Können Sie sich Trump demütig vorstellen? Oder Putin? Oder irgendeinen anderen aktuellen politischen oder religiösen Führer? Oder einen Film-Promi? Dabei gab es solche Demut zeigenden Szenen durchaus: Am eindrücklichsten sicher der Warschauer Kniefall von Willy Brandt 1970, aber auch die Entschuldigungen von Tomiichi Murayama 1995 für die Kriegsverbrechen der Japaner. Oder David Cameron, der sich 2010 im britischen Unterhaus offiziell für den „Bloody Sunday“ von 1972 in Nordirland entschuldigte. Oder auch zuletzt Justin Trudeau, der 2017 in Kanada bei der kanadischen LGBTQ-Community für deren Diskriminierung um Verzeihung bat. Selbst Papst Johannes Paul II. (als Staatsoberhaupt des Vatikan) bat im Jahr 2000 öffentlich um Vergebung für Sünden der Kirche in der Vergangenheit.
Dass vieles dabei nur symbolisch ist und zu wenig konkrete Folgen hat, ist ein betrübliches Thema, das ich aber grade außen vor lassen will. Denn ich würde behaupten, dass bereits solche Gesten der Demut heute kaum mehr möglich sind.
In Zeiten des "Make America great again", einer russischen Aggressions- und Invasionspolitik und einer insgesamt sehr lauten und wenig nachdenklichen Gesellschaft ist eine Haltung wie "Demut" völlig anachronistisch. Das gilt im Großen wie im Kleinen und betrifft also jeden Menschen. Sich selbst erheben und groß fühlen, indem man andere klein redet und abwertet gilt neuerdings als Selbstbewusstsein - obwohl es das Gegenteil davon ist. Und wer je das Opfer einer solch toxischen Inszenierung geworden ist, weiß, wie verletzend und zerstörend der Größenwahn dieser Ichlinge sein kann.
Da wir aber andere nicht ändern können, sondern nur uns selbst, sollten wir zumindest versuchen, an unserer eigenen Demut zu arbeiten. Denn die Thora lehrt, dass echte Demut den Menschen nicht kleinmacht, sondern ihm wahre Größe verleiht. Und vielleicht kann man auf diese Weise andere dazu inspirieren, mit zu machen und auf diese Weise die Welt insgesamt wieder etwas demütiger - und damit größer, offener und weiter zu machen.
Aber wie wird man demütig? Eigentlich ist es recht einfach: Im Staunen über die Welt und Gott macht man sich klein und groß zugleich, weil man sich bewusst wird, dass man zwar nur ein winziger Teil, aber auch ein unverzichtbarer Teil des Ganzen ist. Ein Wunder mitten im Wunder. Wahre Demut entsteht aus der direkten Begegnung mit Gottes Größe. Je mehr ein Mensch Gott wirklich spürt, desto demütiger wird er. Und um ihn zu spüren, müssen wir zumindest die Augen und Ohren offen halten für all das, was uns begegnet.
"Der Talmud fordert uns auf, von Gott zu lernen, dass Größe Demut ist und Demut Größe. Der Schöpfer von allem sorgt für alle. Die Macht der Mächte sorgt für die Machtlosen. Je tiefer unser Mitgefühl, desto höher stehen wir", sinnierte einst Rabbi Jonathan Sachs.
In diesem Sinne wünsch ich uns allen mehr offene Augen.
Mehr offene Ohren.
Mehr offene Herzen.
Mehr Demut.
Mehr Mut auch klein zu sein, fehlerhaft, sich auch klein zu fühlen- und dennoch die Größe zu besitzen, für sich - und andere! - einzustehen.
In diesem Sinne: Make Demut great again.