Gottesdienst nonstop

Kirchenasyl in den Niederlanden
Gottesdienst nonstop
Seit mehr als einem Jahr wird in Kampen ununterbrochen Gottesdienst gefeiert – um eine Familie zu beschützen.

Kirchenasyl. Eine jahrhundertealte und immer hoch umstrittene Sache. Manchmal der letzte Ausweg, um Menschen vor einer Abschiebung zu bewahren, bei der Folter oder gar Tod drohen. In Deutschland haben Kirche und Staat eine wackelige Vereinbarung getroffen. Die staatlichen Stellen werden von jedem Kirchenasyl in Kenntnis gesetzt, dafür verzichten sie meist darauf, die Kirchenräume zu betreten und die betroffenen Personen festzunehmen, obwohl sie es dürften. Denn auch die staatlichen Institutionen wissen: Nicht immer werden bei Abschiebeurteilen alle Fakten berücksichtigt. In letzter Zeit jedoch wurden immer öfter Kirchenräume gestürmt und auch Verantwortliche angeklagt.

Persönlich kenne ich Menschen, die in ihrer iranischen Heimat Bibeln verteilt hatten – unter Gefahr der Todesstrafe. Kurz vor ihrer Festnahme konnten sie fliehen. Sie sollten wieder zurück mit dem Hinweis, „sie müssen ja nicht laut sagen, dass sie Christen sind“. Es wäre ihr Todesurteil gewesen. Heute sind sie, nach Kirchenasyl und vielen Verhandlungen, wichtige Persönlichkeiten in unserer Gemeinde vor Ort. Und wir haben mittlerweile eine kleine farsisprachige christliche Gemeinschaft bei uns.

In anderen Ländern ist die Situation anders: In den Niederlanden darf die Polizei zwar Kirchen betreten, aber nicht während ein Gottesdienst läuft. Und so ist die einzige Möglichkeit für Kirchenasyl: Gottesdienst feiern.

Schon seit den Siebzigern wurde das immer wieder praktiziert, um Menschen vorübergehend Schutz zu bieten. Auch in Kampen gab es schon mal so etwas. Doch diesmal ist es anders: In Kampen feiern sie nun bereits seit dem 21. November 2024. Über ein Jahr. Rund um die Uhr, im Wechsel der Verantwortlichen alle zwei Stunden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind mindestens drei Menschen anwesend, die in der Open Hof-Kerk gemeinsam beten, singen, in der Bibel lesen, neue Lieder schreiben. Nicht nur Christ:innen. Menschen muslimischen Glaubens machen ebenso mit wie Atheist:innen. Manche wohnen um die Ecke, andere fahren jede Woche fünf Stunden mit dem Zug. Eine große Gemeinschaft hat sich hier gebildet. Und das alles zum Schutz einer Familie: der Familie Babayants, die schon zwölf Jahre in den Niederlanden lebt – fast die ganze Zeit in einem Asylbewerberzentrum und nun nach Usbekistan abgeschoben werden soll. In ein Land, das die Kinder nicht kennen. Zwei der vier sind hier geboren. In letzter Minute konnte ihre Anwältin die Abschiebung verhindern. Seitdem haben sie das Kirchengebäude nicht mehr verlassen. Sie werden geschützt vom Gebet und einer großen Gruppe unterschiedlichster Menschen, die für sie da sind.

„Die Kinder sind hier verwurzelt. Es ist schädlich für sie, aus ihrer Umgebung gerissen zu werden“. So begründet die Kirchenasyl-Gruppe ihre Aktion und untermauert das mit psychologischen Studien: Angst und Unsicherheit können die kindliche Entwicklung massiv und dauerhaft stören, können Depressionen hervorrufen und vieles mehr. Davor wollen sie die Menschen schützen.

Mag sein, dass diese Begründung für viele nicht ausreicht. („Wo kämen wir denn dahin, wenn der Staat nicht das letzte Wort hat?“). Ich finde es berührend, dass hier das Wohl der Kinder, vorerst zumindest, das letzte Wort hat. Der Vorsitzende der protestantischen Generalsynode, René de Reuver, meint dazu: „Wir stellen uns nicht über das Gesetz. Aber wenn wir sehen, dass das Recht des Staates zu Lasten von Kindern geht, ist es dann gerecht?“ Der christliche Auftrag sei es, sich um die Schwachen zu kümmern. „Welches Asylrecht ihr auch anwendet, nicht auf den Rücken von Kindern!“

Pastor Kasper Jager von der Kirchengemeinde Kampen bekräftigt: „Wir stellen uns nicht gegen den Staat. Wir halten ihm einen Spiegel vor und geben ihm die Chance, sich zu korrigieren.“ 

Die Kirchengemeinde Kampen setzt sich nicht nur für diese Familie ein. Sie fordert ein Bleiberecht für alle Asylkinder, die seit mindestens fünf Jahren hier leben – etwa dreihundert seien das, für die diese Familie symbolisch stehe, so Pastor Jager. 

Gerade laufen äußerst komplizierte Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden. Die extrem rechte asylfeindliche PVV von Geert Wilders, die die letzte Regierung nach nicht mal einem Jahr hatte platzen lassen, wird jedenfalls nicht mehr beteiligt sein. Die liberale Partei D66 wird voraussichtlich den Ministerpräsidenten stellen, sofern es zu einer Regierungsbildung kommt. Und die hatten genau diese Forderung im Wahlprogramm: Ein Bleiberecht für alle Kinder nach fünf Jahren. Hier in Kampen beten sie Tag und Nacht, Jahr und Tag, dass es so kommt.

Een veilig thuis, een morgen lacht
wanneer vanuit de Geest gedacht:
jij, nieuwe naaste, warm omarmd
zo grenzeloos vanuit het hart.

Zo krachtig, kwetsbaar en zowaar
groeit trouw en liefde aan elkaar
dit antwoord, mens’lijk, frank en vrij,
want God voor allen, jou en mij.

Ein sicheres Zuhause, ein Morgen lacht,
wenn aus Gottes Geist gedacht:
Du, neuer Nächster, warm umarmt,
so grenzenlos aus vollemm Herzen.

So kraftvoll, verletzlich und wahrhaftig
wächst Treue und Liebe zueinander
diese Antwort, menschlich, offen und frei,
denn Gott ist für alle, dich und mich.

Aus einem Lied von Herman Koetsveld, zusammengestellt aus Eingaben von Besuchern am 29. April 2025 

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