungsformat zu empören. Die Deutschen sind heillose Romantiker geblieben, die immer noch nicht ihren Ideenhimmel mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bringen können. In den USA sollte das kein Problem sein.

+++ Dazu passt dieser Artikel in der Washington Post. Sie hatte bekanntlich die mögliche Begnadigung Edward Snowdens durch den ausscheidenden Präsidenten Obama abgelehnt. Das brachte ihr weltweite Kritik ein. Schließlich gehörte die Post zu den Zeitungen, die einen exclusiven Zugang zu Snowdens Enthüllungen bekommen hatte. Der Autor Paul Farhi verweist nicht nur auf den Pluralismus in seiner eigenen Zeitung, womit man diese Positionierung der Zeitung zu Snowden auch erklären kann. Er wendet sich vor allem gegen die These, Medien als einheitliches Subjekt zu begreifen.

„But this vast array of news and information sources — from the New York Times to Rubber and Plastics News — helps define what’s wrong with referring to “the media.” With so many sources, one-size-fits-all reporting is impossible. Those who work in the media don’t gather in our huddle rooms each morning and light up the teleconference lines with plots to nettle and unsettle you. There is no media in the sense of a conspiracy to tilt perception.“

Medien sind das, was alle konsumieren, um sich zu informieren. Auch über die Medienschelte erfährt man nur etwas durch „die Medien“. Aber es gibt den bekannten sich selbst verstärkenden Effekt, den Farhi so beschreibt.

„And yes, many people tell us “the media” is liberally biased. I suppose it would seem that way since conservative politicians and their supporters have been saying it for decades. Surely, some stories do display a tendency to favor the liberal position. But these are anecdotes. And like all anecdotal “evidence,” they are subject to confirmation bias — the tendency to look for things that reinforce one’s worldview, thus creating a perpetual-motion machine of self-righteousness.“

Nur warum werden in den USA unter „den Medien“ vor allem die mit einer liberalen Ausrichtung gemeint? Offensichtlich konnte sich der heutige konservative Mainstream als Widerstand gegen „die Medien“ profilieren. Oder hat jemand schon gehört, dass die Kritik an Fox News als Kritik an „den Medien“ formuliert worden ist? Dabei ist etwa die Reichweite konservativer und reaktionärer Radio Talkshows gigantisch. Die Rede von „den Medien“ ist in Wirklichkeit ein politischer Kampfbegriff der amerikanischen Rechten. Sie haben damit jene Linke politisch enteignet, die noch vor wenigen Jahrzehnten diese Medien selber als Inbegriff des Establishments verabscheuten. Daran konnten auch die Watergate-Enthüllungen der Washington Post nichts ändern. Was empfiehlt Farhi angesichts dessen desaströsen Vertrauensverlusts „der Medien“? Eine Rückkehr zu journalistischen Grundsätzen.

„In closing, a word of advice: The next time you’re tempted to grumble about “the media” for some perceived trespass against The Truth, subject your grievance to the Five Ws we learned about back in journalism class. Who. What. When. Where. Why. Who said it or wrote it; where did they say it; and so on. (Admittedly, the “why” is the most difficult part of the equation.)“

Damit lässt sich auch plausibel begründen, warum die Post die Begnadigung Edward Snowden ablehnt. Das ist eine Meinung, keine Berichterstattung. Aber jenseits dessen werden wir heute Nacht überprüfen können, ob die Rückkehr zu journalistischen Grundsätzen gelingen wird. Die unzähligen Akteure im Mediensystem, eben nicht „die Medien“, werden wohl hauptsächlich versuchen, die Deutungshoheit zu erringen. Sie interessieren sich nämlich gar nicht für Journalismus.


Altpapierkorb

+++ Dazu folgende Meldung: Die New York Times hat sich für Hillary Clinton als US-Präsidentin ausgesprochen. Wäre auch eine böse Überraschung gewesen, wenn nicht.

+++ Ob Deutschland ebenfalls ein Problem mit "den Medien" hat? Nur wenn man erwarten sollte, es könnte einen deutschen Journalisten geben, der sich für Donald Trump als nächsten US-Präsidenten ausspricht. Die USA sind nicht nur für deutsche Journalisten ein unverständliches Land geblieben. Dieses Unverständnis teilen sie mit vielen Mitbürgern. Aber etwas zu verstehen, heißt ja bekanntlich nicht, etwas für richtig zu halten.

+++ Aber die Kritik an den Medien treibt auch bei uns bisweilen seltsame Blüten. So ist auf Tichys Einblick folgendes zu finden: „Selten haben Verlierer-Parteien ihr Wahlergebnis so verdient wie SPD und Berlin“, so auf Seite Zwo der FAS. Es folgt eine Aufzählung von Hauptstadt-Murks, miese Schulen, Straßen, kranke Beamte. Stimmt ja alles. Man hätte es nur gerne vor der Wahl gelesen, und nicht danach. Aber das ist die Crux des neuen deutschen Journalismus: VOR der Wahl hätte diese Aussage ja der AfD Wähler zutreiben können, also hat man sie nicht geschrieben.“ Da fragt man sich wirklich, welche Zeitungen Roland Tichy vor der Wahl gelesen hat. Es gab nämlich in einem Punkt eine große Übereinstimmung: Die Große Koalition in der Berliner Landespolitik für eine Gurkentruppe zu halten, die ihr Schicksal verdient hat. Es wurden vor der Wahl aller Orten so viele Missstände aufgelistet, dass sich nicht einmal mehr jemand über die Dauerbaustelle Flughafen aufregen wollte.

+++ Wie vielfältig das Mediensystem ist, zeigt die Scheidung des Jahrzehnts. Brangelina ist ein Festmahl nicht nur für die Regenbogenpresse. Alle Medien sitzen ausnahmslos mit am von Angelina Jolie und Brad Pitt reich gedeckten Tisch. Die Gala hat sogar ein Plakat entworfen, um ihre erwartungsvolle Erregung zu dokumentieren.

+++ So stimmt, was die Leipzig School of Media verkündet: Auf die Story kommt es an. In diesem Fall geht es aber um die Möglichkeiten des Datenjournalismus. Daten namens Fakten könnten dagegen bei Brangelina weiterhin Mangelware bleiben.

+++ Um Fakten ging es auch am Samstag Jörg Thomann auf der Medienseite der FAZ. Er hatte vor einer Woche über Anna Maier aus Österreich berichtet. Siehe das Altpapier von Montag vergangener Woche. Frau Maier ist jetzt wieder aufgetaucht: „Gleichwohl behauptete der Chefredakteur uns gegenüber, dass die Geschichte stimme – und in ihrer jüngsten Ausgabe spinnt „Die ganze Woche“ die Sache wirklich weiter. Wieder lässt sich Anna Maier nur von hinten fotografieren, diesmal aber ist sie guter Laune – denn, wer hätte das gedacht, die Eltern haben nun doch damit begonnen, die Facebook-Fotos von Anna aus dem Netz zu nehmen. Zu einem Prozess werde es daher wohl nicht kommen.“ Da sind wir aber beruhigt. Diese Meldung fand übrigens in den Medien kaum Resonanz, die vorher so ausführlich über den nicht stattfindenden Prozeß gegen Facebook berichtet hatten.

+++ Die NZZ berichtet über ein Thema, worüber angeblich „niemand spricht“. Es geht um Medien und die Qualitätsfrage. Wahrscheinlich gibt es kein Thema, worüber so oft gesprochen wird. Aber die NZZ stellt bisher selten gehörte Aspekte zur Diskussion. Über die heute show als Einstiegsdroge schreibt der Tagesspiegel.

+++ Warum man seine Webcam überkleben sollte, weiß der Standard. Dass Apple uns Nachrichten vorlesen will, turi. Außerdem das Handelsblatt über hatespeech. Über die selbstverletzte Würde des Netznutzers erfahren wir etwas von Peter Schneider im Deutschlandradio. Schließlich erklärt uns Heise, wo ein US-Gericht die Grenzen der Meinungsfreiheit erkennt. Es geht um Baupläne für eine Pistole aus dem 3-D-Drucker.

+++ Schließlich noch Nils Minkmar im Spiegel über den verstorbenen Klaus Harpprecht: „Es ging um die drängenden politischen Fragen der Zeit. Vieles erfüllte ihn mit Sorge, aber er war kein Apokalyptiker, sondern ein gelassener Mann, der das Schlimmste nicht ausschloss, während er an der Verbreitung des Guten arbeitete. Man kann nur bedauern, nichts mehr von ihm über den französischen Wahlkampf, Donald Trump oder die Sprache der AfD lesen zu können.“

+++ Was jetzt nicht mehr fehlt? Die Deutsche Welle verklagt die Türkei wegen der geklauten Aufnahmen des Friedman-Interviews mit einem türkischen Minister. Und die österreichische Verlagsgruppe News plant einen drastischen Personalabbau.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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