US-Soziologe gibt Evangelikalen Mitschuld an Erstürmung des Kapitols

Ausschreitungen im Kapitol
© Miguel Juarez Lugo/Zuma Press/dpa
Ein Demonstrant schreit im Inneren des US-Kapitols, nachdem Anhänger von US-Präsident Donald Trump das Gebäude gestürmt hatten, in dem die Abgeordneten den Sieg des designierten Präsidenten Joe Biden bei der Wahl im November bestätigen sollten.
US-Soziologe gibt Evangelikalen Mitschuld an Erstürmung des Kapitols
Bei der gewaltsamen Stürmung des US-Kapitols durch Anhänger von Präsident Donald Trump sieht der US-Religionssoziologen Philip Gorski auch eine Mitverantwortung evangelikaler Christen. Gorski, der an der Yale Universität (New Haven) Soziologie lehrt, sagte dem epd, bei dieser Gruppierung hätten nationalistische Tendenzen in den letzten Jahren zugenommen.
08.01.2021
epd
epd-Gespräch: Christine Süß-Demuth

Einige Aufrührer hatten Schilder mit der Aufschrift "Jesus2020", "Jesus saves" oder "Nancy Pelosi is Satan" gezeigt. Außerdem hatten sie vor dem Kapitol ein riesiges Holzkreuz aufgestellt. "In Trumps Amerika hat der Evangelikalismus zu einer Art Autoritarismus geführt", sagte der Wissenschaftler. Außerdem gebe es Verbindungen zu bewaffneten Bürgerwehren, den sogenannten Milizen, und zur Verschwörungsbewegung QAnon. Diese gefährliche Radikalisierung sei von vielen unterschätzt worden.

Jetzt müssten vor allen Dingen die einflussreichen, führenden Evangelikalen wie der evangelikale Pastor Franklin Graham und der Präsident der Universität "Southern Baptist Theological Seminary", Albert Mohler, ihre "Komplizenschaft anerkennen" und dafür auch Buße tun, forderte Gorski. Sie hatten immer wieder gefordert, Trump mit aller Kraft zu unterstützen.

Für den US-Religionssoziologen Philip Gorski war die Stürmung des US-Kapitols nicht überraschend.

Auch generell sollten sich die weißen Christen dem verdrängten, aber großen Einfluss der "White Supremcy", der Vorherrschaft der Weißen, auf ihre Theologie und ihre Kirchen stellen. Sie müssten auch dem systematischen Rassismus in der US-Gesellschaft mit allen Kräften entgegenwirken. Gorski bezweifelt jedoch, dass sie den Mut dazu haben werden. Dies würde bewirken, dass sich viele junge Evangelikale vom Evangelikalismus distanzieren und eine post-evangelikale Bewegung aufbauen.

Die Gewalt im Kapitol nannte Gorski nicht überraschend. "Ich habe von vornherein - schon 2016 - vor einem Putsch-Versuch gewarnt, und der ist am Mittwoch auch eingetreten, wiewohl auch gescheitert", sagte Gorski. Der Versuch sei nur deshalb misslungen, weil Trumps Stil die Führungsgremien des Militärs, der CIA und des FBI befremdet hatte und sie sich nicht auf seine Seite stellten.

Trump-Anhänger waren am Mittwoch in das Kapitol eingedrungen, wo die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats in einer gemeinsamen Sitzung den Wahlsieg von Joe Biden bei der US-Präsidentschaftswahl von Anfang November bestätigen sollten. Die Sitzung wurde für mehrere Stunden unterbrochen.

Bambergs Erzbischof: Evangelikale spielen keine gute Rolle

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick forderte nach der Erstürmung des US-Kapitols die Christen auf, ihren Beitrag zu friedlichen Konfliktlösungen zu leisten. "Einige evangelikale Gruppen haben keine gute Rolle in den letzten Jahren in den USA und auch anderswo gespielt", erklärte Schick am Freitag. "Sie haben sich zum Steigbügelhalter von Politikern degradiert, deren Politik eigentlich einen Widerspruch aus dem Evangelium fordert." Die Trennung von Religion und Politik, von Staaten und Religionsgemeinschaften müsse ein Grundprinzip sein.

Zugleich rief Schick, der auch Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz ist, dazu auf, sich nicht auf US-Präsident Donald Trump zu fixieren. Dieser habe zwar "Unsägliches angerichtet und befördert". Er sei aber nicht das einzige Staatsoberhaupt, das die Spaltung der Gesellschaft im eigenen Land befeuert habe. "Vielen werden gleich x Staatsmänner in Amerika, Europa, Afrika und Asien einfallen, die Gleiches tun." Der Sturm auf das US-Kapitol am Mittwoch sei der Höhepunkt einer Reihe von Angriffen auf Parlamente und Sitzungen von Abgeordneten auf der ganzen Welt in den letzten Jahren. "Deutschland gehört leider Gottes auch dazu", sagte Schick.