Gott in der Kneipe

zwei leere Bierkrüge
Daphne Danowski
Moderne Gottesbilder - Gott mitten im Leben erfahrbar
Gott in der Kneipe
Der biblische Gott ist in unserem Leben vielfältig erfahrbar: manchmal in der Barkeeperin, manchmal auf der Tanzfläche oder im Darkroom. Ein queeres Plädoyer für immer neue Gottesbilder und eine vielfältige Sprache darüber.

„Es gab mal eine Zeit in meinem Leben, da war Gott nur noch im Barkeeper spürbar, der mir mein Bier zapfte“, offenbarte vor Jahren ein Student während einer offenen Gesprächsrunde in der Hochschulgemeinde Wien. Damals war ich noch gar nicht Pfarrerin – und bin aber freilich empathisch auf diese ehrliche Äußerung einer ungewöhnlichen Gottesbegegnung eingegangen. Zuvor ging es nämlich um die Frage, ob wir alle schon einmal erlebt haben, dass Gott nicht da war in unserem Leben. Ich selbst hätte gelogen, hätte ich diese Frage verneint. Also hatte auch ich zuvor etwas sehr Persönliches von mir erzählt.

Früher jedenfalls hätte ich – und vielleicht auch jener Student – es nicht gewagt, so ehrlich über Gottesbilder und –begegnungen zu sprechen. Dabei macht man sich nämlich angreifbar, ja verletzlich. Wer es wagt, Gott „anders“ zu beschreiben, muss damit rechnen, belächelt oder gar bestraft zu werden. „Dann bist du aber keine richtige Christin“ – diese Aussage habe ich schon öfters, besonders am Anfang meines Theologiestudiums gehört. Menschen, die sich für einzig fromm hielten, sprachen mir meinen Glauben ab. Durch solche Erfahrungen entsteht bei vielen Menschen das Vorurteil, dass Religion die „eine“ Wahrheit generiere und christliches Glauben dogmatisiert sei und wenig persönlichen Freiraum zulasse.

Das „Kirchische“ verwerfen

Die Zeit im Vikariat der evangelischen Kirche in Österreich war diesbezüglich hilfreich und bestärkend sowie positiv verstörend. Verwerft das „kirchische“ Sprechen, empfahlen uns die Lehrenden im Prediger*innenseminar. Alles sollten wir möglichst ganz anders machen, bloß keine abgedroschenen Formeln über Gott und die „frohe Botschaft“ verwenden. Unsere Aufgabe war es, die liturgische Sprache zugänglicher zu machen – für mehr Menschen ansprechender.

Mittlerweile besuche ich so viele Gottesdienste wie nie zuvor in meinem Leben. Der sogenannte Kirchensprech ist mir leider vertrauter geworden als viele andere Worte in meinem ganz persönlichen Frommsein. Wenn ich Predigenden zuhöre, frage ich mich manchmal in jedem zweiten Satz: Und was genau heißt das jetzt? Gott ist für uns gestorben, Gott hat uns lieb, Gott ist eine Festung, Gott ist … Selbst ich als Geistliche wünsche mir dann oft eine Übersetzung dieser Worte.

Alte tradierte Bilder von Gott können Halt geben. Sie können Generationen miteinander im Glauben verbinden und über Zeiten und Länder hinweg universal verständlich sein. Aber der Zugang zu ihnen muss erlernt werden, und heute sind viele – nicht nur junge – Menschen nicht mehr vertraut mit den religiösen Vorstellungen, die unsereins vielleicht noch von klein auf kennengelernt hat.

God als DJ

In der Arbeit als Hochschulpfarrerin entdecke ich gemeinsam mit den (jungen) Menschen Gott etwa als Naturphänomen im Wind oder Regen. Oder als gute*n Freund*in. Als Musik. Gott ist dabei manchmal behindert, manchmal queer, erscheint als Barkeeper ­– oder als DJ. Die Musikerin P!nk findet in ihrem Song „God is a DJ“ Worte, die – würde die Bibel in einem heutigen popkulturellen Kontext geschrieben werden – heilige Ausmaße annehmen könnten: „If God is a DJ, life is a dance floor. Love is the rhythm, you are the music. If God is a DJ, life is a dance floor. You get what you're given. It's all how you use it.“

Auf der Tanzfläche des Lebens spielt Gott Musik, die Du selbst bist. Die Liebe ist dabei der Rhythmus, der Geist, der von Gott kommt und alles bewegt, dich bewegt. Nun musst du nur noch tanzen. – Das könnte eine mögliche Interpretation sein. Es sind Worte über den Beziehungsaspekt Gottes, über Dreieinigkeit und Dynamik, über Glauben – nur in anderen Bildern.

Vielfalt der Gottesbilder

Schon während meiner Schulzeit eröffnete mir meine damalige Religionslehrerin die Mannigfaltigkeit Gottes selbst in der Bibel: Gott als männlich und weiblich, Gott jenseits aller Geschlechtlichkeit, als Henne, Mutter, König und nicht zuletzt die Liebe selbst. Und später im Theologiestudium vermittelte meine Professorin uns, dass wir als Theolog*innen die Aufgabe haben, diese vielfältigen biblischen Gottesbilder in die jeweiligen Kontexte unseres Wirkens hinein weiter und immer wieder neu zu übersetzen.

Was heißt das also für eine Arbeit heute in der Kirche? Was heißt das für eine Instagram-Gemeinde, für Gottesdienste im Pop-up-Format, für seelsorgliche Arbeit am Rande der Mainstream-Gesellschaft? Was heißt das für all meine Begegnungen, die ich als Pfarrer*in oder einfach als Christ*in außerhalb der Kirche mache, wo ich Menschen treffe, die beim Wort Kirche oder Religion „pfui Spinne“ denken?

Gott ist Begegnung und Beziehung. In der Kommunikation über den persönlichen Glauben erfahre ich etwas über mein Gegenüber – und schließlich auch über Gott selbst! Bilder in neuer Sprache zuzulassen oder gar anzubieten, kann es Menschen ermöglichen, sich Gott anzuvertrauen.

Sich Gott als guten Hirten vorzustellen, mag für manche passend sein – ganz bestimmt nicht nur denen, die täglich mit Schafen zu tun haben. Es geht nicht darum, dieses Bild, das uns die Bibel selbst vermittelt, zu verwerfen. Vielmehr geht es darum, offen zu werden für neue Vorstellungen und diese neben die alten zu stellen. Was oder wer könnte der gute Hirte heute sein, in meinem Kontext, in dieser Welt? Das kann etwa bedeuten, Gott im Rausch auf der Tanzfläche begegnen oder in der eigenen Sexualität entdecken zu dürfen, Instagram als Gemeinde begreifen zu dürfen oder einen Gottesdienst in der Bar zu feiern. Und eines wird dabei sicher nicht passieren: dass wir tradierte Glaubenserfahrungen aus der Heiligen Schrift verwerfen. Denn trotz aller Innovationen: Kirche und Religiössein haben und bleiben an Traditionen gebunden, und das ist auch gut so.

Verkündigung am Tresen?

Verkündigung aber ist bekanntlich mehr als auf der Kanzel stehen und predigen. Sie geschieht vielmehr da, wo es mir als Pfarrer*in, als Christ*in gelingt, andere Menschen vom Glauben, von Gott, zu begeistern und die Botschaft der lebendigen Liebe Gottes zu vermitteln. Sie geschieht in der Seelsorge, im freundschaftlichen Gespräch, in alltäglichen Begegnungen, im Sportverein, im Kaffeehaus, in der Kneipe, im Nachtclub. Und um es klipp und klar zu sagen: auch in der SM-Bar und auch im Darkroom! Verkündigung ist für mich auch eine Haltung und mit der Frage verknüpft, was ich als glaubender Mensch oder als Geistliche verkörpere. Wen spreche ich an und wen nehme ich als meine Gemeinde wahr und ernst.

„Katharina, du bist doch Pfarrerin“, sprach mich kürzlich ein Mann unverblümt in meiner Stammkneipe an. „Kannst du mich segnen? – ich habe nämlich morgen einen wichtigen Gerichtstermin.“ Er sagte dies vor lauter anderen Männern, junge und ältere, die dies erst für einen Scherz hielten und lachten. Doch dann sahen sie, wie ich ihn tatsächlich segnete, mit Berührung und Worten, die ich mir aus der Bibel lieh und übersetzte. Daraufhin haben sie alle miteinander angestoßen. Dieser Mensch hätte mich nie in einer Kirche aufgesucht. Hirten kennt er nicht, aber DJs und Barkeeper.

 

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Dieser Artikel erschien in etwas anderer Fassung zuerst in superNews - Magazin für das evangelische Niederösterreich - 1/23

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