Die Pride-/CSD-Saison neigt sich dem Ende entgegen. In Hamburg haben am Wochenende rund 260.000 Menschen mit der größten Pride-Veranstaltung der Hamburger Geschichte noch einmal ein sehr deutliches Zeichen gesetzt: Wir sind queer - und "wir sind hier, um zu bleiben" (so das Motto des Hamburg-Pride; https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/rekord-bei-csd-demo-260000-menschen-feiern-in-hamburg,csd-206.html ).
Zeit also für einen - zugegeben sehr subjektiven - Rückblick auf eine bedeutende Pride-Saison!
Sind wir nicht alle ein wenig Zirkuspferd?
Jede gute CSD-Parade ist neben einer politischen Manifestation auch ein buntes Treiben. Wir machen Vielfalt sichtbar - und die ist bunt und manchmal auch schräg. Also ja, der CSD ist auch "Zirkus". Und es gehört zu den grundlegenden Kennzeichen einer freien Gesellschaft, dass sie den Zirkus aushält, Satire und Humor möglich macht. Totalitäre Regime - egal ob weltlicher oder religiöser Natur - halten Satire und Humor nicht aus, sie fürchten ihre kritische und befreiende Wirkung. Wer Umberto Ecos "Der Name der Rose" gelesen oder die Verfilmung gesehen hat, weiß, dass auch christlich geprägte Kulturen davor nicht gefeit sind.
Eine ehemalige Weinkönigin (ganz großer Zirkus!) und ein ehemaliger Fondsmanager fanden die Freiheitswerte, die sich mit dem Zirkus verbinden, dieses Jahr allerdings wenig schützenswert - oder wollten sie nur nicht an ihre eigene Zirkus-Vergangenheit erinnert werden?
Für mich jedenfalls waren das die besten Bilder der diesjährigen Pride-Saison: Wie kreativ und bunt die Teilnehmenden des Berliner CSDs mit der Aussage des Bundeskanzlers umgingen, dass der Bundestag kein Zirkus sei und deswegen auch keine Regenbogenflagge dort Platz hätte.
Die Unionsparteien und der Regenbogen
Auffällig fand ich auch, wie schnell und wie deutlich Julia Klöckner und Friedrich Merz Gegenwind für die Flaggen-Entscheidung aus ihrem eigenen Parteiumfeld erhielten: Kai Wegner, der Regierende Bürgermeister von Berlin, war auf dem Berliner CSD mit aufgeklebter erweiterter Pride-Flag zu sehen und hatte schon im Vorfeld erklärt, dass er die Entscheidung von Klöckner für falsch halte: "Da, wo ich Verantwortung trage, wird diese Regenbogenflagge immer in der Mitte der Gesellschaft stehen", erklärte er gegenüber dem Tagesspiegel (https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-regenbogenfahne-gehort-in-die-mitte-unserer-gesellschaft-kai-wegner-grenzt-sich-beim-berliner-csd-von-merz-und-klockner-ab-14090570.html). Am Berliner Rathaus war die Flagge daher selbstverständlich gehisst.
Ähnlich äußerten sich im Übrigen auch Markus Söder und Ilse Aigner, die Präsidentin des Bayerischen Landtages - auch an diesem wehte die Flagge ganz selbstverständlich.
Wer unter uns sich noch an die Diskussion um eingetragene Partnerschaft und Ehe für alle erinnert, der oder die nimmt sehr deutlich wahr, was für eine Veränderung der Wertehaltungen hier bei Spitzenpersonal der Union in zwei Jahrzehnten erfolgt ist.
Der Pride und die Kirchen
Ähnliches gilt auch für die Haltung zumindest der protestantischen Kirchen zu den Pride-Veranstaltungen. An sehr vielen Orten haben in diesem Jahr Pride-Gottesdienste stattgefunden - meist ökumenisch organisiert, oft von lokalen Queer-Gemeinden oder/und Ortsgruppen der HuK.
Pride-Gottesdienste sind nicht neu, denn wir haben sie aus der queeren christlichen Community heraus schon lange gefeiert. Neu ist vielleicht ihre Zahl - und neu war vielleicht auch, dass sie meiner Wahrnehmung nach in diesem Jahr sehr gut besucht waren. Ich meine, bei vielen Menschen in der Community eine religiös-spirituelle Sehnsucht zu spüren, der Pride-Gottesdienste und Queer-Gemeinden eine Heimat geben können.
Wirklich beeindruckend aber ist für mich, dass die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) nun bereits zum vierten Mal offiziell als Landeskirche mit einem Truck beim Berliner Pride vertreten war. Julia Helmke, die neue Generalsuperintendentin von Berlin, sagte dazu: "Würde ist verletzlich, sie gilt es zu schützen und für sie einzutreten. Hier will evangelische Kirche auch nicht neutral sein, sondern bleibt den Menschen zugewandt." (https://www.ekbo.de/news-detail/pride-month-berlin-2025-ekbo-setzt-zeichen-fuer-vielfalt-und-toleranz)
Widerstand von evangelikal-konservativer Seite habe ich in diesem Jahr dagegen sehr wenig wahrgenommen. Vielleicht hat sich also auch hier langsam die Einsicht durchgesetzt, dass Vielfalt und Menschenwürde Geschwister sind, für die man nur gemeinsam eintreten kann.
Der Pride und die Polizei
So viel Polizeischutz wie in diesem Jahr war vermutlich noch nie bei Pride-Veranstaltungen. Das mag einerseits der diffusen allgemeinen Gefährdungslage geschuldet gewesen sein, andererseits aber auch der Tatsache, dass Gegenveranstaltungen und auch Übergriffe von der extrem rechten Seite zugenommen haben. Dass Veranstaltungen aufgrund solcher rechten Bedrohung umgeplant oder sogar abgesagt werden mussten, gehört leider auch zu den Erfahrungen der diesjährigen Pride-Saison (und übrigens nicht nur in Ostdeutschland, sondern zum Beispiel auch in Gelsenkirchen).
Soweit ich das überblicke, hat die Polizei die Veranstaltungen und ihre Teilnehmenden wirklich überall gut betreut und geschützt - Männer unter uns, die noch unter dem §175 StGB gelebt haben, haben da ganz andere Erfahrungen gemacht.
In München war es ein wirklich gutes und entspanntes Miteinander von Pride und Sicherheitskräften. Ich habe bei der Aufstellung der Trucks miterlebt, wie gekonnt und unauffällig eine Streife auf die Provokation dreier junger rechtsnationaler Männer am Straßenrand reagiert hat.
Macht also keinen solchen Zirkus...?
Alles gut gelaufen also? Und kein Grund, so einen Zirkus wegen der Beflaggung des Bundestages zu machen? Keineswegs: Es gab die konkreten Bedrohungen, es gab die Absagen in Gelsenkirchen und anderswo. Und die Diskussion um die Beflaggung des Bundestages und die Frage, ob die Regenbogenflagge "in die Mitte der Gesellschaft" (Kai Wegner) gehört, zeigt, wie fragil unser Wertegefüge ist. Werthaltungen müssen gepflegt werden, denn sie können sich immer wieder in die eine oder die andere Richtung verändern.
Zu dieser Pflege gehört, dass wir diesen ganzen bunten Zirkus machen - jedes Jahr wieder, vielleicht sogar Woche um Woche, um deutlich zu machen "Wir sind queer, wir sind hier, wir gehören dazu!". Und zu dieser Pflege braucht es Menschen wie Kai Wegner oder Ilse Aigner und Julia Helmke, die deutlich machen: Vielfalt und Menschenwürde sind Geschwister - und wo die Würde der anderen in Gefahr ist, da gibt es keine neutrale Haltung.