Queersensible Bildungsarbeit braucht Multiplikator*innen

Ein Interview mit Tash Hilterscheid
Queersensible Bildungsarbeit braucht Multiplikator*innen
In diesem Blog möchte ich euch Tash Hilterscheid vorstellen, also die Pfarrperson, die seit Anfang 2025 zuständig ist für die queersensible Bildungsarbeit der Nordkirche.

Tash Hilterscheid ist Pfarrperson in der Nordkirche und ist seit Januar 2025 zuständig für die queersensible Bildungsarbeit in der Nordkirche. Tash übernimmt die Elternzeitvertretung für Sonja Thomaier und wird für die kommenden Monate hier auf kreuz und queer bloggen. 

Zudem ist Tash auch im digitalen Raum in der Bildungsarbeit unterwegs und schreibt für den Instagram-Account @queere_nordkirche. In diesem Beitrag möchte ich euch Tash Hilterscheid vorstellen und ich freue mich sehr auf die Beiträge in den nächsten Monaten.

Sonja: Was bedeutet queersensible Bildungsarbeit in der Kirche für dich?

Tash: Mein Arbeitsauftrag besteht darin, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in der Nordkirche für das Thema queere Lebenswelt zu sensibilisieren. Das bedeutet zunächst eine Art Aufklärungsarbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, sowie zur Lebensrealität queerer Menschen in Deutschland. Zudem mache ich auf Diskriminierungserfahrungen aufmerksam. Ich erlebe es häufiger, dass Menschen sich dem gar nicht so bewusst sind. Das ist der unangenehme Part in den Workshops oder Vorträgen: Ich benenne die Schmerzpunkte, auch und insbesondere in kirchlichen Kontexten. 

Mir ist dabei wichtig für trans* und nicht-binäre Perspektiven im kirchlichen Kontext zu sensibilisieren. Auch da gibt es Schmerzpunkte, wie z.B. die Erfahrung zu machen, dass man keinen Platz in den Kirchen hat oder die spirituelle Diskriminierung oder aber auch die spirituelle Gewalt. Die gibt es nicht nur in den Freikirchen, sondern auch in der Landeskirche. Ein dritter Teil meiner Arbeit dreht sich dann um konkrete Praxisfelder: Gottesdienste, Kasualien, Anrede und Sprache usw. 

Tash Hilterscheid ist Pfarrperson in der Nordkirche und ist seit Januar 2025 zuständig für die queersensible Bildungsarbeit in der Nordkirche.

Sonja: Wie kann ich mir die Struktur vorstellen? Schreiben dich Kirchengemeinden an, die sich auf den Weg machen möchten, oder ist deine Arbeit fest verankert?

Tash: Fest verankert ist die Arbeit nicht. Kirchengemeinden, Kirchenkreise oder Pfarrkonvente kommen auf mich zu, die dieses Thema auf der Tagesordnung haben. Gelegentlich werde ich für Juleica-Ausbildungen oder andere Jugendkontext angefragt. Queere Bildungsarbeit ist allerdings ein großes Thema, daher möchte ich im nächsten Jahr gerne eine Art Qualifikation erarbeiten und anbieten. Ich fände es gut, wenn es dafür eine Art Zertifikat gäbe, so was wie ein „Regenbogen-Label“. Ein wichtiger Punkt in der queersensiblen Bildungsarbeit ist nämlich, Netzwerke zu schaffen und Multiplikator:innen auszubilden.

Sonja: Ich habe gesehen, dass du auch Bildungsarbeit im digitalen Raum machst. Welche Rolle spielen die sozialen Medien dabei?

Tash: Das ist ein breites Feld. Zum einen versuche ich über Presse und z.Z. durch regelmäßige Kolumnen. das Thema sichtbar zu machen. Um Sichtbarkeit geht es auch beim Thema soziale Medien. So nutze ich bspw. Instagram, um queeren Themen einen Raum zu geben und Lebensrealitäten noch einmal in Bild und Ton wahrnehmbar zu machen. Auch das ist queere Bildungsarbeit. 

Die Reaktionen sind dabei sehr unterschiedlich. Das hängt sehr an der Bereitschaft von Menschen, sich auf das Thema „queer“ einzulassen. Insofern bin ich auch so zögerlich bei dieser Frage, ob meine Arbeit irgendwo verankert sein sollte. Meine Erfahrung ist, dass eine top-down-Struktur schnell zu Gegenwehr führen kann, und damit ist ja niemandem geholfen. 

Sonja: Eine Aussage, die immer wieder die Kommentarspalten füllt, ist „Gott ist queer“. Was bedeutet diese drei Worte für dich? 

Tash:  Auf der emotionalen und persönlichen Ebene waren das sehr empowernde Worte für mich als nicht-binäre queere Pfarrperson, als ich diesen Satz damals gehört habe in der Predigt von Quinton Ceasar. Es hat mir unfassbar gutgetan, dass ein Mensch eine Bühne genutzt hat, um queeres Leben sichtbar zu machen und so direkt mit dem Göttlichen zu verbinden, mit allem, was das an Provokationen auch mit sich bringt. 

Theologisch liebe ich den Satz auch. Und zwar, weil „queer“ für mich ein unfassbar weiter Begriff ist. Queer ist ja erstmal ein Schirmbegriff, unter den ganz viel fällt. Und das, was sich darunter befindet, ist auch immer noch dabei, sich zu verändern. Insofern finde ich das theologisch tatsächlich auch sehr angemessen, diesen Begriff zu nutzen für eine Beschreibung Gottes. 

„Queer“ ist außerdem ein Begriff des Empowerments und des Widerständigen. „Queer“ ist politisch und steht quer zu einer heteronormativen Struktur und quer zu Normen, die wir oft für quasi natur- oder womöglich gottgegeben halten. So gesehen ist es immer eine Erweiterung von dem, was da ist, und darin spiegelt sich für mich theologisch die Unverfügbarkeit Gottes wider.

Sonja: Das ist ja schon ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns theologisch in deinen Blogbeiträgen erwarten wird. Darum als kleine Ausblicksfrage am Ende: Worauf dürfen wir uns denn freuen? Hast du dir für die kommenden Monate etwas vorgenommen oder lässt du das auf dich zukommen. 

Tash: Ich möchte es auf mich zukommen lassen. Ich denke, es wird immer auch ein Stück persönlich. Glaube hat für mich immer mit mir als Person zu tun. Das ist einfach so. Als ich Theologie studiert habe – vor ungefähr 100 Jahren – da habe ich tatsächlich noch im Homiletik-Seminar gelernt, dass in einer Predigt das Wort „ich“ nicht auftauchen soll. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Denn ich bin nicht in der Lage, objektive Wahrheiten von mir zu geben, sondern ich bin ein Subjekt und ich spreche immer aus meiner Perspektive, gerade beim Thema queerer Glaube und Theologie. 

Zudem freue ich mich sehr, die kommenden Monate bei kreuz und queer zu bloggen. Ich verfolge den Blog schon länger und habe insbesondere die Texte von Kerstin Söderblom sehr gefeiert. Für mich war kreuz und queer immer auch eine Stütze in Momenten, in denen ich damit gehadert habe, ob ich weiter in dieser Kirche bleiben möchte. Das heißt, es ist für mich schon eine besondere Ehre und einfach ein besonderer Moment, dass ich jetzt in diesem Blog etwas schreiben darf und möglicherweise auch anderen Menschen dazu verhelfen kann, nicht locker zu lassen im Hadern, Suchen und Zweifeln. 

Sonja: Ich bin sehr gespannt, was du hier mit uns teilen wirst, und ich weiß, was ich in meiner Elternzeit lesen werde. Wann kommt denn dein erster Blogbeitrag? 

Tash: Vielen Dank! Mein erster Beitrag erscheint am 03. September 2025. 

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