Sollen denn alle schwul werden?!

Sollen denn alle schwul werden?!
Foto: Matthias Albrecht
Die Regenbogenflagge weht als Symbol des Kampfes für Vielfalt, nicht für eine neue Einfalt.
Viele Kommentare in sozialen Netzwerken klingen so, als ob es das Ziel der Queer- Bewegung sei, am Ende ihres Kampfes gegen die Hegemonie der Heterosexualität eine eigene Hegemonie zu errichten, doch das genaue Gegenteil ist der Fall.

Homosexualität ist in den deutschsprachigen Medien so präsent wie nie zuvor. Heute berichten nicht nur Szenezeitungen oder spezielle Internetblogs über gleichgeschlechtliche Liebe, auch für den Mainstream gedachte Programme und Publikationen widmen sich dem Phänomen mit scheinbar immer größerer Selbstverständlichkeit. Ob dies immer auch einem emanzipatorischen Anspruch gerecht wird, soll an dieser Stelle offen bleiben. Jedenfalls freute ich mich, als ein Beitrag auf der facebook-Seite von ARD.de, der Einschlafpositionen von Paaren thematisierte, mit einem Foto verziert war, das zwei Männer zeigte, die engumschlugen im Bett ruhten. Keine weitere Erklärung, warum ein Männerpaar, kein Verweis auf Homosexualität: Das nenne ich echte Gleichbehandlung. Doch die vermehrte Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen stößt nicht nur auf Wohlgefallen. Gerade bei facebook, aber auch in anderen Sozialen Netzwerken – und nicht nur dort – erntet die gestiegene Präsenz teilweise erbitterten Widerstand. Ob denn Heterosexualität nicht mehr normal oder gut genug sei, lauten rhetorische Fragen, die in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt werden. Meine Antwort hierauf: Nein, Heterosexualität als Allgemeingültig erhebende Norm ist nicht gut genug und ja, Heterosexualität als Form partnerschaftlicher Liebe ist gut so wie sie ist!

In der Diskussion um die Gleichstellung vom Hetero- und Homosexualität werden oft zwei Sachverhalte in Beziehung gesetzt, die nicht zusammen gehören, nein die sogar zwingend getrennt voneinander gedacht werden müssen. Das eine ist die Existenz heterosexueller Liebe an sich. Warum sollte hiergegen irgendein Einwand erhoben werden? Das andere aber ist die Hegemonie der Heterosexualität. Dieser Hegemonie, also allen Aussagen, Institutionen, Repräsentationen, Interaktionen etc., die Heterosexualität als eine nicht hinterfragbare, vermeintlich natürlich privilegierte, alternativlose und überall durchzusetzende Norm herstellen, sagt queer als politische Bewegung den Kampf an. Kein Säugling soll mehr an den Genitalien verstümmelt werden, weil seine Geschlechtsorgane nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Kein Junge soll mehr von seinen Emotionen abgeschnitten werden, weil seinen Gefühlen in der Erziehung mit normierenden Dogmen begegnet wird wie: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Und keine Frau soll mehr psychische oder körperliche Qualen leiden, weil sie eine andere Frau liebt. So geartetes Unrecht muss beendet werden, alles andere ist Sünde!

Oft gellt diesem Anspruch die anklagende Frage entgegen: Was soll denn dann werden? Sollen alle Kinder schwul oder lesbisch werden, alle Männer in Röcken herumlaufen und sich die Frauen Bärte stehen lassen? Solche Äußerungen scheinen zuerst einmal dazu zu dienen, die andere Seite lächerlich zu machen. Das ist bezeichnend! Das Gegenüber wird nämlich häufig dann lächerlich gemacht, wenn ihm bezüglich eine Angst besteht. Die Angst, die hier verhandelt wird, ist sicherlich zuerst einmal die, dass die gewohnte und deshalb Sicherheit gebende Welt ins Wanken gerät. Denn bis in den letzten Winkel wird unsere Lebensrealität in das Prinzip der Trennung nach männlich oder weiblich eingeteilt. Und wie schwerwiegend es für das persönliche Empfinden sein kann, wenn diese Ordnung infrage gestellt wird, können wir etwa an der Redewendung ablesen: Jemand war so fertig, dass sie oder er am Ende nicht mehr wusste, ob sie oder er Männlein oder Weiblein ist. Hier scheint sich jemand über das aller Existentiellste nicht mehr klar zu sein – was für eine verstörende Erfahrung! Darum ist es ja auch nur verständlich, dass Menschen sorge- und angstvoll fragen, was kommt, wenn Heterosexualität keine allgemeingültige Norm mehr ist. Bedauerlicher Weise sind an diesem Punkt jedoch viele Menschen keinen rationalen Argumenten oder einem qualifizierten Dialog mehr zugänglich, stattdessen propagieren sie wüste Polemiken, wie die, die ich beschrieben habe. Dabei offenbaren die Gegner_innen der Emanzipation ein recht einfaches Weltbild. Für sie gibt es vermeintlich nur die Opposition einer Hegemonie der Hetero- oder aber eine Hegemonie der Homosexualität. Aber um es deutlich zu sagen, ein solcher hegemonialer Anspruch, der Homosexualität zu einer Art Pflichtnorm machen will, existiert ausschließlich in den Köpfen derer, die diese Mär verbreiten.

Die queere Bewegung würde nie einem Menschen, der sich beispielsweise sowohl körperlich als auch psychisch als Mann fühlt, dem bejahend gegenübersteht und der eine Frau sexuell begehrt, entgegenhalten, dass dies nicht richtig sei. Im Gegenteil! Resultierend aus den Gewalterfahrungen der heterosexuellen Hegemonie wendet sich queer ja gerade gegen jeden zwanghaften Eingriff in die geschlechtliche und sexuelle Entwicklung. Das Anliegen einer queer-emanzipatorischen Politik ist es, die Akzeptanz unterschiedlicher Geschlechter und Sexualitäten zu schaffen, nicht neue Ausschließungen zu produzieren. Der Heterosexualität soll nicht ihre Legitimation, sondern ihre Hegemonie genommen werden! Und in diesem Zusammenhang ist es, neben vielem anderen, ein wichtiger Schritt, dass Lesben und Schwule deutlich häufiger in den Massenmedien vorkommen. Und das bedeutet, dass die hegemoniale Überrepräsentation von Heterosexualität zurückweichen muss. Wie es etwa bei dem eingangs erwähnten Bild zu dem Artikel über die Schlafpositionen geschehen ist. Wenn sich solche Beispiele mehren, gleichen sich die symbolischen Repräsentationen von Partnerschaftsentwürfen schrittweise der tatsächlichen Vielfalt von Gottes Schöpfung an, statt weiter eine gegen die Menschen gewandte Hegemonie zu manifestieren.

Wer dem nun immer noch nicht traut, der darf sich gewiss sein: Sollte eines Tages eine Bewegung aufkommen, die ernsthaft eine Hegemonie der Homosexualität anstrebt und sollte diese es schaffen – neben vielen anderen Ungeheuerlichkeiten - , dass Heterosexuelle nur noch sehr selten oder gar nicht mehr in den Medien auftauchen, dann werde ich und ich denke mit mir ein Großteil der queeren Bewegung an Ihrer Seite stehen und für Ihr Recht auf Sichtbarkeit kämpfen. Solange dies nicht der Fall ist, kämpfen Sie doch bitte an unserer Seite!

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