Beim Pilgern sich selbst und anderen begegnen

Pilgerbegleiterin Jeannette Wiese in Wanderkleidung vor rosa Mohnblumenfeld
epd-bild/Wiese
Pilgerbegleiterin Jeannette Wiese aus dem niederbayerischen Osterhofen führt Pilgernde auf Routen der Via Nova.
Pilgerweg Via Nova
Beim Pilgern sich selbst und anderen begegnen
Immer mehr Menschen begeistern sich für das Pilgern. Fast 500.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr über den Jakobsweg im spanischen Santiago de Compostela an. Dass man nicht in die Ferne schweifen muss, um spirituelle Erfahrungen zu machen, zeigt der Dreiländer-Pilgerweg Via Nova. Pilgerbegleiterin Jeannette Wiese aus dem niederbayerischen Osterhofen führt Pilgernde auf seinen Routen und bietet Gelegenheit, schon an einem einzigen Tag die Schönheit und Wunder der Natur Ostbayerns zu erleben. Heuer feiert dieser ökumenische Pilgerweg sein 20-jähriges Bestehen.

epd: Frau Wiese, Sie waren schon sechsmal in Spanien und Portugal auf dem Jakobsweg unterwegs und sind ausgebildete Pilgerwegbegleiterin. Was treibt Sie an, sich immer wieder allein auf eine Pilgerwanderung zu machen?

Jeannette Wiese: Das kann vielleicht nur jemand nachvollziehen, der sich schon einmal auf den Weg gemacht hat. Und wer das einmal erlebt hat, läuft Gefahr, infiziert zu werden. Am Ende des Tages treibt mich eine Sehnsucht nach dem inneren Einssein, auf Frieden und Freiheit an, die man erleben kann, absolut im Hier und Jetzt zu sein und den Alltag hinter sich zu lassen.

Deshalb habe ich mich 2016 zu einer Ausbildung als Pilgerwegbegleiterin entschlossen, um auch andere Menschen für das Pilgern zu begeistern. Seitdem führe ich Pilgernde vornehmlich auf Via Nova-Wegen.

Der europäische Pilgerweg Via Nova, der durch Ostbayern, Österreich und Tschechien führt, zeigt auch, dass man gar nicht in die Ferne schweifen muss, um spirituelle Erfahrungen zu machen. Worin besteht der Unterschied, wenn man durch Ostbayern pilgert und in einer kleinen Gruppe wandert statt allein?

Wiese: Mit meinen Tageswanderungen kann ich Menschen einen Tag lang eine Auszeit bieten, die sonst nicht länger unterwegs sein können. Pilgern ist immer auch geprägt von den Begegnungen und den Gesprächen mit den Menschen, die man auf dem Weg trifft. Es sind keine Wallfahrten mit Hunderten Menschen, sondern es ist Pilgern in kleinen Gruppen.

Da entsteht eine besondere Verbindung untereinander. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem längeren Gehen allein auf einem Pilgerweg und den geführten Tages- oder Mehrtages-Pilgerwanderungen, die wir anbieten. Eines haben die beiden aber gemein: die Suche nach Unterbrechung im Alltag, nach Sinn und Naturerfahrung. Beide Formen des Pilgerns bietet die Via Nova an.

Zum Jubiläum gibt es auf dem ostbayerischen Pilgerweg Sternwanderungen auf acht verschiedenen Routen, die sich am 6. Juli im österreichischen Mining treffen. Die Evangelische Bildung Ostbayern (EBO) hat Kirchengemeinden gebeten, Pilgerwanderungen anzubieten. Eine besondere Form des Gottesdienstes?

Wiese: Die Via Nova führt ja durch die beiden Dekanate Regensburg und Passau. Zwei ihrer Routen treffen im niederbayerischen Vilshofen zusammen: aus Przibram in Böhmen über den Bayerwald und von Weltenburg an der Donau kommend.

Sie führen weiter durch das Rottal bis ins Innviertel über Salzburg nach St. Wolfgang im Salzkammergut. Ich bin keine Pfarrerin und auch keine Theologin, aber ich finde, dass Pilgern eine besondere Form des Gottesdienstes sein kann. Es sind Ereignisse, bei denen Menschen zusammenkommen, sich begleiten und eine Weg-Gemeinschaft feiern können.