Über die bleibende Bedeutung des Buß- und Bettages

Dieter Schütz, pixelio.de
Gottes unbedingtes Ja
Über die bleibende Bedeutung des Buß- und Bettages
Sind Bußtage aus der Zeit gefallen? Unser Blogger Wolfgang Schürger versteht den Buß- und Bettag als Chance, einmal neben oder hinter sich zu treten und zu fragen: "Nehme ich mich zu wichtig?".

Buß- und Bettag – wer erinnert sich noch daran, dass dies einmal ein bundesweiter gesetzlicher Feiertag war? 1994 wurde er im Rahmen eines Kompromisses zur Finanzierung der Pflegeversicherung abgeschafft. In Berlin und Bayern gilt der heutige Mittwoch vor dem Ewigkeitssonntag als geschützter Tag, in Sachsen ist er nach wie vor Feiertag.

Buße ist kein besonders beliebtes Thema – wohl mit ein Grund, warum der große Aufschrei gegen die Abschaffung des Feiertages damals ausgeblieben ist. In einem christlich-queeren Blog über den Bußtag nachzudenken, kann auch schnell zur Verwicklung in emotionale Fallstricke führen, können viele von uns doch von Erlebnissen berichten, in denen sie von konservativ denkenden Christ:innen aufgefordert worden, Buße für ihr gleichgeschlechtliches L(i)eben zu tun und auf den Pfad des Evangeliums zurückzukehren. Dennoch wage ich diese Überlegungen…

Die Geschichte der Bußtage führt in Zeiten zurück, in denen Religion und Staat eng verbunden waren: In besonderen Notzeiten wurden Bußtage angesetzt, um die gesamte Bevölkerung zum gemeinsamen Bittgebet aufzurufen und auf diese Weise die Not abzuwenden. Schon aus der Antike sind solche Bußzeiten bekannt. In der jüngeren Geschichte gilt der Buß- und Bettag als protestantischer Feiertag, in der römisch-katholische Kirche findet sich vielleicht am Ehesten im Heiligen Jahr eine Entsprechung.

Manch eine:r wundert sich jetzt vielleicht: „War es nicht Martin Luther, der gegen den Ablaß und das Bußwesen seiner Zeit wetterte?“ – Ja, das war so, und wahrscheinlich muss man auch genau hier ansetzen, um die (bleibende) Bedeutung des Bußtages zu verstehen:

Als Augustinermönch der „strengen Observanz“ versuchte Martinus, ein gottgefälliges Leben zu führen. Doch reflektiert und selbstkritisch, wie er war, stellte er fest, dass er bei aller religiöser Übung nie so vollkommen sein würde, wie es die kirchliche Lehre vom gottgefälligen Leben von den Gläubigen verlangte. Gott wurde ihm daher immer wieder zur Fratze, die einerseits betonte, dass Martinus Gottes geliebtes Kind sei, und andererseits die Gestalt des strafenden Gottes annahm, wenn dieses Kind den Eindruck hatte, hinter den Anforderungen des Geliebtseins zurück zu bleiben. Zu diesem fratzenhaften Antlitz Gottes kamen die Zukunftsängste, die den Mönch Martinus plagten, da die Kirchenlehre ja sehr plastisch die Sündenstrafen und das Höllenfeuer ausmalte. Martinus merkte sehr schnell, dass diese emotionale Zerrissenheit nicht durch Geld und Ablassscheine geheilt werden kann.

Heilung findet Martinus erst, als er in seinem Leiden und Sehnen zu einem anderen Gottesbild durchdringt: An die Stelle des fratzenhaften Buchhalter-Gottes tritt das liebende und mitleidende Antlitz Christi. Dass Gott so, in Gestalt des kleinen, verwundbaren Kindes und des gefolterten und gekreuzigten Christus, in die Welt kommt, bedeutet für Luther, dass Gott Ja sagt zu allem, was unser menschliches Leben ausmacht. In Jesus von Nazareth nimmt er dieses ganze Leben an – mit all seinen Höhen und Tiefen. Vor dem fratzenhaften Buchhalter-Gott flieht Luther deswegen immer wieder zu dem in Christus offenbarten, bis in die letzten Tiefen liebenden Gott.

So wie Gott in seiner Menschwerdung alle Tiefen des Lebens angenommen hat, so weiß sich Martinus nun auch in allen Tiefen seines menschlichen Lebens von Gott angenommen – gerecht gemacht allein aus Glauben, nicht aus Werken. Dieses Vertrauen auf das große göttliche Ja führt ihn aber zu einer nochmals radikaleren Analyse der menschlichen Existenz: „Wir sind Sünder allzumal!“ Nach den Maßstäben des gottgefälligen Lebens werden wir niemals perfekt sein, ja mehr noch: Bei den Fragen von Sünde und Buße geht es für Luther gar nicht in erster Linie um einzelne Verfehlungen („Tatsünden“), es geht um die Grundhaltung des Lebens. Lebe ich aus mir heraus, setze mich an Gottes stelle? Oder lebe ich in dem Wissen, dass ich gegründet bin in diesem großen Ja Gottes, getragen in seiner unbedingten Liebe zu allem Leben?

Weil wir diese Verbundenheit mit Gott als Grund unseres Seins im Alltag immer wieder so schnell vergessen, deswegen fordert Martin Luther, dass das ganze Leben der Christ:innen eine „einzige Buße“ sei – nicht ein ständiges Sich-Selbst-Kasteien und Sich-Selbst-Anklagen, sondern eine immer wiederkehrende Erinnerung daran, uns selbst nicht zu wichtig zu nehmen.

So verstanden, ist der Buß- und Bettag die Chance, einmal innezuhalten und einen Schritt neben oder hinter mich zu treten. Mich anzuschauen und zu fragen: „Nimmst du dich vielleicht zu wichtig?“ Zurückzuschauen auf mein Leben und wahrzunehmen, in welchen Momenten (und Nöten) ich getragen war von diesem großen Ja Gottes – auch zu mir. „Bis hierher hat mich Gott gebracht“, singe ich mit Ämilie Juliane Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt (EG 329).

Und weil ich nun ja schon einmal neben oder hinter mir stehe, sehe ich auch die Menschen und die anderen Wesen neben mir und um mich, sehe ihre Nöte, höre aber auch sie singen „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ und werde neugierig auf ihre Geschichten: Was haben sie mit diesem Gott erlebt?

Indem ich mich so von Gott ge-tragen erlebe, fällt es mir nun auch leichter, die anderen zu er-tragen, auch wenn ich nicht immer mit ihnen übereinstimme, auch wenn sie mich manchmal nerven: Wie oft hat nicht Gott mich ertragen müssen? Und ich werde in diesem Nachdenken und Meditieren auch sensibler für die Beziehung zu meinem Partner: Ja, manchmal muss ich ihn ertragen – aber wie oft hat er mich getragen und ertragen?

Der Bußtag so verstanden ist eine große Chance, sich neu mit Gott und miteinander zu verbinden. Gut, dass wir ihn in unseren Kirchen noch feiern!

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Bu%C3%9F-_und_Bettag

https://www.ekhn.de/themen/reformationstag/reformationstag/was-bedeuten-die-95-thesen-martin-luthers

https://www.jesus.de/liederschaetze/bis-hierher-hat-gott-mich-gebracht/

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