Und ewig lockt die Bundestagsdebatte

Und ewig lockt die Bundestagsdebatte
Die Republica erfüllt schon vor ihrem Start alle Erwartungen. „Kaffee oder Tee“ gehört zu Deutschland, oder zumindest zu dessen öffentlich-rechtlichem Angebot. Lügenpresse-Rufer wollen, dass die Presse lügt. Die 10b hat noch eine Meinung zu Jan Böhmermann. Günter Wallraff freut sich, dass er endlich wieder verklagt wird. Eine Doku über Hannover ist wie Hannover: Sie hinterlässt einen ratlos.

Auf die Besucher der wahlweise Blogger-Konferenz, Internet-Konferenz, Netzkultur-Konferenz oder, neu verfügbar, Konsens-Internet-Konferenz ist einfach Verlass:

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Die erste Regel der ultimativen Twitteranleitung für die heute beginnende Republica, die Netzkolumnistin Angela Gruber in ihr Blog gestellt hat und die die Dokumentation der Anreise via Twitter vorschreibt, können wir damit guten Gewissens als erfüllt ansehen. (Obwohl dort von Fotos die Rede ist – aber anders als Buchstaben können wir diese hier bislang schwer einbetten – sehen sie es als eine Hommage an die #rpONE.) Wenn Sie wissen wollen, was Sie in den kommenden Tagen twittern sollten oder bei Twitter lesend zu erwarten haben, lohnt sich also ein Blick nach nebenan.

(„2. Mach deutlich, dass du zu den Coolkids der Konferenz gehörst.“

„4. Twittere über deine Gespräche“

„5. Thematisiere die FILTERBLASE (Vorhandensein von/Abwesenheit der)“)

Falls Sie statt im Hof stehen und cool sein tatsächlich eine der Sessions besuchen sollen wollten, hat das Bildblog zusammengetragen, was andere als empfehlenswert zusammengetragen haben. Nur eins brauchen Sie nicht mehr zu versuchen: Den republicasten Blogbeitrag von allen zu schreiben. Der ist bereits erschienen, und zwar im Blog von Richard Gutjahr:

„Durch Zufall bin ich bei einem Einkaufsbummel auf eine neue Webcam-Abdeckung aufmerksam geworden. Ich war so begeistert über meinen Fund, dass ich noch am selben Abend darüber auf Snapchat snappte. Ein kleiner,unaufgeregter Film, in dem ich das Metall-Teil an meinem MacBook anbrachte und testete. Was dann geschah, ist eine Geschichte, wie sie nur das Internet schreiben kann“.

Wo andere ein günstiges Paar Schuhe finden, nämlich durch Zufall beim Einkaufsbummel, ein Special-Interest-Technikdings aufzutun, darüber bei Snapchat zu berichten und diese Verwendung der neuesten Technik gleichzeitig herunterzuspielen, zudem den Klapprechner aus dem Hause Apple in der vom Produzenten vorgesehen Schreibweise zu erwähnen (undenkbar, dass solche Geschichten mit dem fünf Jahre alten Acer passieren), und dann in einem Heftig.co-Gedächtnis-Cliffhanger zu enden: Wow.  

Die Geschichte, die nur das Internet schreiben kann, führt übrigens zum kostenlosen Verschenken von etwa zwölf Kilo der angesprochenen Webcam-Abdeckungen.

Yeah! Echt Internet. 

[+++] Eine Partei, die sich in Zeiten zurücksehnt, in der der Medienkonsum noch in Volksempfänger-Geschwindigkeit von statten ging, tagte am Wochenende, was Sie so ziemlich überall nachlesen können. Nur in der Süddeutschen Zeitung vom Wochenende stellte sich hingegen Carolin Emcke der Herausforderung, schon heute zu antizipieren, wie eine Medienwelt von Gnaden der AfD wohl aussehen würde.

„Da sich eine staatliche Informationsversorgung nach ihrem Modell noch nicht betrachten lässt, bleibt mir nur eine Versuchsanordnung, in der es den von der AfD abgelehnten öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr gibt. Ich werde also zwölf Stunden lang nur Privatfernsehen schauen“,

beschreibt sie ihre Versuchsanordnung, und dann folgt genau das, was man erwartet, wenn SZ-Mitarbeiter das erste Mal in ihrem Leben die Zahlen jenseits der „5“ (auf „4“ und „5“ liegen selbstredend Arte und 3sat) auf der Fernbedienung bemühen: Sie findet es schrecklich.

Beispielsatz:

„Ich starte, aus reiner Ahnungslosigkeit, mit RTL ,Guten Morgen Deutschland’. Nachrichten immerhin, denke ich, und verfolge dann ein Gespräch zwischen zwei Moderatoren unter der Kategorie VIP: Britney Spears hat ihre Drogensucht gestanden, Cora Schumacher trennt sich von ihrem Polizisten; es ist 7.39 Uhr, und so viel Tee kann ich gar nicht trinken, wie nötig wäre, um das auszuhalten.“

So weit, so erwartbar. Spannend hingegen ist, was sie dagegen als wahren Quell der Freude und der Hochkultur identifiziert:

„Das Experiment ,Fernsehen-wie-es-sich-die-Wahrer-der-Deutschen-Leitkultur-wohl-vorstellen’ beginnt morgens um sieben Uhr. Ein letzter Abschied vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein letztes Mal die geliebten Nachrichten im Deutschlandfunk. Quasi der letzte Schuss vor dem Entzug.“

Oder auch:

„Beim Zappen besteht die Gefahr, dass man an den verlockenden Programmen der Öffentlich-Rechtlichen vorbei muss: Auf ZDF Info läuft eine halbstündige Dokumentation über TTIP, von neun Uhr an überträgt Phoenix live aus dem Bundestag.“

Solches Lob freut die Rechercheverbunds-Kollegen der SZ sicher ungemein. Aber so lange da unter „verlockenden Programmen der Öffentlich-Rechtlichen“ nicht „die wunderbare Bastelanleitung für Teelichter aus dem Trendmaterial Korkstoff bei ,Kaffee oder Tee’ im SWR“ steht, oder „die bezaubernd-erhellende, einstündige Reportage „Mit Schrubber, Shampoo und System - Frühjahrsputzer unterwegs“ des NDR („Daniel Joachim ist Staubsaugervertreter. Er muss davon leben, möglichst viele Exemplare an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen. Gelingt ihm das?“), muss dieses Loblied leider wegen selektiver Wahrnehmung disqualifiziert werden.

[+++] Höchste Zeit für etwas, dass so nicht zu erwarten war: Die Bild am Sonntag hat sich in ihrer gestrigen Ausgabe dazu entschieden, Ihren „lieben Lesern“ acht Versprechen zu geben, damit diese endlich aufhören, die Zeitung und ihre Mitarbeiter als „Lügenpresse“ zu titulieren (Blendle-Link). Zwar handelt es sich dabei im Grunde um ein Bekenntnis zu journalistischen Selbstverständlichkeiten, aber wenn in einem Produkt aus dem Hause Bild plötzlich Sätze stehen wie

„1. Wir sind der Wahrheit verpflichtet und unserem Gewissen. Niemandem sonst. Nicht der Politik, nicht der Wirtschaft. Artikel können von niemandem ,gekauft’ oder ,bestellt’ werden. Die Themenauswahl wird von der Redaktion getroffen. Wir sind unabhängig und frei in unserer Entscheidung“,

erscheint das schon bemerkenswert. Um den Auflagensinkflug zu stoppen, werden offenbar keine Kosten und Mühen gescheut. Nicht einmal die Anschaffung eines Gewissens (weil das so teuer ist, müssen sich die Redakteure jedoch eins teilen).

Meanwhile, back at the Magazin Spiegel hat Jan Fleischhauer eine Theorie zu den „Lügenpresse“-Rufern, nach der diese auch nicht mit Versprechungen von ihrer Haltung abzubringen sein dürften (Blendle-Link):

„Man sieht das Phänomen auch bei den Demonstrationen gegen die sogenannte Lügenpresse. Was die Leute meinen, wenn sie von Lügenpresse sprechen, ist, dass sie in der Zeitung auf Texte stoßen, die andere Dinge für richtig halten als sie selbst. Bei Artikeln, die die eigene Meinung bestätigen, beklagt sich nie einer über die Arbeit der Medien. Es sieht so aus, als ob das AfD-Denken in Deutschland sehr viel weiter verbreitet ist, als man vermuten sollte.“

Damit die Lügenpresse-Rufen nicht mehr Lügenpresse rufen, müsste die Presse folglich lügen, etwa über die Gewaltbereitschaft von Flüchtlingen. Oder jene müssten lernen, andere Meinungen zu akzeptieren.

Trotz aller Versprechungen: Es bleibt kompliziert.

 [+++] Der tägliche Jan Böhmermann kommt heute von der 10b des Wilhelm-Hausenstein-Gymnasiums im badischen Durmersheim.

„Vor jedem Schüler liegt nun Böhmermanns Schmähgedicht. Anfängliche Skepsis.

,Schon beleidigend.’

,Wörter, die man nicht verwenden sollte.’

,Nicht zielführend.’

Maren aus der ersten Reihe bemängelt, Böhmermann hätte lieber konstruktive Kritik äußern sollen, damit hätte Erdoğan mehr anfangen können.

Alina kontert: ,Satire ist nicht konstruktiv.’ Niklas sagt, dann hätten die Zuschauer umgeschaltet.“

Zehntklässler begreifen, was dem türkischen Präsidenten unverständlich blieb: Nachzulesen ist diese Erkenntnis dank Alexander Kühn im aktuellen Spiegel (Blendle-Link).


Altpapierkorb

+++ Die Polizei soll am Rande des AfD-Parteitags hart gegen Journalisten vorgegangen sein, berichtet der SWR. +++

+++ Ein Interview mit dem früheren Focus-Redakteur und jetzigen AfD-Sprecher Michael Klonovsky hat die taz. Aus dessen Mund klingt die Fleischhauersche Theorie wie folgt „Eine meiner bescheidenen Aufgaben wird darin bestehen, an der Reduzierung der Euphemismen zu arbeiten, die in der hiesigen Öffentlichkeit zirkulieren und die Wahrheit vernebeln. Die geistige Atmosphäre in Deutschland ist stickig geworden, ständig sind Wohlmeinende damit beschäftigt, Falschmeiner ausfindig zu machen und zu denunzieren, statt sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen. Der AfD fällt derzeit mindestens die Rolle zu, das Land zum demokratischen Normalzustand halbwegs tabulosen Debattierens zurückzuführen. Da ich ein Debattierer bin, kann ich dabei behilflich sein.“ +++

+++ „Na endlich!“ ist jetzt nicht unbedingt die Reaktion, die man von einem Journalisten nach einer Klage gegen die eigene Arbeit erwartet. Aber in Kombination mit der Erklärung, die Günter Wallraff dem Ausruf im Interview mit der Schweiz am Sonntag folgen lässt, macht sie natürlich Sinn: „In letzter Zeit wurden wir nur noch gelobt und gewannen Preise. Ich befürchtete schon, vereinnahmt zu werden. Dass nun, nachdem wir eingeschleusten Journalistinnen mit versteckter Kamera gravierende Missstände beim privaten Krankenhausbetreiber Helios und beim Versandhändler Zalando aufgezeigt haben, wieder geklagt wird, zeigt: unsere Recherchen treffen den Nerv und bewirken etwas.“ +++

+++ Der österreichische Standard hat derweil den diesjährigen Pulitzer-Preisträger Daniel Etter zu seiner aktuellen Arbeit als Fotograf der Flüchtlingskrise interviewt. „Wenn Kinder zwischen der Türkei und Griechenland ertrinken, ich in keiner Weise helfen kann, aber mit dieser Realität konfrontiert werde, habe ich den Anspruch, das zu dokumentieren. Dokumentiere ich es nicht, habe ich meine Rechtfertigung verloren. Ich bereue öfter, etwas nicht zu fotografiert zu haben. Was man davon später veröffentlicht, ist eine andere Entscheidung, die oft komplizierter ist als zu fotografieren.“ +++

+++ Pressefreiheit I: „In der Türkei ist der Chefredakteur eines pro-kurdischen Fernsehsenders wegen der Veröffentlichung von Kurznachrichten auf seinem Twitter-Konto festgenommen worden“, vermeldet der Standard. +++

+++ Pressefreiheit II: „,Unser großes Problem ist die Selbstzensur’, sagt die Abgeordnete Claudia Mo: ,Sie wächst wie ein Geschwür. Fast alle Medien hier gehören mittlerweile Tycoonen, die beste Geschäftsbeziehungen in China haben. Eigentlich kannst du die Medien hier heute fast komplett vergessen. Sie sind alle handzahm.’ Die Unternehmer fürchten um ihre Geschäfte in China, ihre Verlage haben Angst vor dem Anzeigenboykott chinesischer und chinafreundlicher Unternehmen“, schreiben Christoph Giesen und Kai Strittmatter auf der SZ Medienseite über die Hongkonger Zeitungslandschaft. +++

+++ Das Hamburger Abendblatt fährt mit dem St-Pauli-Blog sein hyperlokales Engagement zurück, und in den Kommentaren zur Verkündung formuliert Andreas Gries von der hyperlokalen Elbmelancholie eine Theorie, woran das liegen könnte: „Wäre die Entscheidung auch so ausgefallen, wenn einige der Hyperlokalen Kollegen derzeit noch aktiver sein könnten? Oder lehnt man sich jetzt wieder zurück? Das wäre sehr schade. Ich weiß nicht ob wirklich versucht wurde, dieses Blog eigenständig zu vermarkten oder ob es eher darum ging, ,auch etwas hyperlokales’ zu machen, quasi aus verlagspolitischer Sicht.“ +++

+++ Kein ganz neues Thema, aber solange sich da nichts tut, muss man es wohl immer wieder aufschreiben: „Ich habe gelernt, dass deutsche Talkshows Probleme mit Frauen haben. Oder besser gesagt: mit fehlenden Frauen. In vier Shows saßen auf 19 Bescheidwisserplätzen gerade mal vier Frauen. Übrigens in der Woche, in die auch der ,Girls Day’ fiel.“ Den Job des kritischen Mahners hat diesmal Hans Hoff bei DWDL übernommen. +++

+++ Wer schon immer darauf gewartet hat, sein Wissen in Medienethik in einem Quiz unter Beweis stellen zu können, für den hat die Kölner Journalismus-Professorin Marlis Prinzing bei Zeit Online ein „Beat the Prof“ (Was ist das eigentlich für ein Name?!) zum Thema erstellt. +++

+++ Im Übermedien-Podcast sprechen Stefan Niggemeier und Sascha Lobo 52 Minuten 51 lang darüber, wie reflexhaft öffentliche Debatten mittlerweile ablaufen. +++

+++ Wie es im Gegendarstellungskampf Günther Jauch versus das People-Magazin Closer aktuell steht, weiß Thomas Schmoll von kress.de. +++

+++ „Diese Reportage nimmt sich viel Zeit, ihr Autor Lutz Hachmeister hat im Archiv einen enormen Aufwand betrieben und viele Interviews geführt, aber nach 90Minuten bleibt das zurück, was immer bleibt, wenn es um Hannover geht: eine gewisse Ratlosigkeit“, schreibt Nico Fried auf der Medienseite der SZ über den Dokumentarfilm „Der Hannover-Komplex“, der um 22.45 Uhr in der ARD läuft. In der FAS meint hingegen Anna Prizkau: „Neunzig Minuten lang geht es um Wahlkämpfe der Männer, um andere Kämpfe, um ihre Stärken, Schwächen, Fehler, und dann auch immer wieder um die anderen Männer, die in Hannover Business machten oder Politik – so spannend und so konzentriert erzählt, dass man sogar vergisst, dass dieser Film ein Film über Hannover ist.“  Und für den Tagesspiegel hat Sabine Sasse Lutz Hachmeister interviewt. +++

Der Altpapierkorb füllt sich wieder am Dienstag.

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