DJ Haydn und MC von Fallersleben

DJ Haydn und MC von Fallersleben
Der neue Diskus-Olympiasieger möchte Norbert König nicht abklatschen, und das kommt nicht gut an. Am schönsten hetzt es sich bei Facebook, wenn man unter sich bleibt. Content ist nicht king, sondern eine arme Sau. Außerdem: Geoutete Athleten, die DDR in Bildern einer Bezirkszeitung und die Inhaberin von www.franzi.de als Germany's next Franz.

In Deutschland zu leben und Journalist zu sein ist doch ganz schön.

„In Turkey, notorious for cracking down on the media long before July’s attempted coup, authorities have closed more than 130 outlets and issued warrants for 89 reporters and other media workers since the coup a month ago; 17 journalists have been charged with membership of a terror group. (...) In China, where the Communist party has always determined which news is fit to print, authorities have ordered internet portals to abandon original reporting on political or social topics because of its ,extremely vile effect’. (...) In Burundi, where government attacks on independent media appear relentless, relatives of reporter Jean Bigirimana, arrested in late July, fear he is dead.“

So steht es in einem Kommentar zur bedrohten Lage des Journalismus im Guardian.

Problem deutscher Journalisten derweil: Der überraschende Diskus-Olympia-Sieger Christoph Harting wollte lieber u.a. während der Siegerehrung zur Nationalhymne tanzen (notieren Sie bitte für die besten Sportler-Kommentare aller Zeiten und aller, die noch kommen werden: „Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt, aber es ist schwierig nach der Nationalhymne zu tanzen“, Quelle: sueddeutsche.de) als Norbert König vom ZDF ein Interview zu geben.

„Ein Mann, der zudem teilweise durch staatliche Gelder finanziert wird, sollte gerade in solchen Momenten Etikette mitbringen“,

heißt es etwa in diesem Beitrag von der ZDF-Olympia-Seite mit dem schönen Etikett Titel „Christoph Hartings provokanter Auftritt“.

„Betont lässig tänzelte der 25-Jährige durchs Stadion, spielte mit Kameras und Fans, verschränkte bei der Nationalhymne die Arme, pfiff phasenweise mit. Dabei musste Harting wissen, dass genau das noch mehr Aufmerksamkeit, noch mehr Öffentlichkeit bedeuten würde. Dazu passt auch sein Verhalten gegenüber ZDF-Reporter Norbert König. Sich zu entscheiden, kein Interview zu geben, ist eine Sache. Den Handschlag zu verweigern und auf diesem Weg auch die Gratulation nicht anzunehmen, ist eine ganz andere - das ist schlichtweg unhöflich und herablassend“,

kommentiert Andreas Evelt bei Spiegel Online, legt dabei aber auch offen, was öffentlich-rechtliche Sportreporter vor Ort für ihren Job halten: gratulieren und abklatschen. 

„Das erste Mal wurde die Nationalhymne nur für mich gespielt. Egal, wie man versucht, sich das vorzustellen - man ist darauf nicht vorbereitet und so überwältigt von allen Gefühlen“,

zitiert hingegen Alexander Krei bei DWDL Harting bei der nachfolgenden Pressekonferenz. Und meint:

„Alles nachvollziehbar. Sollte man meinen. Und doch tut es offenkundig Not, den Medien zu erklären, dass selbst ein Olympiasieger bloß ein Mensch ist und es eben nicht jeden Athleten zwangsläufig vor die Kamera drängt. Er sei ,in erster Linie Sportler’ und ,keine PR-Figur, kein Medienmensch und Profi’, sagte Harting beinahe entschuldigend. Das Stadion erachtet er als seine Bühne, nicht die Interviews fürs Fernsehen. Letztlich erwies er sich mit seiner Verweigerungshaltung aber einen Bärendienst, weil einige Journalisten in ihrem Hyperventilierungsmodus erst dadurch noch viel mehr über diesen eigensinnigen Typen in Erfahrung bringen wollten. Wenn genau diese Journalisten künftig also wieder einmal darüber jammern sollten, dass es hierzulande an Sportlern mit Ecken und Kanten fehlt, so sei ihnen gesagt, dass sie selbst einen nicht eben geringen Anteil daran haben.“

Die einen Sportler singen bei der Nationalhymne zu wenig, reden dafür aber ebenso geschliffen wie nichtssagend auch nach 120 Minuten plus Elfmeterschießen, sobald man ihnen ein Mikrophon vor die Nase und eine Sponsorenwand in den Rücken schiebt. Die anderen tanzen zu viel und haben nur eine dieser automatisch generierten Facebook-Seiten.

Fazit: Alles wäre einfacher, wenn wir endlich eine Nationalhymne ohne Text, dafür mit mehr Beat bekämen.

[+++] Und damit zurück in die echte Welt mit echten Problemen, die sich überraschenderweise in privaten Facebook-Gruppen versteckt hat. Eine davon namens Die Runde mit über 15.000 Mitgliedern hat sich Jan Werkener für den Tagesspiegel am Sonntag (Blendle-Link; Meldung online) angesehen und für schlecht befunden. Denn dort wird gehetzt und gepöbelt, und das völlig ohne Konsequenzen. Eine geschlossene Gruppe ist nämlich nur eingeladenen Mitgliedern zugänglich, und wenn nur diejenigen hereingelassen werden, die Flüchtlinge hassen und Deutschland lieben, und eben dieses in der Gruppe kundtun, wird kein Mitstreiter eine solche Meinung melden oder gar anzeigen.

„Auf Nachfrage bei Facebook heißt es, man sehe keinen Grund, vom derzeitigen Verfahren - keine Prüfung ohne vorherige Meldung - abzuweichen. Man werde auch keine Mitarbeiter abstellen, die sich in solche Gruppen einschleusen, sagt die Unternehmenssprecherin. Dies sei eher Aufgabe der Polizei. Man gehe davon aus, dass Ermittler genau dies täten.

Das Problem ist: Sie tun es nicht. Aus rechtlichen Gründen dürften Beamte nur in öffentlich einsehbaren Foren und Blogs recherchieren, heißt es bei der Berliner Polizei. Nachforschungen in einer geschlossenen Gruppe wären erst nach einer Strafanzeige oder wenigstens dem Hinweis eines Nutzers oder des Betreibers möglich. So schließt sich der Kreis der Untätigkeit“,

schreibt Werkener. In anderen Zusammenhängen wäre so ein schulterzuckendes Hinnehmen von Parallelgesellschaften undenkbar. Aber Facebook ist eben schwerer zu fassen als Berlin-Neukölln, und das Einschreiten gegen Hate Speech ziemliches Neuland. Was auch eine Überleitung zu Rainer Stadlers Kommentar in der NZZ ist, in dem er sich dem bislang bekannteren Problem der öffentlichen Hetze im Netzwerk widmet. Zwar werde dagegen mittlerweile vorgegangen; als Beifang werde jedoch auch regelmäßig nach örtlicher Gesetzeslage Unbedenkliches gesperrt, meint Stadler.

„Die herkömmlichen Medien entwickelten sich im Umfeld von nationalen und regionalen Gesetzen und Werten. Diese Einbettung steht den globalen Netzwerken noch bevor. Die schöne Idee von der weltumspannenden freien Assoziation freier und froher Kommunikatoren, mit der die digitale Avantgarde von Kalifornien aus in wenigen Jahren die Medienwelt eroberte, rückt in die Ferne. Eine Regionalisierung wird kaum vermeidbar sein. Das erhöht die Kosten. Die Kundenbetreuung und die damit verbundenen Rechtsfragen verlangen nach entsprechendem Personal. Technische Massnahmen genügen nicht, um Konflikte zu lösen.“

[+++] Derweil gefunden: Antworten auf die Frage, wie man in Zeiten des Terrors guten Journalismus machen kann, ohne im großen Strom der Gerüchte und Panikmache unterzugehen. Bruce Shapiro vom Dart Center for Journalism and Trauma der Columbia School of Journalism hat das für die Wochenend-SZ aufgeschrieben und durchnummeriert.

Die Kurzfassung zum Ausdrucken und auf Sofabezüge sticken:

„Erstens: Akribisch mit Fakten umgehen. (...) Zweitens: Vorsicht mit Bildern. (...) Drittens: Berufsethos wahren. (...) Viertens: Wichtig sind Meldungen über die Überlebenden, auch wenn die Täter ermittelt, festgenommen oder angeklagt werden. (...) Fünftens: Fakten und Perspektive gegen Panik. (...) Sechstens: In Berichten sollte es nicht nur um Rechenschaft gehen (Wer hat zugelassen, dass das passiert?), sondern auch um Lösungen. (...) Sechstens: Reporter müssen auf sich selbst achten.“

Ein wenig untergräbt es zwar die Autorität des Autors (oder des Übersetzers), dass er Schwierigkeiten im Zahlenraum bis Sieben aufweist. Aber wie akribisch man mit Fakten umgehen sollte, weiß man ja auch erst nach Lektüre des Artikels.

[+++] Letzte Station vor dem Altpapierkorb: Die gute, alte Journalismus-Refinanzierungs-Inhalte-Nehmen-Sie-auch-ein-warmes-Mittagessen-als-Honorar-Krise. Angefeuert von John Olivers Journalismus-Beitrag aus der vergangenen Woche schreibt die freie Journalistin Eva Lindner in ihrem Blog 30 Tage Leben:

„Nicht für alle Mitglieder einer Redaktion steht wenig Geld zur Verfügung. Viele Redaktionen leisten sich immer noch mehrköpfige Chefredakteur-Teams mit Spitzengehältern und kaufen große Namen teuer ein. Wer über den content entscheidet, ist viel wert, wer ihn produziert nicht. Content ist nicht der king, content ist eine arme Sau.“

Dagegen ruft sie die Honorar-Revolution aus:

„Und wir müssen lernen, nein zu sagen. Nein zu Angeboten, die man nur annehmen kann, wenn man alle Spiegel in seiner Wohnung abmontiert. Wer kann sich noch ins Gesicht schauen, wenn er sich selbst nichts wert ist? Wir müssen aufhören, uns ständig gegenseitig zu unterbieten. Denn nur wenn die Redaktionen keine guten Autoren mehr für schlechtes Geld finden, kann sich etwas ändern.“

Freie aller Länder, vereinigt Euch! Blöd nur, dass Solidarität unter Einzelkämpfern noch schwieriger zu bewerkstelligen ist als Tanzen zu Joseph Haydn.


Altpapierkorb

+++ „Was und wie er fotografierte, das war Popkultur verwandelt in Fotografie. Er hat die öffentliche Wahrnehmung dieser Zeit mit geprägt.“ So erinnert Joachim Huber im Tagesspiegel an den am Samstag verstorbenen Fotografen Daniel Josefsohn. Bei Zeit Online finden sich 52 Werke des ehemaligen Zeit-Magazin-Kolumnisten. +++

+++ Die auch nicht gerade für ihren Qualitätsjournalismus bekannte, aber dennoch bislang zur freien Presse gehörende Daily Mail kooperiert mit der Chinesischen Staatszeitung Renmin Ribao (People’s Daily), schreibt der Guardian. „A paper with a seven decade history as China’s official mouthpiece might seem an unlikely partner for a conservative-leaning British tabloid, but as well as serving as messenger for edicts from Communist party technocrats in its stolid Chinese-language edition, the People’s Daily presides over a growing empire of publishing outlets.“ +++

+++ Europäische Leitmedien halten nichts vom Brexit, meldet die NZZ. +++

+++ The Daily Beast hat einen umstrittenen Artikel offline genommen, für den ein Reporter mit der Dating-App Grindr durchs olympische Dorf gezogen ist und, da diese sich an schwule und bisexuelle Männer richtet, nebenbei Athleten geoutet hat. „We were wrong. We’re sorry. And we apologize to the athletes who may have been inadvertently compromised by our story“, heißt es. Den obligatorischen Artikel, dass schwule Sportler selbst schuld sind, wenn sie während der Spiele die App nicht deaktivieren, bietet diesmal Manuel Schubert in der taz. +++

+++ „Ich dachte, das wäre meine Urne, aber ganz am Anfang sagt man zu so etwas nicht Nein.“ Für die SZ am Wochenende hat Cornelius Pollmer David Ensikat interviewt, der beim Tagesspiegel die Seite mit den Nachrufen betreut. (Bevor Sie meckern: Eine aktuelle Ausgabe der SZ gibt es heute nicht, da Feiertag (für Nicht-Bayer: Sie nennen es Mariä Himmelfahrt).) +++

+++ Die Schweriner Volkszeitung überlässt ihr analoges Bildarchiv einem Museum, berichtet Frank Pergande heute in der FAZ.  „Das Bildarchiv wurde in der Redaktion nach dem Ende der DDR und vor allem nach dem Siegeszug der digitalen Fotografie nicht mehr gebraucht und dämmerte im Keller vor sich hin: 300 000 Fotos in 36 Schränken. Darunter sind auch wahre Schätze wie Kollodiumabzüge von 1890. Vor allem aber enthält das Archiv unübersehbar viel Material über die DDR, sowohl von Fotografen der Zeitung als auch von der offiziellen DDR-Agentur ADN-Zentralbild. Dass dieses Archiv überhaupt noch vollständig existiert, grenzt an ein Wunder.“ +++

+++ „Resch will mit ,Magnus’ zweierlei: Er will die Preise sämtlicher Kunstwerke auf der Welt öffentlich und vergleichbar machen, ,Licht auf die dunkle Seite des Marktes werfen’, wie er es im Gespräch formuliert. Und er will die Basis der Kunstkäufer verbreitern. ,Es interessieren sich viel mehr Leute für Kunst, als Leute Kunst kaufen; wir helfen den Galerien, neue Kunden zu gewinnen.’“ Boris Pofalla auf der Medienseite der FAS über Magnus Resch und seine gleichvornamige App, die gerade aufgrund von Urheberrechtsverstößen von Apple aus dem Store genommen wurde. +++

+++ „Markus Mähler, Mitarbeiter des Kopp-Verlags und Kämpfer gegen die Mainstream-,Lügenpresse’, behauptet, ich hätte den Verein Deutsche Sprache (VDS) als Anlaufstelle für ,diese braunen Menschen’ bezeichnet. Das ist, natürlich, gelogen.“ Stefan Niggemeier bei Übermedien in der dritten Folge der Serie „Wie viel Pegida steckt im Verein Deutscher Sprache“ (Folge 1 zum Nachlesen gibt es hier, Folge 2 nur exklusiv für Kopp-Abonnenten). +++

+++ Eine Sport-Reporterin, die begeistert: Franziska van Almsick, meint zumindest Dominik Bardow im Tagesspiegel: „Franz Beckenbauer sitzt gefühlt im Knast, Steffi Graf hat sich in Las Vegas verkrochen und Boris Becker hat sich in die Niederungen des Trainer-Daseins begeben. Bleibt nur noch die Franzi als Sport-Ikone, die selbst „Gala“-Leserinnen kennen.“ Noch viel mehr begeistert nur, dass sie sich tatsächlich www.franzi.de als Seite gesichert hat – dem Design nach schon 1998 +++

+++ Die Medienmeldung des Nachrichtenmagazins Spiegels in dieser Woche: Hajo Seppelt braucht Personenschutz (Original bei Blendle; in ähnlicher Länge auch als Second-Hand-Meldung bei DWDL und Meedia). +++

+++ Derweil ärgert sich Florian Freistetter in seinem Scienceblog, dass der Spiegel mal wieder auf die Meldung mit der zweiten Erde hereingefallen ist. +++

+++ „Russland entschlüsseln“ lautet der Untertitel der Website Dekoder, die regelmäßig Artikel russischer Medien ins Deutsche übersetzt und kulturell einordnet. „Russland entschuldigen“ passte aber auch, meint Irina Serdyuk in der taz. +++ Wo zudem Daniel Bouhs übers Stühlerücken beim Verband der Privatsender VPRT berichtet. +++

+++ Wer heute schon wissen will, was er ab Mitte November im ZDF sehen kann, liest Torsten Zarges’ Rezension der deutsch-schwedischen Serie „Modus“ bei DWDL. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag. 

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