Höher und tiefer

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Spiritus Blog mit Birgit Mattausch
Geistvoll in die Woche
Höher und tiefer
Über Gertrud von Helfta und andere G*ttessucher*innen

Heute, am 17.11., ist der Tag der heiligen Gertrud von Helfta. Es ist ihr 724. Todestag.
Gertrud war eine Mystikerin, eine Hellsichtige, eine Intellektuelle. Sie war Bibelübersetzerin, Lyrikerin, Ratgeberin und Prophetin. Ihre Texte: flirrend, hochliterarisch und kühn.

Für heute habe ich ein Zitat von ihr gefunden:
„Gott ist höher und tiefer als alle Erkenntnis; nur die Liebe erreicht ihn.“

Es ist ein alter Gedanke: G*tt als die ganz Andere. Nicht nur höher, sondern auch tiefer. Nicht nur größer, sondern auch kleiner. Nicht nur heller, sondern auch dunkler. Nicht nur fern, sondern auch nah. Nicht nur nah, sondern auch fern.

Vor ein paar Wochen habe ich gemeinsam mit Annette Buschmann ein Seminar zu macht- und traumasensibler Sprache geleitet. Wir befassten uns auch mit unseren Gottesbildern. Die Teilnehmerinnen schrieben über ihr konstruktivstes und ihr destruktivstes Gottesbild.

Und dann geschah etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: die Texte zu den destruktiven Gottesbildern waren kraftvoll, produktiv. In ihnen gab es sehr lebendige Ichs, die sich zur Wehr setzen. Es gab Abgründiges, selten Gehörtes. Die Gegensätze beleuchteten sich. Das eine machte das andere neu möglich.

Wir erlebten genau das, was Annette Buschmann uns zuvor gesagt hatte:
„(Es braucht) den Raum, offene Fragen auszuhalten, ohne dass innere Bilder verschwiegen, zugehängt, verdrängt oder zertrümmert werden müssen. Alles was da ist, stimmt erst einmal, auch wenn es uns noch so dumm und destruktiv erscheint. Alles was sicher ist und trägt, kann in einer existenziellen Krise infrage stehen. Wir sind nicht im Himmel, wir sind hier.“

Seither übe ich immer wieder, in Gegensätzen zu denken. Die Spannung auszuhalten.  Es tröstet mich, dass G*tt die ganz Andere ist. Dass es mehr gibt als das, was ich erdenken kann.

Gertrud von Helfta nennt das, was uns in Berührung bringt mit dem ganz Anderen: Liebe.
Ich sage lieber: Verbundenheit. Zu sehr ist das Wort „Liebe“ missbraucht worden.
Annette Buschmann nennt es Beziehung:
„(D)ort, wo ich mit meinen Bildern und den daraus resultierenden Gefühlen verstanden werde, wirklich verstanden werde, weil der Mitmensch neben mir diese Bilder und Gefühle nachvollziehen und in seiner / ihrer Wirklichkeit abbilden kann, dort geschieht Beziehung. Übrigens auch dort, wo wir uns missverstehen, aber dabei nicht stehen bleiben, sondern in den Versuch gehen, dieses Geschehen zuzulassen, nicht wegzureden, sondern anzuerkennen, auch da geschieht Beziehung.“

Höher und tiefer. Nah und fern. Kühn und alltäglich. In dem, was jetzt ist. Und in dem, was erst noch wird.

Vielleicht ist heute, am 17.11., der Tag, um eine Kerze anzuzünden und Danke zu sagen für all die mutigen Leute, die Offenes aushalten, Verschwiegenes aussprechen, Worte suchen und nicht stehen bleiben.

P.S.:
Mehr gibt es auch hier: Gottes-Suche
 

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