Verlage, gründet Fahrradverleihe!

Verlage, gründet Fahrradverleihe!
Was macht der „Jesus der achtziger Jahre“? Was bringt einen einst gefragten Schauspieler dazu, zum „Ressortleiter Kunst und Kultur" bei RT Deutsch abzusteigen? Kann das Handelsblatt unabhängig über Unternehmen berichten, die Veranstaltungen der Zeitung sponsern? Außerdem: die FAZ gegen Charles Bronson; die frühen Jahre des Spiegel in Hannover.

Die Vierziger, die Fünfziger, die Sechziger, die Achtziger, die Neunziger - und das beste von heute. So könnte man, in Anlehnung an die branchenübliche Eigenwerbung hiesiger Radiosender, die heutige Altpapier-Kolumne zusammenfassen, denn es gibt gute Gründe, sich heute mit verschiedenen Phasen der bundesdeutschen Mediengeschichte zu befassen.

Zum Beispiel, weil an diesem Montag das Buch zu Lutz Hachmeisters „Der Hannover-Komplex" (siehe Altpapier) erscheint, also „einer der aufschlussreichsten deutschen TV-Dokus seit langem“ (Christian Bartels). Wobei das Druckerzeugnis mehr ist als das Buch zum Film - was sich auch daran festmachen lässt, dass die FAZ es bereits am Samstag besprochen hat. Aus der Altpapier-Perspektive ist an „Hannover: Ein deutsches Machtzentrum“ unter anderem interessant, dass Hachmeister hier auch die Anfangsjahre von Spiegel und Stern in den Blick nimmt, die diese Magazine eben nicht in Hamburg, sondern in Hannover erlebten.

Die Einwände, die die FAZ-Rezensentin Bettina Raddatz gegen das Buch vorbringt, finde ich eher putzig: 

„Bei der Darstellung der Politiker und insbesondere ihrer Bewertung lässt es Hachmeister an Neutralität fehlen“,

schreibt sie zum Beispiel. Wen sollte in diesem Fall mit "Neutralität" gedient sein, und wie könnte die überhaupt aussehen?

Hübsch auch:

„Unerwähnt bleiben auch Albrechts Verdienste um das Privatfernsehen.“

Gemeint ist der frühere niedersächsische Ministerpräsident, der mit Vornamen Ernst hieß und ein Medienpolitik-Hooligan besonderer Kajüte war.

Zur Spiegel-Anfangsphase schreibt Hachmeister in seinem Buch:

„Der frühe Hannover-Spiegel hatte jedenfalls, jenseits einer bloßen stilistischen Kopie von Time, schon alle Elemente eines spezifisch westdeutschen, post-nationalsozialistischen Sturmgeschützes für ein politisch heimatloses und desorientiertes Publikum. Da waren die langen, detailverliebten und letztlich nur für Eingeweihte verständlichen NS-Serien, geschrieben oder vorbereitet von NS-Kadern selbst, das hemmungslose Eintreten für die Reichs-Kriminalpolizisten als Ordnungsmacht in der chaotischen ‚Trizonesien‘-Zeit und Augsteins persönliche Ansprache des „Landser“-Publikums, mit den ‚Jens Daniel‘ und ‚Lieber Spiegel-Leser‘-Kolumnen.“

Ausführlich widmet sich Hachmeister der „bis heute wirkungsvollsten und berühmtesten Spiegel-Serie“, der 

„seinerzeit grundstürzenden Darstellung des Reichstagsbrandes. Die Serie erschien in den Jahren 1959 und 1960, als der Spiegel schon einige Jahre in Hamburg saß, hat aber ihre konzeptionellen Ursprünge fast vollständig in der Niedersachsen-Hauptstadt.“

Es geht dabei um die Reichstagsbrand-Alleintäterthese, mit der der Spiegel bis heute keinen angemessenen Umgang findet. Weiterhin gilt, was die FAS vor zwei Jahren schrieb (siehe dieses Altpapier-Spezial):

"Lange dominierte die These von einem Alleintäter die Wissenschaft (...) Doch die neuste Forschung sieht das anders (...) Wie es aussieht, ist der Reichstagsbrand (...) auf bestem Wege, endlich wieder als eine ungeklärte historische Frage angesehen zu werden."

Auffällig ist ja, dass der Spiegel das 2014 erschienene, mittlerweile maßgebliche Buch des Historikers Benjamin Carter Hett nie besprochen hat (obwohl es in gewisser Hinsicht ein Buch über den Spiegel ist), während vor einem Jahr Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust in seiner Eigenschaft als Herausgeber der Welt-Gruppe „ganze fünf Seiten“ mit und zu Hett „durchsetzte“ (zum Beispiel diesen Artikel), und zwar gegen den Widerstand des Alleintäterthesen-Ultras Sven Felix Kellerhoff, wie die Verdi-Zeitschrift M - Menschen Machen Medien in ihrer Ausgabe 5/15 schrieb. Hochinteressant finde zumindest ich ja, ob Aust in dieser Sache noch weitere Pfeile gegen seinen Ex-Arbeitgeber abzuschießen gedenkt.

Der eben erwähnte Sven Felix Kellerhoff wiederum weiß aktuell in der Welt zu erzählen, „warum sich Ulrike Meinhof wirklich das Leben nahm“. Anlass des Textes ist der 40. Todestags Meinhofs am heutigen Montag. Dieser Todestag ist für eine Medienkolumne insofern von Belang, als sie zu den wirkmächtigen bundesdeutschen Journalisten der 1960er Jahre gehörte - was freilich in Artikeln rund um Jahrestage rund um Meinhof fast immer ausgeblendet wird. Natürlich auch bei Kellerhoff. Insofern bleibt nur der Verweis auf in Buchform erschienene Sammlungen von Meinhof-Artikeln (hier und hier) und die ersten beiden Absätze dieses Blogs.

[+++] In den 1980er Jahren, als Ulrike Meinhof bereits tot war, begann die Karriere des heute 64-jährigen Journalisten Helge Timmerberg, den Boris Pofalla für die FAS porträtiert. „Ich war der Jesus der achtziger Jahre“, lautet die Headline. Timmerberg schrieb seinerzeit unter anderem für den Stern („Es war eines der besten Magazine der Welt, und das Beste waren die Honorare. Das Zweitbeste am Stern waren die Spesen. Sie spielten keine Rolle“).

Pofalla hebt die Unterschiede zu heute hervor. Die Achtziger, schreibt er, waren 

„ein Jahrzehnt, in dem der Journalismus ichfxierter wurde, aber auch interessanter und anarchischer (...) Eine Zeit, in der ein junger Mensch einen Job in einer Zeitung bekam, einfach, indem er hineinspazierte. Und man weiß: die Achtziger sind von heute so weit entfernt wie die Achtziger vom Ende des Zweiten Weltkriegs.“

Der Schauspieler Claude-Oliver Rudolph wiederum hatte seine große Zeit in den 1990er Jahren, als er in den großen TV-Mehrteilern Dieter Wedels („Der Schattenmann“, „Der König von St. Pauli“) mitwirkte. Dass sich der Spiegel in seiner neuen Ausgabe mit ihm beschäftigt (Blende-Link), liegt daran, dass Rudolph gerade zum „Ressortleiter Kunst und Kultur" bei RT Deutsch abgestiegen ist.

Kein anderer Sender zeigte Liveübertragungen der Pegida-Kundgebungen. RT Deutsch ist zum Ereigniskanal besorgter Bürger geworden (...) Während die englische Variante von RT ein Programm bietet, das einem Sender wie CNN kaum nachsteht, ist die deutsche Version bislang weit hinter den Plänen zurückgeblieben. Der Sender produziert nur eine halbe Stunde täglich, zu sehen ist die nur im Internet“,

schreibt Markus Feldenkirchen. Eigentlich passt der Schauspieler ja gar nicht zu einem Sender für besorgte Bürger, denn:

„Ähnlich wie seine neuen russischen Freunde redet auch Rudolph gern von der guten alten Zeit. Er meint dann aber nicht Stalin, sondern die Einstürzenden Neubauten, die Sex Pistols, Iggy Pop.“

Der neue Ressortleiter präsentiert dort auch demnächst eine Kultursendung.

„Auf dem (Show-Schreibtisch) stehen Fotos von Iggy Pop und Sigmund Freud“,

schreibt Feldenkirchen. Freud kann sich nicht mehr wehren, aber Iggy Pop ist ja noch gut zu Fuß.

[+++] Mit RT deutsch wären wir nun endlich direkt in der deutschen Gegenwart angelangt, zumal es vom Pegida-Live-Übertragungssender kein allzu großer Schritt mehr ist zum Pressefreiheitsverständnis von Menschen, die bei Pegida mitlatschen oder mit der „Bewegung“ zumindest sympathisieren. Die Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke schreibt im Pressefreiheits-Schwerpunkt des Magazins journalist (Blendle-Link): 

„Die rechte Straßenbewegung unterstellt Zensur, fordert lauthals Pressefreiheit. Rechtspopulisten und Neonazis gewähren sie selbst jedoch nicht. Ihr Ziel ist es zu bestimmen, was Presse darf und was nicht. Noch vor wenigen Jahren war es nur die NPD, die Hausverbote erteilte. Nun gehören Selektionen von Journalisten auch bei der AfD dazu. Die taz Nord berichtete Mitte April über eine interne ‚Sperrliste‘ unliebsamer Journalisten, denen beim Landesparteitag der AfD in Schleswig-Holstein der Zutritt verweigert werden sollte. Auf dieser Liste standen Mitarbeiter der taz, des NDR, sowie ein freier Kollege, eine Buchautorin, ein Fotograf und ein (...) Vertreter des DJV. Dass auch mein Name dazugehörte, war nicht überraschend. Mich hatte die Partei bereits zwei Mal, in Bremen und Demmin, herausgeworfen.“

Eine instruktive Passage möglicherweise für jene, die immer noch meinen, fragen zu müssen, wie man mit der AfD „umgehen“ soll. Und noch etwas zum Thema Pressefreiheit: ein in der taz erschienener Überblick über hiesige Ermittlungsverfahren gegen Journalisten in der jüngeren Vergangenheit (Disclosure: Der Text ist von mir).

[+++] Gerade erst feierte der Medienwissenschafter Michael Haller sein Altpapier-Comeback, und heute kommt man auch nicht vorbei an dem Veteran. Der Tagesspiegel hat mit ihm über verschiedene Strategien der Sächsischen Zeitung gesprochen, die Haller lobenswert findet. Dieser hebt zum Beispiel den kürzlich (siehe Altpapier) gestarteten Anti-Lügenpresse-Blog hervor. Und, um mal ein ganz anderes Beispiel zu erwähnen, dass „der Verlag das Reader-Scan-Verfahren weiterentwickelt zu einem eigenen System mit dem Namen ‚Lesewert‘“.

Im Kern geht es darum, dass auch Maßnahmen, die mit Journalismus nichts zu tun haben, helfen könnten, um die Glaubwürdigkeit zu stärken: 

„Den harten Kern der ‚Lügenpresse‘-Skandierer schätzt Haller im Ballungsraum Dresden auf vielleicht noch ein paar Hundert. ‚Das nervt inzwischen einen wachsenden Teil der Dresdner Einwohner, die sich an die Seite der Zeitung stellen‘, so Haller (...) Die Stärke der Sächsischen Zeitung in ihrem Markt hat jedoch auch verlegerische Gründe. ‚Es ist der Zeitung in den zurückliegenden zehn, fünfzehn Jahren gelungen, die Marke mit einer Korona von Dienstleistungen zu umgeben, die das Image von Verlag und Zeitung stärken. Das reicht vom Fahrradverleih über ein gut gemanagtes Reisebüro und eine Werbeagentur bis zu einem Taxibetrieb‘, erläutert Haller das wirtschaftliche Konzept. Die Idee dahinter: Wenn schon ein aufwändiges Kunden-, Abonnenten- und Vertriebssystem betrieben wird, dann sollte man diese Infrastruktur sinnvoll erweitern und für weitere Dienstleistungen nutzen. ‚Der Verlag macht aus dem Zeitungshaus den Medien- und Kommunikationsexperten der Region‘, sagt Haller.“

Schön und gut, wir gönnen es ja Gruner + Jahr und der SPD - denen die Sächsische Zeitung gehört -, dass sie mit einem Fahrradverleih und einem Taxibetrieb Geld verdienen. Aber: Herrschte, außer bei Branchendienstheinis, bisher nicht Skepsis gegenüber solchen Nebengeschäften vor? Oder macht es einen Unterschied, ob Burda Tierfutter verkauft und eine G+J-Regionalzeitung Fahrräder verleiht? Ich frage ja nur. 

Gespannt bin ich jedenfalls auf die erste Geschichte über einen sich aus Überlebensgründen als Taxifahrer verdingenden Journalisten, der in seinem neuen Job für einen Verlag tätig ist.


Altpapierkorb

+++ Jürgen Gottschlich, der Türkei-Korrespondent der taz, schreibt über Can Dündar, den am Freitag verurteilten Cumhüriyet-Chefredakteur„(Er) ist der Prototyp der modernen, säkularen Türkei, weit mehr als alle türkischen Oppositionspolitiker, die diesen Teil der Gesellschaft zu vertreten vorgeben. Dündar ist gebildet, er hat an den renommiertesten Universitäten Ankaras studiert und darüber hinaus einen Master in Journalismus in London gemacht. Er ist weltgewandt, er sieht gut aus, er ist ein Hedonist, der das Leben und die Frauen liebt und er ist mutig. Er ist auch nicht nur Journalist. Er hat etliche Filme gemacht und Bücher geschrieben, die über den Tagesjournalismus hinausgehen.“

+++ Deniz Yücel (Die Welt) hat mit Dündars Kollegen, dem ebenfalls verurteilten Erdem Gül, gesprochen: „Fünf Jahre und zehn Monate für Can Dündar, fünf Jahre für Sie. Ist das mehr oder weniger, als Sie erwartet haben?“ - „Das Strafmaß, das die Anklage ursprünglich gefordert hatte – einmal ‚lebenslänglich‘, ein weiteres Mal ‚lebenslänglich‘ mit besonderer Schwere der Schuld und zusätzlich 42 Jahre –, war absolut außergewöhnlich, ebenso der Umstand, dass ein Haftbefehl verhängt wurde und die Verhandlungen zuletzt unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Andererseits wurden im Laufe der Verhandlung die meisten Anklagepunkte fallen gelassen, zuletzt der Vorwurf auf Spionage. Aber es waren Politiker, die die Anklageschrift geschrieben haben. Und auch das Urteil ist ein politisches.

+++ „Eben erst hat Linda Weritz im Berliner Tempodrom gezeigt, wie sie es in wenigen Minuten schafft, dass ihr ein fremdes Pferd folgt. Sie hat dem Tier zunächst Platz gelassen. Sie hat, als es den Kopf senkte, ihren eigenen Körper gestrafft. Und sie hat ihm, als es Vertrauen fasste, über den Nacken gestreichelt. Nun steht die Pferdetrainerin neben dem Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, und beide stellen sich den Fragen von Gabor Steingart, dem Herausgeber des Handelsblatts. Ob das Führen mit harter Hand noch in die heutige Zeit passt? Wie man zu Höchstleistungen anspornt, wie auf Fehler reagiert? Auf den Zuschauerrängen sitzt der Nachwuchs der deutschen Wirtschaftselite und lauscht andächtig.“ So steigt Varinia Bernau in ihren heutigen SZ-Medienseitenaufmacher ein. Es geht um die „jährlich mehr als 200 Veranstaltungen, die das Handelsblatt ausrichtet“, die insofern Fragen aufwerfen, als „Unternehmen, über die das Handelsblatt berichtet“, diese Veranstaltungen sponsern.

+++ Für jene, die am sonnigen Wochenende noch keine Zeit fanden, das „Manifest“ John Does zu lesen, also des anonymen Panama-Papers-Informanten, das die SZ am Samstag auf einer ganzen Seite veröffentlichte: „Neben der Süddeutschen Zeitung und dem ICIJ hatten, entgegen anderslautenden Behauptungen, auch Redakteure großer Medien Dokumente aus den Panama Papers vorliegen - und entschieden, nicht darüber zu berichten. Die traurige Wahrheit ist, dass einige der prominentesten und fähigsten Medienorganisationen der Welt nicht daran interessiert waren, über diese Geschichte zu berichten“, schreibt John Doe dort unter anderem, und interessant ist an dieser Formulierung, dass er die SZ offensichtlich nicht zu den „großen Medien“ zählt.

+++ Vom Ende der vergangenen Woche nachzureichen: Wie sehr es die FAZ wurmt, dass sie immer mal wieder in der neben vielem anderen auch justizberichterstattungskritischen Zeit-Online-Kolumne des BGH-Richters Thomas Fischer angegriffen wird - zum Beispiel in dieser, in der Fischer konstatiert, "die Gesetzeskundigkeit" von FAZ und FAS offenbare „zunehmend bedenkliche Lücken“ (Altpapier) - zeigt ein Artikel von FAZ-Herausgeber Berthold Kohler. „Ein Richter sieht rot“ oder auch „Rambo V bis MLXII“ wären bessere Kolumnentitel als „Fischer im Recht“, wettert Kohler, dem zudem noch die Formulierungen „hollywoodreife Ausbrüche von Selbstjustiz“, „Haustroll“, „ein System der publizistischen Paralleljustiz, das in Deutschland seinesgleichen sucht“, „Charles Bronson der Richtkunst“ und „Ankläger, Richter und Henker in einer Person“ eingefallen sind. Wie so oft, wenn jemand aus einer eigenen Betroffenheit heraus gegen einen Polemiker anpolemisiert, geht das in die Hose, was in diesem Fall natürlich auch damit zu tun hat, dass Kohler wesentlich schlechter schreibt als Fischer.

+++ Hans Hoff lobt in seiner „Hoff am Sonntag“ bei dwdl.de „So! Muncu!“, die N-TV-Talkshow Serdar Somuncus. Dieser „karikiert (...) mit seinen Aktionen die Machenschaften des handelsüblichen Talks. Er ist irgendetwas sehr Originelles im weiten Feld zwischen Michel Friedman und Maybrit Illner. Deckungsgleich mit niemandem, meint Hoff.

+++ Die Berner Zeitung hat sich mit der freien ARD- und ZDF-Autorin Tina Soliman unterhalten, die seit vielen Jahren „mit Menschen im Gespräch (ist), die plötzlich ohne Erklärung aus dem Leben ihres besten Freundes, ihrer Eltern, ihres Partners verschwinden“

+++ Sir David Attenborough als eine der Galionsfiguren des Fernsehens weltweit zu bezeichnen, ist wohl nicht vermessen, auch wenn mir die Abgedroschenheit der Begriffs „Galionsfigur“ natürlich bewusst ist. Am Sonntag ist der Naturfilmer 90 Jahre alt geworden. Gina Thomas preist ihn in der FAZ unter der Überschrift „Er macht uns Staunen über die Wunder der Welt“: „Als Vertreter der alten Bildungswerte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen könnte man ihn im Zeitalter der Promi-Kultur selbst als eine der vom Aussterben bedrohten Arten bezeichnen, denen er bis heute an den entlegensten Plätzen der Erde nachspürt.“

+++ Das Zeug zu einer Galionsfigur des gegenwärtigen öffentlich-rechtlichen Fernsehens hätte der Grimme-Preisträger Constantin Schreiber, der allerdings für einen nicht-öffentlich-rechtlichen Sender arbeitet, nämlich N-TV. Im Juni startet dort die Talkshow "Schreiber vor Ort", produziert von derselben Firma, die auch die gerade erwähnte „So! Muncu!“ produziert. dwdl.de berichtet.

+++ Heute im öffentlich-rechtlichen Fernsehen unter anderem: der ZDF-Film „Der Bankraub“, der die „Banken- als Vater-Sohn-Krise erzählt“ (SZ). „Im Jahr acht nach der Lehman-Pleite sind diese Schicksale Teil der vielen medialen Anläufe, zu erklären, was damals geschah, auf dem US-Häusermarkt, im internationalen Finanzwesen. Die Krise ist ideales Geschichtenmaterial, doch alle stehen vor dem gleichen Dilemma: Wie erklärt man eine Welt, die selbst manche, die daran teilhaben, nicht begreifen? Wie erzählt man von Bankern, ohne mit Begriffen wie 'Credit Default Swaps' zu langweilen?“, schreibt Lea Hampel, die dem Film nicht allzu viel abgewinnen kann. Oliver Jungen (FAZ) kann es erst recht nicht: „Das muss man erst einmal hinbekommen, plakativer zu sein als Brechts ‚Mahagonny‘, aber dazu gänzlich saft- und kraftlos. Der Regie von Urs Egger gelingt es mühelos. Es wirkt, als wäre jede Szene auf ihre Aussagefähigkeit hin optimiert worden: engagiertes Fernsehen alter Schule, das alle dramaturgischen Gesetze besten Gewissens missachtet.“ Ulla Hanselmann (Stuttgarter Zeitung) meint dagegen: „‚Der Bankraub‘ ist (...) zwar ein sogenannter Themenfilm, der von einer anschließenden Dokumentation begleitet wird, aber er ist (...) mit durchweg glaubwürdigen Charakteren ausgestattet.“ 

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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