Spuren des Hasses statt prächtiger Schätze

Nürnberger Sebalduskirche
© epd-bild/Jutta Olschewski
Das Weltgerichtsportal und das Marienkrönungsportal sind neben schmähenden Kunstwerken an der der Nürnberger Sebalduskirche zu sehen.
Spuren des Hasses statt prächtiger Schätze
Die Spottplastik der "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche hat für viel Aufregung gesorgt. Auch in Nürnberg gibt es eine solche Figur. Sie und andere schmähende Kunstwerke zeigt ein Pfarrer Gästen und Einheimischen bei einer speziellen Führung.
05.08.2019
epd
Daniel Schneider

Konzentriert blicken die Menschen an der Außenfassade der Sebalduskirche empor. "Sehen Sie die längliche Steinfigur?" fragt Axel Töllner die Umstehenden. Früher war er Gäste- und Touristenpfarrer für St. Sebald, jetzt ist er Beauftragter für christlich-jüdischen Dialog in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. "Das ist die Nürnberger Judensau, der absolute Tiefpunkt der europäischen Kunst."

Die Frauen und Männer um ihn herum betrachten das in etwa sieben Metern Höhe angebrachte steinerne Schwein. Zwei als Juden erkennbare Menschen saugen an den Zitzen des Tieres, ein dritter hält ihm eine Fressschale hin, ein weiterer fängt mit einem Topf Exkremente auf. "Unheilsspuren - Mittelalterliche Darstellungen von Juden in Nürnberger Kirchen" ist die Führung überschrieben, die Töllner leitet. Für ihn, der sich schon lange mit dem christlich-jüdischen Verhältnis beschäftigt, ist sie eine Herzensangelegenheit. Nun zeigt er den Interessierten judenfeindliche Bilder in Kirchenfenstern, Eingangsportalen und Altären.

Hetzbilder schon früh verankert

Dass die Nachfrage so groß sei, habe er nicht erwartet. "Die Führung war schon nach kurzer Zeit ausgebucht", erklärt Töllner nach der ersten Veranstaltung im Frühjahr. Mit dem Thema scheint er also einen Nerv getroffen zu haben. "Über die Judenfeindlichkeit im 20. Jahrhundert weiß ich durch das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ganz gut Bescheid", erläutert als Besucher der 28-jährige Martin seine Motivation. "Aber dass es Antisemitismus auch in Kirchen gibt, wusste ich bis jetzt noch gar nicht."

Töllner entschuldigt sich schon im Vornherein bei den Teilnehmern. "Wir könnten jetzt über die ganzen schönen Kirchenschätze reden", sagt er. "Über den Engelsgruß oder das Sakramentshäuschen von Adam Kraft." Aber er werde ihnen jetzt "die hässlichen, verletzenden und beschämenden Seiten" der Kirchen zeigen, warnt er seine Besucher vor. "Das ist eine Tour, die man nicht jeden Tag macht", gibt er zu. "Das hängt einem ziemlich nach." Deswegen finde die Führung nur an ausgewählten Terminen statt.

Der Kindermord von Bethlehem, Detail des Dreikönigsaltars von Hans Pleydenwurff.

Die Teilnehmer sind bedrückt, aber auch gebannt, wie sich der christliche Antisemitismus durch die Jahrhunderte zieht. Mit einer Taschenlampe leuchtet Töllner auf ein Bild des Dreikönigsaltars in der Lorenzkirche. Hans Pleydenwurff hatte das Werk 1460 gemalt. Dort sieht man den Kindermord von Bethlehem. Einer von Herodes Schergen hat einen gelben Judenhut und eine große Knollennase. "Schon lange vor Julius Streichers Hetzbildern war die Karikatur im christlichen Bewusstsein verankert", erläutert der Pfarrer. Wenn man heute auf Demonstrationen Parolen wie "Kindermörder Israel" höre, seien dies antisemitische Vorurteile, die schon seit dem Mittelalter existierten. Die Antwort Töllners auf die Frage, ob Pleydenwurff denn ein Antisemit gewesen sei, ist differenziert: Der Maler habe lediglich wiedergegeben, wie die christliche Bevölkerung Juden sah. "Der Künstler spiegelt nur die Zustände der mittelalterlichen Gesellschaft wider. Nicht der einzelne Maler war judenfeindlich eingestellt, sondern die gesamte christliche Gesellschaft."

Wie der aktuelle Umgang mit der antisemitischen Vergangenheit ist, erfahren die Besucher in der Frauenkirche. Dort seien bis 1349 die Synagoge und das jüdische Viertel gewesen. Nach einem Pogrom, bei dem 562 jüdische Mitbürger verbrannt wurden, errichtete der Rat der Stadt Nürnberg dort den Hauptmarkt und auf den Trümmern der Synagoge die christliche Kirche.

Bronzener Davidsstern im Ostchor der Nürnberger Frauenkirche, der an das Progrom an der Jüdischen Bevölkerung im Jahr 1349 erinnert. Damals wurden die an dieser Stelle stehende Synagoge zerstört.

Im Ostchor wurde ein bronzener Davidsstern mit dem Datum der Vertreibung eingelassen. Das Tabernakel ist in Form einer Torarolle gestaltet. "Das soll uns als Gemeinde immer daran erinnern, dass das Judentum die Grundlage unseres Glaubens ist" erläutert eine ältere Kirchenführerin die praktizierte Erinnerungskultur. Ob zu der früheren Synagoge auch eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad, gehört habe, könne sie leider nicht sagen, erläutert sie den interessierten Besuchern. Aber bei Renovierungsarbeiten hätte man das Fundament der tragenden Hauptsäule des jüdischen Gotteshauses entdeckt. Nach intensiven zwei Stunden zu christlichem Antisemitismus im Mittelalter endet die Führung. "Ein Thema, das jeden hier angeht", sagt einer.